“Gelitten – aber nicht gefallen”

Tirschenreuth. „Gelitten – aber nicht gefallen“. Der Zeitzeuge und Überlebender des Holocaust Prof. Dr. Alexander Fried erzählte beim Stadtgespräch des Kreisjugendring in Tirschenreuth von Erlebtem in drei Konzentrationslagern und der Befreiung auf dem Todesmarsch im vollbesetztem Mehrgenerationenhaus. 

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Prof. Dr. Alexander Fried (rechts), Zeitzeuge und Überlebender des Holocaust, beantwortete beim Stadtgespräch des Kreisjugendrings in Tirschenreuth geduldig alle Fragen der Anwesenden.

Zunächst stellte Prof. Dr. Fried die Frage, ob man das alles vergessen will und gab auch gleich die von allen Besuchern getragene Antwort:

Nein, vergessen darf man nicht.

Deutschland hat aus der Geschichte gelernt. Es ist ein besonderer Staat, der sich durch eine sehr gute demokratische Einstellung auszeichnet. Auch wenn die „Demokratie“ nicht ganz perfekt ist, ist sie die perfekte Staatsform. Er ist stolz auf die Bundeskanzlerin Merkel, die sagt, dass die Deutschen eine besondere Verpflichtung gegenüber dem Judentum haben.

Prof. Dr. Fried sagte mit zitternder Stimme: „Schüler sind die Zukunft von Europa.“ Er bittet die Jugendlichen, dass sie sich um die Demokratie bemühen. „Wir brauchen auch neue pädagogische Methoden“, so Prof. Dr. Fried, „so wie sie derzeit in der Gedenkstätte KZ Flossenbürg durchgeführt werden. Der Leiter der Gedenkstätte Jörg Skriebeleit und sein Team leisten dort vorbildliche Arbeit.“

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Leben vor und nach Konzentrationslagern

Der 90-jährige Prof. Dr. Fried ging auf seine Kindheit in Zilina, in der heutigen Slowakei, ein. Er habe mit seinem Bruder eine glückliche Kindheit gehabt. Die jüdisch-orthodoxe Familie hatte ein Restaurant und man fühlt sich wohl in dem zur damaligen Zeit sehr demokratischen Staat der Tschechoslowakei. Bereits in der Kinderzeit lernte er schon verschiedene Sprachen (er spricht heute zehn Sprachen fließend) und lernte die Psalmen der jüdischen Tora auswendig.

Mit 16 Jahren wurde er mit fünf anderen Freunden in das Konzentrationslager in Zilina (Sillein) gebracht. Als das Tor mit der Aufschrift „Arbeit macht frei“ geschlossen wurde, erinnert er sich, wurden sie schon von den Aufsehern verprügelt. Nachdem er dort einige Zeit verbrachte, kam er kurz frei und musste dann in das Konzentrationslager Sered in der Südslowakei und anschließend, mit 19 Jahren, in das Konzentrationslager Sachsenhausen-Oranienburg.

Prof. Dr. Fried teilt mit, dass er Schreckliches in den Konzentrationslagern erlebt habe. Sehr emotional erzählte er nur von einigen Beispielen – über die Schrecklichen Erlebnisse wollte er nicht im Detail berichten. Noch heute wache er nachts von den Alpträumen auf.

Seine Mutter wurde in Auschwitz mit Zyankali B vergiftet. Sein Vater wurde in Buchenwald ermordet. Mit bewegter Stimme erzählte er von diesen Ereignissen und von seiner Mutter. In der Kinderzeit sagte sie immer, dieser Hitler belle nur und sie sollen keine Angst haben. Fast entschuldigend über seine Emotionen sagte er, Hitler, Göring und all die Verbrecher haben nie geweint, sie wussten nicht, was Gefühle sind.

Sein Vater sagte immer wieder zu ihm, dass jeder Mensch einen guten Trieb und einen schlechten Trieb habe.

Du musst immer den guten Trieb forcieren

predigte ihm sein Vater.

Am 23.04.1945 begann für die Insassen des Konzentrationslagers Sachsenhausen-Oranienburg ein weiteres Martyrium. Sie wurden auf den sogenannten Todesmarsch geschickt. Zehn Tage später konnte er von der US-Army befreit werden. Sein weiterer Lebensweg führte ihn wieder zurück in die damalige Tschechoslowakei, wo er u.a. Geschichte in der Karls-Universität in Prag studierte. Mit dem Onkel des späteren tschechischen Präsidenten Vaclav Havel, flüchtete er nach Wien.

Es folgten weitere Studiengänge und Anstellungen als Professor an verschiedenen Universitäten in Belgien, Kanada, England, Deutschland und Israel. Er war eine Zeit lang Kulturdezernent des Zentralrats der Juden in Düsseldorf und leitete das Jüdische Kulturmuseum in Augsburg.

Prof. Dr. Fried hält es nicht mehr auf seinem Stuhl. Er steht auf und berichtet, dass er sehr dankbar sei, dass er heute hier stehe. Er hatte sehr viel Glück, es sei ein Wunder. Ihm gehe es nur darum, dass er den Menschen die Wahrheit sage. Auch wenn die Wahrheit eine menschliche Tragödie sei. Wir alle haben eine Verpflichtung zur Wahrheit. Prof. Dr. Fried spricht von der „Heiligkeit des Wortes“.

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Im Dialog mit den Besuchern

Eine Besucherin ging auf die Forschungstätigkeiten der Nazis im Konzentrationslager Sachsenhausen ein. Prof. Dr. Fried berichtete davon, dass er gezittert habe, als die Lagertür aufging und man eine Häftlingsnummer schrie. Den Gefangenen mit der Nummer, die aufgerufen wurde, hat man nie wieder gesehen. Die Menschen, die für medizinische Experimente missbraucht wurden, starben meist daran oder wurden ermordet. Zu neuen Insassen sagte man, gehe nicht ins „Revier“, dort kommst du nie wieder zurück.

Prof. Dr. Fried, der sich in die Mitte der Besucher begab und sich auch zu ihnen setzte, beantwortete jede Frage und war sichtlich angetan von den Dialogen mit den Gästen. Noch spät nach Ende der Veranstaltung beantwortete er Fragen und stellte sich der Diskussion über die aktuellen Geschehnisse.

Leider gebe es Pegida, die AfD und andere faschistische Strömungen – sie passen nicht zu Deutschland. Prof. Dr. Fried glaubt aber daran, dass Deutschland das überwinden kann. Aber die Ereignisse, die zur Zeit des Nationalsozialismus geschehen sind, dürfen sich nie wieder wiederholen. Das Geschehene zu erzählen, ist für ihn eine große Verpflichtung. Er wird auch die Idee nicht aufgeben, dass wir Menschen alle Brüder sind.

An die Jugend gerichtet, sagte Prof. Dr. Fried, dass sie froh sein sollen, Deutsche zu sein. Deutschland ist ein wichtiges und großes Volk. Er appellierte an die jungen Menschen, dass sie die „Heiligkeit des Wortes“ und die „Heiligkeit der Wahrheit“ respektieren sollen. Sie dürfen nicht schweigen und sollen gegen die „Ewiggestrigen“ aufstehen. Die Jugend soll sich an den Deutschen orientieren, die sich widersetzt haben. Dietrich Bonhoeffer, der im Konzentrationslager Flossenbürg für seine Überzeugung ermordet wurde, sei ein gutes Beispiel.

Nachfolgegeneration trägt keine Schuld für Vergangenheit – aber Verantwortung für Zukunft

Prof. Dr. Fried betonte aber immer wieder, dass die Jugend von heute bzw. die Nachfolgenerationen keine Schuld an den Verbrechen der Nazis habe. “Die Jugend ist nicht verantwortlich, was geschehen ist, aber verantwortlich, was in Zukunft passieren wird.“

Zum Abschluss zitierte Prof. Dr. Fried aus einem Psalm über Hoffnung und Glaube an Gott. Das Resümee seines Lebens, so Prof. Dr. Fried:

Ich habe gelitten, aber ich bin nicht gefallen.

Jürgen Preisinger bedankte sich auf das Herzlichste bei Prof. Dr. Fried für seinen beeindruckenden Vortrag. Der Vortrag soll uns Mahnung sein, dass so etwas Schreckliches nie wieder geschehen darf. Der Bayerische Jugendring hat in seinem Grundsatzprogramm festgeschrieben, dass man aus der Geschichte Deutschlands lernen muss. Nationalsozialismus, Rassismus, Antisemitismus wird beim Bayerischen Jugendring und seinen Gliederungen sowie in den Jugendverbänden immer ein Thema sein, dem man sich entgegenstellen muss.

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