20 Jahre im Bundestag: Albert Rupprechts Karriere begann, als Stoiber „ein Glas Champagner öffnen“ wollte

Weiden/Berlin. Albert Rupprechts bundespolitische Karriere begann am bittersten Tag der CSU. Am 22. September um 18.47 Uhr erklärte Edmund Stoiber seinen Wahlsieg: „Ich werde heute noch ein Glas Champagner öffnen.“ Es kam anders. Für Rupprecht bleibt Stoiber dennoch ein Idol.

Seit 20 Jahren im Bundestag: Die CSU-Seilschaft zwischen Kommune und Europa baggert um Fördergelder für die Region. Bild: CSU

Noch nie kam ein CSU-Kanzlerkandidat dem Wahlsieg so nahe wie Edmund Stoiber. Zwar holte Franz Josef Strauß 1980 mit 44,5 Prozent das nominell bessere Ergebnis – allerdings verlor die Union insgesamt 4,1 Prozent und lag klar hinter der sozialliberalen Koalition. Markus Söder wiederum scheiterte bereits bei der Kandidatenkür – offenbar an Wolfgang Schäuble.

Stoiber hingegen puschte die Union bei der Bundestagswahl 2002 um 3,4 Prozent – vor allem durch die Stärke der CSU in Bayern. Ihr Anteil am Zugewinn machte 2,2 Prozent aus. Sie holte 58 Mandate, ein Zuwachs von 11 Sitzen. Am Ende lag Gerhard Schröders SPD gerade einmal um 6000 Zweitstimmen vorne – ein hauchzarter Vorsprung von 0,01 Prozent. Das „Glas Champagner“ blieb zu … ein typischer Stoiber, wie die „hingerichtete Blume“ oder die „10 Minuten vom Bahnhof“.

Josef Neubauer Ex-Stadtrat Grafenwöhr
Edmund Stoiber bei einem Besuch in der Nordoberpfalz. Archivbild: OberpfalzECHO

Neuling mit Gauweiler, Guttenberg und Scheuer

Stoibers Erdrutschsieg in Bayern spülte den Bezirksvorsitzenden der Oberpfälzer Jungen Union völlig überraschend in den Bundestag: „Meine Eltern hatten zu Hause in Albersrieth Gäste eingeladen“, erinnert er sich. Als er die ersten Ergebnisse im Fernsehen sieht, sagt er zu seiner damaligen Freundin, späteren Frau: „Du, bei dem Ergebnis bin ich dabei.“ Die erste Ahnung bewahrheitet sich. Am nächsten Tag kommt der Ruf nach Berlin. „Georg Girisch war da noch Direktabgeordneter für Weiden“, sagt Rupprecht.

„Bei der ersten Sitzung am Dienstag rückte eine neue, starke Generation an, mit Alexander Dobrindt, Georg Fahrenschon, Peter Gauweiler, Karl-Theodor zu Guttenberg und auch Andreas Scheuer.“ Bei der ersten Fraktionssitzung gleich ein Ereignis, das die Union auf Jahre beschäftigen sollte: „Angela Merkel wurde gewählt, Friedrich Merz abgelöst.“ Gibt es da unter den konservativen Neulingen keinen Aufschrei? „Als Neuer hast du da nur zugehört“, sagt Rupprecht, „das war längst ausgemacht, da dachten wir, es wird schon Sinn machen.“

Stärken und Schwächen der Kanzlerin

Für Rupprecht macht die neue Fraktionsvorsitzende auch persönlich Sinn: „Ich habe in den ersten drei Jahren Oppositionszeit bis 2005 öfters mit ihr zu tun gehabt“, erzählt der Abgeordnete. „Bei Veranstaltungen stand ich hin und wieder mit ihr an der Theke.“ Da sei sie noch nahbar gewesen. „Ich habe ihr sogar mal Weihnachten ein Buch geschenkt.“ Bei aller Kritik an einzelnen Entscheidungen. In der Summe beurteilt Rupprecht die Ära Merkel positiv. „Angela Merkel war eine absolute Hochkaräterin“, sagt er. „Ich glaube aber, dass mehr möglich gewesen wäre.“

Er habe sie bei Diskussionen im Kanzleramt erlebt: „Ich halte mich ja selbst analytisch für ganz gut“, gibt Rupprecht zu, „aber diese Frau ist überragend – sie ordnet Themen in kürzester Zeit ein und gibt das Ergebnis in einfacher Sprache punktgenau wieder.“ So viel zur Stärke der ersten deutschen Kanzlerin. „Wenn es aber darum ging, wie bekommen wir das umgesetzt“, kommt er auf ihre Schwäche zu sprechen, „dann hat sie eher zugewartet.“ Sie sei zu wenig ins Risiko gegangen. „Ich verstehe das“, zeigt er Verständnis, „jeder, der ins Risiko geht, wird medial angeschossen.“ Einer, der die heiße Küche nie gescheut habe, sei Stoiber: „Der ist hinausgegangen, ,dafür stehe ich’.“ Der habe sich der Kritik gestellt und Verantwortung übernommen: „Das wünsche ich mir von der politischen Führung.“

Die noch jungen Abgeordneten Angela Merkel und Albert Rupprecht. Archivbild: CSU

Schlecht gelaunter Joschka Fischer

Für Rupprecht beginnt die Wahlkreisarbeit etwa da, wo Stoiber nach der verlorenen Wahl steht – mit Krisenmanagement: „Es war eine brutal schwierige Zeit des Strukturwandels, der Osterweiterung, Unternehmen wanderten ab, es gab viele Firmenpleiten.“ Seine ersten Meriten: „Ich habe es zusammen mit dem Chamer Kollegen Klaus Hofbauer geschafft, dass der ostbayerische Raum wieder Förderregion wurde.“ Ein Schlüsselelement zum Strukturwandel: „Wir haben auf diese Weise trickreich über zwei Milliarden Euro an Investitionen angeschoben.“

Im Interesse der Nordoberpfalz sei er zunächst Mitglied im Europa-Ausschuss geworden: „Das war damals ein strategisches Schlüsselthema“, sagt Rupprecht. „Wie bekommen wir einen gemeinsamen Raum mit der Tschechischen Republik hin?“ Er habe für Übergangsfristen plädiert. Den damaligen Außenminister Joschka Fischer habe er als schlecht gelaunt und von allem genervt erlebt. Aber Chapeau: „Er war ein politisches Original.“ In puncto Euro-Raum sei Rupprecht skeptisch gewesen: „Ich habe gegen das Griechenland-Paket gestimmt, weil ich eine Schulden-Union für gefährlich halte“, benennt er seinen persönlichen Bruch mit der Kanzlerin.

Im SoFFin-Duett mit Ludwig Stiegler

Als einen Höhepunkt seiner parlamentarischen Arbeit nennt er das Jahr als Vorsitzender des parlamentarischen Kontrollgremiums zum Finanzmarktstabilisierungsfonds von Oktober 2008 bis November 2009 „Das war die turbulente Zeit, als Merkel und Steinbrück vor die Mikrofone traten und versicherten, ,die Einlagen sind sicher’.“ Zusammen mit seinem Stellvertreter Ludwig Stiegler (SPD) – „ein toller, hochintelligenter Politiker, auf dem man sich verlassen konnte“ – sei er mit für 480 Milliarden Euro Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (SoFFin) verantwortlich gewesen.

Rupprecht erinnert sich an Sitzungen im abhörsicheren Raum mit dem Bundesbankpräsidenten, dem Finanzminister, den Ländervertretern: „Wie gehen wir mit der Commerzbank um, mit der Hypo Real Estate, wie stabilisieren wir das Bankwesen mit dem 480-Milliarden-Euro-Rettungsschirm?“ Insgesamt sei man gestärkt aus der Krise hervorgetreten. „Aus heutiger Sicht würde ich dennoch einiges anders machen“, sagt er. „Die Amerikaner haben ihre Banken teil- oder ganz verstaatlicht, mit Eigenkapital vollgepumpt, auf die Weltmärkte geschickt, die Anteile verkauft und damit viel Geld für die Steuerzahler und gestärkte Banken bekommen.“

Albert Rupprechts Wohltaten für die Region: Ausbau der B299. Bild: CSU

Ohne Förderprogramm wäre Biontech pleite

Der nächste Schritt auf der Karriereleiter ist ein stiller: 2009 wird er Mitglied der Fraktionsführung, das wenig medienwirksame Thema Forschung und Bildung ist fortan bei Rupprecht angesiedelt: „Ich war 12 Jahre lang hauptverantwortlich für den vierthöchsten Posten im Bundeshaushalt mit zum Schluss 20 Milliarden Euro.“ Seine Entscheidungen hätten mit dazu beigetragen, Deutschland wieder zu einem Top-Wissenschaftsstandort zu machen: „Viele Spitzen-Leute kommen aus den USA zurück.“

Auch für die Medizinforschung zeichnete er verantwortlich. „Ich war für Biontech zuständig“, schildert er einen wenig bekannten Umstand: „Die waren kurz vor der Pleite, ohne unser Förderprogramm wäre deren Innovationskraft auf Spitzenniveau während der Pandemie nicht möglich gewesen.“ Die Bildungsministerinnen Annette Schavan, Johanna Wanka und Anja Karliczek hat Rupprecht er- und überlebt: „Die Minister kommen und gehen, ich bleibe“, galt zumindest bis die Ampel auf Regierungswechsel stand.

Minister kommen und gehen, Albert Rupprecht blieb: Hier mit Bundesbildungsministerin Johanna Wanka. Bild: CSU

Alles nur Menschen: „Von Guttenberg bis Obama“

Die Highlights seiner Begegnungen in 20 Jahren Bundestag: „Termine mit dem Vorstandsvorsitzenden der BASF in kleiner Runde bei mir im Büro“, seien für einen Abgeordneten Routine. Die Treffen mit historischen Persönlichkeiten die Kür: „Für mich war Wolfgang Schäuble als stellvertretender Fraktionsvorsitzender eine beeindruckende Figur der Zeitgeschichte“, sagt Rupprecht. „Auf Reisen sei er beim Abendessen mit Sarkozy an einem Tisch gesessen, habe den Papst in überschaubarer Runde erlebt, Obama zumindest in Sichtweite vor sich gehabt.

Bei Auslandsreisen habe er US-Minister kennengelernt. „Erstaunlicherweise merkt man am Schluss, es sind alles nur Menschen.“ Das treffe mit wenigen Ausnahmen auf viele von Medien gehypte Heroen von Seehofer bis Guttenberg zu: „Ich hatte KTG als einen von uns Jüngeren kennengelernt, der eher nicht viel zu sagen hatte – auf einmal ging der medial ab wie eine Rakete.“ Er habe sicher „irre Fähigkeiten beim Auftritt“. Rupprecht kenne ihn „aber auch von einer anderen Seite“.

Das gemeinsame Baggern um Fördergelder

Was die CSU besonders vor Ort heute wieder stark mache: „Die Verzahnung der Ebenen gab es auch schon früher“, weiß Rupprecht, „aber selten hätten sich die Mandatsträger von der kommunalen über die Landes- und Bundesebene bis Europa so gut verstanden: „Ein OB Schröpf wollte mit vielen nichts zu tun haben“, erinnert sich Rupprecht an seine Zeit als JU-Bezirksvorsitzender. Dass sich die heutige Führungsmannschaft so gut verstehe, trage bereits Früchte. „Jeder hat gesagt, dass wir mit unseren Wirtschaftsdaten noch einmal die GRW-Förderung, die Gemeinschaftsaufgabe ,Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur’, bekommen, ist unmöglich.“

Gelungen sei dies, weil jeder CSU-Vertreter an seinem Platz Einfluss auf die Entscheidung genommen habe: „In Abstimmung mit dem Europa-Abgeordneten Christian Doleschal, Tobias Reiß in München, ich in Berlin.“ Das sei gelaufen wie geschnitten Brot, wie damals als Rupprecht mit Reiß vor acht Jahren die jeweiligen Ministerien anbaggerte, um das Paket „Innen vor Außen“ zu schnüren: „Wir hatten in den Städten und Dörfern immer mehr Leerstände, weil sich die Sanierung am Land einfach nicht rentiert.“ Wohl aber mit bis zu 90 Prozent Zuschüssen: „Ob in meiner Heimatgemeinde Waldthurn oder in Waldsassen, seitdem wird wieder Vollgas gegeben.“

Für den Erhalt der Ostmarktkaserne setzte sich Albert Rupprecht ebenfalls ein. Bild: CSU

Albert Rupprechts Glas halb leer oder halb voll?

Unbestechlich: „Ob in der Bankenkrise oder bei meiner Schlüsselaufgabe in Forschung und Wissenschaft“, sagt Albert Rupprecht, „bei hunderten Projekten habe ich kein einziges Mal erlebt, dass jemand mit Geld Einfluss nehmen wollte.“ Moment, einmal doch: „Aber das war vor meiner Bundestagszeit.“ Dass Vertreter der Wirtschaft ihre Sicht der Dinge darlegten, sei dagegen sinnvoll. „Ich höre mir Vorstandsvorsitzende genauso an wie den Landwirt in Tännesberg, um deren Lage zu verstehen.“

Unverstanden: Als zunehmend schwer erträglich empfindet Rupprecht den Kampagnen-Journalismus mancher Medien, die jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf treiben würden. „Bei keinem Thema, zu dem du dich äußerst, weißt du, ob das, was du sagst, auch wiedergegeben wird, oder ob falsch berichtet wird, weil dich ein Journalist nicht leiden kann.“

Unerhört: Generell sehe er die Entwicklung der öffentlichen Diskussion kritisch: „Die Komplexität der globalisierten Welt macht müde, Medien stürzen sich lieber auf Politiker, die eine Show abziehen.“ Es bestehe eine wachsende Diskrepanz zwischen Sein und Schein: „Wenn ich als Abgeordneter Themen vertieft bearbeite, wie etwa meinen erfolgreichen Einsatz für einen gesetzlich verbrieften Lärmschutz bei der Elektrifizierung der großen Nord-Süd-Bahntrassen, wird das ignoriert.“ Andere, die täglich in den Talk-Shows sind, leisteten kaum Sacharbeit, seien aber omnipräsent.

Unzertrennlich: Die zunehmende Aufhebung der Trennung von Exekutive und Legislative sei demokratiegefährdend. „Wenn Kanzler und Minister Staatssekretäre ernennen, um sich in der Fraktion eine Hausmacht zu sichern, mit Personen, die dafür sorgen, dass Ruhe herrscht, ist das viel bedenklicher als die andauernd geführte Debatte, ob 50 mehr oder weniger Abgeordnete im Bundestag sitzen.“ Letztere würden dem Willen des Volkes eher gerecht.

Unberechenbar: „Wie funktioniert Putin?“, laute die Frage bei der Einschätzung der Gefahrenlage auch in Deutschland. „Ich hoffe und glaube, dass der US-Geheimdienst viel mehr weiß als ich“, hofft Rupprecht auf ein absehbares Ende des Krieges. „Ich glaube, dass ein Kern Putins rational ist, und mit einem rationalen Putin, kann man überlegen, wie man aus der Sackgasse wieder herauskommt.“ Deshalb hält er wenig davon, Putin mit Forderungen nach einem Kriegsverbrecher-Tribunal weiter in die Ecke zu drängen: „Ich schließe nicht aus, dass es ein Momentum geben könnte, wenn er sich persönlich in die Ecke gedrängt fühlt, bei dem er sich fragt, welchen Schaden er anrichten kann.“

Ähnliche Artikel

Dazu konnten wir leider nichts finden.

* Diese Felder sind erforderlich.