Sonja Schuhmacher im Interview: “Die wirklichen Probleme werden verschlimmert”

Weiden. Sie ist die umstrittenste Politikerin seit der Kommunalwahl im März: Sonja Schuhmacher (60), erst OB-Kandidatin von Bündnis 90/Die Grünen, dann Stein des Anstoßes für das Zerbrechen der Fraktion Grün.Bunt.Weiden, jetzt parteilose Stadträtin in einer Ausschussgemeinschaft mit der ÖDP-Fraktion.

Von Gabi Eichl

OberpfalzECHO: Wenn die Fraktion Grün.Bunt.Weiden Sie nicht ausgeschlossen hätte, wären Sie noch Mitglied der Grünen?”

Sonja Schuhmacher: Ja.

Also keine Probleme mit der Partei an sich?

Ich habe schon immer Probleme mit der Partei, aber ich habe mich halt der Hoffnung hingegeben, dass ich von innen etwas verändern kann. Zum Beispiel, was die HGÜ-Leitungen betrifft. Da haben Klaus Bergmann (Kreisrat und 2018 Landtagskandidat der Grünen im Landkreis Neustadt/WN, Anm. d. Verf.) und ich daran gearbeitet, dass wir eine Neuberechnung des Leitungsbedarfs ins Landeswahlprogramm schreiben, und das ist uns dann auch gelungen gegen den Widerstand des Landesvorstands. Aber das war wohl eine trügerische Hoffnung.

Knackpunkt: Umgang mit Corona-Maßnahmen

Ist der einzige Knackpunkt, der zum Bruch mit der Fraktion Grün.Bunt.Weiden geführt hat, Corona bzw. der jeweils unterschiedliche Umgang damit? 

Ja. Kommunalpolitisch sind wir uns ja einig. Wir werden auch weiterhin im Stadtrat für dieselben Dinge eintreten. Da sehe ich keinen Dissens. Aber die Einschätzung der Lage, ob das ein Problem ist, dass uns die Grundrechte genommen wurden, oder nicht, das wurde unterschiedlich eingeschätzt und dann wurde auch kritisiert, wie ich das anpacke, was ich auf Facebook poste, das wurde unterschiedlich bewertet. Für mich ist das eben auch ein Eingriff in meine Meinungsfreiheit.

Die Grünen haben vorgerechnet, dass Ihr Stadtratsmandat zu mehr als zwei Dritteln auf Parteistimmen beruht. Wie rechtfertigen Sie Ihren Verbleib im Stadtrat?

Ich weiß nicht, wie die das ausrechnen. Ich habe einen engagierten Wahlkampf geführt, genauso wie die Gisela Helgath. Dass so viele Menschen auf unserer Liste waren, was ja auch Stimmen bedeutet letztendlich, das ist sehr viel Gisela zu verdanken, die sich da seit Jahren engagiert hat. Ich habe mich auch bemüht, ich denke, dass unser beider Engagement ganz viel dazu beigetragen hat, dass die Leute Grün gewählt haben. Und es ist nun einmal ein persönliches Mandat. Viel stärker als bei anderen Wahlen. Ich kann daher nicht nachvollziehen, was das für eine Berechnung sein soll.

Demonstrationsrecht “unsere schärfste Waffe”

Auch die ÖDP hat Sie nicht mit offenen Armen aufgenommen. Der Kreisvorsitzende Christian Wallmeyer hat zuletzt verlangt, Sie aus der Weidener Fraktion auszuschließen. Sie sind nun als Parteilose Teil einer Ausschussgemeinschaft mit den beiden ÖDP-Stadträten. Ein vom Kreisverband geduldetes Zweckbündnis. Wo stehen Sie jetzt politisch? Kritiker sehen Sie nach verschiedenen Demos und vor allem Posts auf Facebook am rechten Rand angekommen.

Da kann ich nur lachen. Ich war ja nie bei der ÖDP. Ich habe Sympathien für „Wir2020“, das habe ich auch von Anfang an gesagt. Inzwischen ist es ja so, dass im Weidener Stadtrat Mitglieder unterschiedlicher Parteien sowieso lediglich eine Ausschussgemeinschaft bilden können (auch die vormals sechsköpfige Fraktion Grün.Bunt.Weiden ist inzwischen nur noch eine dreiköpfige Ausschussgemeinschaft, Anm. d. Verf.). Insofern wurde ich nirgends ausgeschlossen.

Gisela und Helmut Schöner (ÖDP-Fraktionsvorsitzender, Anm. d. Verf.) sind immer zu mir gestanden, das ist lediglich der Herr Wallmeyer, der da Stimmung macht, und auch der Landesvorstand der ÖDP. Ich finde das ÖDP-Programm gut, ich kann das auch auf Kommunalebene voll unterstützen, aber ich hatte zu keinem Zeitpunkt vorgehabt, zur ÖDP zu gehen.

Ich sehe meinen Schwerpunkt bei den Grundrechten, weil ich denke, dass wir auch für den Umweltschutz nur dann etwas erreichen können, wenn unser Demonstrationsrecht, das ist ja unsere schärfste Waffe, wenn wir uns das nicht nehmen lassen. Und das wird ja gerade versucht in Berlin. Für mich besteht da akuter Handlungsbedarf, weil man bereits sieht, dass die Politik alles Mögliche durchdrückt im Schatten von Corona. Umweltschädliche, klimaschädliche Maßnahmen wie die Verabschiedung des Planfeststellungsgesetzes, wodurch das Prozedere beschleunigt wird und die Bürger noch weniger Möglichkeiten haben, aktiv zu werden. Und wenn uns dann noch das Demonstrationsrecht eingeschränkt oder genommen wird, dann schaut’s noch schlechter aus.

“Müssten ja jetzt überall die Leute krank sein”

Aber was, wenn aus diesen Großdemonstrationen ein neuer Hotspot wird?

Es ist ja längst erwiesen, dass das nicht passiert. Es war ja schon im Mai diese große Demo in Stuttgart und danach nichts, kein Hotspot, kein Anstieg der Infektionen. Dann waren die Black-Lives-Matter-Demos, da gab’s auch keinen Anstieg, da wurden keine Regeln eingehalten, da stand die Polizei daneben, hat gesehen, dass die Leute keinen Abstand halten, ist nicht eingeschritten. Und bei uns schreitet man dann ein, verbietet, dreht den Strom ab, lässt die Redner nicht mehr reden so wie am 1. August. Und am 1. August waren die Menschen ja dicht an dicht, einfach weil so viele da waren, und da müssten ja jetzt überall in der ganzen Republik die Leute krank sein. Das ist nicht der Fall. Wenn man einfach mal selbst auf die Seite des Robert-Koch-Instituts schaut, sieht man, dass nichts passiert. Die Zahlen sind nach März kontinuierlich runtergegangen. Kein Einfluss des Lockdowns, kein Einfluss der Maskenpflicht, die Kurve fällt stetig ab.

Im Moment steigen die Zahlen aber wieder.

Weil sie die Tests hochfahren. Die haben seit Mai die Tests um 50 Prozent gesteigert und dann hat man natürlich auch mehr Ergebnisse. Das wird aber nicht dazu gesagt. Die Demos haben keine Auswirkungen auf das Infektionsgeschehen.

[Anmerkung der Redaktion: Die Annahme, dass mehr Tests gleich mehr Infektionszahlen bedeuten ist nur bedingt richtig. Aktuell braucht es rund 100 Tests um einen Infizierten darunter zu finden. Auf dem Höhepunkt der Pandemie waren es etwa 12; im Juli dagegen rund 200. Alleine durch mehr Tests lässt sich das nicht erklären. Mehr Infos dazu im Zeit-Interview mit Reinhard Busse, Professor für Management im Gesundheitswesen TU Berlin .

Bedauern über Szene mit Journalistin

Bei einer Demo am 12. Juli in Weiden, bei der Sie als Veranstalterin aufgetreten sind, wurde die Journalistin Beate Luber ausgebuht. Auf einem Video sieht man Sie vor Luber stehen. Warum haben Sie dem Treiben nicht Einhalt geboten?

Ich muss sagen, ich war auch etwas überrascht von der Situation. Ich wollte sie dazu bewegen, dass sie aufhört zu fotografieren. Ich war der Meinung, dass ich diese Auflage machen kann als Veranstalterin. Da war ich aber falsch informiert, das gilt nur für geschlossene Räume. Draußen darf man das nicht, wusste ich aber nicht, tut mir im Nachhinein auch sehr leid, dass es zu dieser Szene gekommen ist. Aber was will man eigentlich machen gegen einen Sprechchor? Drüberschreien? Sie wurde ja auch von der Polizei gebeten, sich zurückzuhalten.

“Abgrenzung gegen Rechts durch meine Inhalte”

Bei den Weidener Demos waren auch bekannte Rechtsaußen-Vertreter anwesend. Warum haben Sie sich in Ihren Reden nicht deutlich von diesen distanziert? Warum nicht ein einleitender Satz, mit dem Sie deutlich machen, dass Sie zwar nicht verhindern können, dass AfD-Vertreter im Publikum stehen, Sie aber doch bitte nicht mit deren Weltanschauung in einen Topf geworfen werden möchten?

Ich habe mir zu dem Zeitpunkt gedacht, ich werde mich von Rechts abgrenzen durch meine Inhalte. Ich bin auf Umweltthemen eingegangen und dann hab’ ich gesagt, im Grundgesetz steht auch das Recht auf Asyl und das wird mit Füßen getreten, wenn so viele Leute jetzt auf den griechischen Inseln in völlig überfüllten Lagern unter unmöglichen sanitären Bedingungen festgehalten werden. Ich finde, das ist eigentlich genug Abgrenzung gegen Rechts.

Rechte im Boot: “Das können Sie nicht verhindern”

Fahren Sie am 29. August nach Berlin? Obwohl zu dieser Demo auch NPD, Identitäre Bewegung, Björn Höcke usw. einladen?

Diese Demo wurde von Leuten organisiert, die in der Mitte stehen. Und wenn sich da im Nachhinein die Rechten dranhängen, was wollen Sie dann machen? Das können Sie nicht verhindern. Sie können nicht deswegen die Demo abblasen, weil sie solche Leute als Klotz am Bein haben. Schwierig. Das war ja auch bei der letzten Demo so, dass ganz viele ganz normale Menschen dort waren. Ich kann mir mein Demonstrationsrecht nicht nehmen lassen, weil sich rechtsgerichtete Leute dranhängen. Es wäre halt schön, wenn ARD und ZDF nicht nur seltsame Fahnen filmen würden, sondern den Großteil der Demo, nicht irgendwelche Außenseiter.

Und fahren Sie selbst?

Ja. Es wird dort einen Wagen für Bayern geben, auf dem werde ich mitfahren. Wir hier in Weiden haben auch schon lange vorher zur Teilnahme aufgerufen, ehe das irgendwelche Rechtsradikalen getan haben.

“Ich sehe die Verhältnismäßigkeit nicht”

Abschließend, Frau Schuhmacher, warum tun Sie sich das an?

In einem Buch habe ich gelesen, dass der Leiter des Welternährungsprogramms der UN vor dem UN-Sicherheitsrat in New York gewarnt hat, der Welt drohe wegen Corona eine „Hunger-Pandemie von biblischen Ausmaßen“. Es hungern ja jetzt schon Millionen Menschen. Und dieses Coronavirus, ich glaube, es sind jetzt weltweit 700.000 Todesfälle, die damit in Verbindung gebracht werden. Das ist im Verhältnis (zögert) wenig. Es sterben jeden Tag in Deutschland 2.500 Menschen, mit Corona sind jetzt insgesamt 9.000 Menschen gestorben, so viele wie sonst an drei, vier Tagen. [Anmerkung der Redaktion: Eine genaue Aufschlüsselung der Todesrate der letzten Jahre in Europa finden Sie in dieser Statistik der Süddeutschen Zeitung.]

Ich sehe einfach die Verhältnismäßigkeit nicht. Und ich sehe nicht, dass die wirklichen Probleme in irgendeiner Weise angepackt werden. Im Gegenteil, die werden verschlimmert. Armut und Hunger und vieles mehr. Das ist eines meiner Grundmotive.

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Das Zerwürfnis kurz zusammengefasst

  • Nach der Kommunalwahl vom März 2020 begründen die vier gewählten Grünen-Stadträte Karl Bärnklau, Gisela Helgath, Sonja Schuhmacher und Laura Weber mit den beiden Einzelkämpfern Ali Daniel Zant (Die Linke) und Helmut Schöner (ÖDP) Mitte April die Fraktion Grün.Bunt.Weiden.
  • Im Mai kandidiert Gisela Helgath, die bis dahin als ein grünes Urgestein gilt, für die Fraktion Grün.Bunt.Weiden erfolglos als Dritte Bürgermeisterin.
  • Noch im selben Monat eskaliert der Streit über unterschiedliche Auffassungen zu den staatlich verordneten Corona-Maßnahmen; die Fraktion und der Weidener Grünen-Kreisverband fordern Schuhmacher auf, sich bei Demos von ebenfalls anwesenden Extremisten zu distanzieren und nicht länger auf Facebook Beiträge zu posten, die „der Meinung des Kreisverbandes und der Fraktion sowie der Beschlusslage von Bündnis 90/Die Grünen in Land und Bund widersprechen“, wie es in einer öffentlichen Stellungnahme heißt.
  • Anfang Juni schließt die Fraktion Grün.Bunt.Weiden Schuhmacher aus; am selben Tag verlassen auch Helgath und Schöner die Fraktion. Helgath tritt umgehend der ÖDP bei.
  • Die beiden ÖDP-Stadträte Schöner und Helgath begründen mit der nun parteilosen Schuhmacher eine Fraktion. Aus der vorher sechsköpfigen Fraktion Grün.Bunt.Weiden sind zwei jeweils drei Mitglieder starke Fraktionen entstanden. Der Stadtrat muss die Ausschüsse neu besetzen.
  • Der Kreisverband der Grünen fordert Helgath und Schuhmacher auf, ihre Stadtratsmandate niederzulegen; beide hätten den Großteil ihrer Stimmen über die Grünen-Liste erlangt. Das lehnen beide ab. Der Kreisverband der ÖDP droht der neuen Weidener ÖDP-Fraktion mit dem Entzug der Unterstützung, sofern Schuhmacher sich nicht von Posts auf Facebook distanziert. Schuhmacher verlässt offiziell die ÖDP-Fraktion und gründet mit den beiden ÖDP-Stadträten eine Ausschussgemeinschaft. Gleichzeitig verliert auch Grün.Bunt.Weiden den Fraktionsstatus und darf fortan nur noch als Ausschussgemeinschaft fortbestehen.

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