Ampelregierung ohne Bayern: Sitzt der Freistaat auf der Strafbank?

Berlin/Weiden/Amberg. Es ist vollbracht: Olaf Scholz wird der vierte sozialdemokratische Bundeskanzler. Mit Karl Lauterbach schickt die SPD außerdem den profiliertesten Corona-Bekämpfer ins Rennen. Doch was wird aus Bayern? Die CSU sieht den Freistaat am Abstellgleis.

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Dr. Stephan Oetzinger (CSU).

Der Weidener CSU-Landtagsabgeordnete Stephan Oetzinger ist entsetzt: „Das zweitgrößte, das wirtschaftlich stärkste und wohl weltweit bekannteste deutsche Bundesland ist in der neuen Bundesregierung mit keiner Person vertreten.“ Die lautstärksten Oppositionsparteien im bayerischen Landtag hätten bei ihren Parteispitzen kein Gehör gefunden. „Wenn man immer meint, alles besser zu können, dann sollte man es doch auch besser machen wollen“, sagt Oetzinger. „Ich hätte erwartet, dass sich SPD, Grüne und FDP auf eine Ministerin oder einen Minister aus Bayern einigen können.“

Etwas dezenter formuliert der bayerische Ministerpräsident seinen Unmut: „Schade, dass in der gesamten Bundesregierung kein einziger bayerischer Bundesminister oder bayerische Bundesministerin ist“, schreibt Markus Söder (CSU) auf Twitter, nachdem er zuvor die Ernennung des künftigen Gesundheitsministers ausdrücklich lobt: „Das ist eine gute Wahl. Gratuliere @Karl_Lauterbach. Freue mich auf gute Zusammenarbeit in ernsten Zeiten.“

Mediziner-Lob für Lauterbach

Dass der exzentrische Wissenschaftler Karl Lauterbach nun doch Gesundheitsminister wird, war offenbar keine leichte Geburt. Widerstände in der SPD, Kämpfe um die Quote und verpasste Karrierechancen des Fraktionsvorsitzenden und seines Vizes verzögerten die Nominierung des Rheinländers. Dafür ist das Lob der Fachkollegen umso eindeutiger: „Es freut mich, dass ein Arzt Gesundheitsminister wird“, sagt die Marburger-Bund-Vorsitzende Susanne Johna der Neuen Osnabrücker Zeitung.

Und auch von berufener Oberpfälzer Seite kommt Zustimmung: „Karl Lauterbach kommt aus dem medizinischen Bereich“, erklärt Harald Hollnberger, Ärztlicher Direktor des Klinikums St. Marien in Amberg, gegenüber OberpfalzECHO. „Er hat in vielen Szenarien Recht gehabt, das ist von Vorteil, wenn jemand als Mediziner in so eine Position rückt.“

Oberpfalz-SPD: Kompetenz statt Proporz

Der designierte Chef der Oberpfälzer SPD, Europa-Abgeordneter Ismail Ertug aus Amberg, ist mit der Ministerwahl „sehr zufrieden“: „Scholz hat auf Kompetenz gesetzt.“ Natürlich hätte es auch in Bayern hervorragende Leute gegeben, fügt der Verkehrsexperte hinzu. „Aber bei acht Ministerposten und dem Anspruch, sie paritätisch mit Männern und Frauen zu besetzen, können eben nicht alle zum Zug kommen.“ Augenzwinkernd fügt er eine Spitze gegen die CSU hinzu: „Die Performance der CSU-Minister in der Groko war wohl so schlecht, dass uns das nun als Bayern vor die Füße fällt.“

Dennoch sieht er für den Freistaat alles andere als Schwarz: „Die Überwindung von Hartz IV wird gerade in der nördlichen Oberpfalz spürbar sein.“ Durch die Einführung eines neuen Bürgergelds würde der Sozialstaat modernisiert. „Die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro bedeutet eine Gehaltserhöhung für rund 10 Millionen Bürger, darunter auch viele arbeitende Menschen bei uns in der Region.“

Acht bayerische Staatssekretäre im Rennen

Aus SPD-Parteikreisen ist zu hören, dass drei bayerische Hoffnungsträgerinnen jetzt immerhin als Staatssekretärinnen gehandelt werden: Die Unterfränkin Sabine Dittmar, die als potenzielle Gesundheitsministerin im Gespräch war, die Oberbayerin Bärbel Kofler für das Ressort Entwicklung. Und die Wahl-Bayreutherin Anette Kramme, die bereits seit Dezember 2013 als Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Arbeit und Soziales amtiert.

Auch Bayerns Grüne und FDP müssen mit Staatssekretärinnen vorlieb nehmen. Die Grünen schicken drei Bayerinnen in die Ampel-Regierung: Claudia Roth wird Staatsministerin für Kultur und Medien (im Rang einer Staatssekretärin). Ekin Deligöz aus Neu-Ulm ist designierte parlamentarische Staatssekretärin im Familien-, und Manuela Rottmann aus Unterfranken im Landwirtschaftsministerium. Die FDP entsendet Katja Hessel als Staatssekretärin ins Bundesfinanzministerium und den ehemaligen Dax-Konzernvorstand Thomas Sattelberger (72) ins Bildungs- und Forschungsministerium.

FDP richtet sich nicht nach Regionalproporz

Der Oberpfälzer FDP-Bundestagsabgeordnete Ulrich Lechte kann keine Benachteiligung Bayerns erkennen: „Die Ampel wird eine Politik für Gesamtdeutschland machen“, sagt der Regensburger. „Der Mythos, dass Bayern abgehängt werden soll, ist CSU-Wahlkampfgetöse für die Landtagswahl 2023.“ 116 Bundestagsabgeordnete stelle Bayern, dazu eine Reihe von Parlamentarischen Staatssekretären. „Zudem muss man schauen, welche Positionen die Parlamentarier in Ihrer Fraktion erhalten.“ Erst dann könne man den Einfluss Bayerns auf Bundesebene bewerten.

Der Weidener FDP-Landtagsabgeordnete Christoph Skutella will den Ertrag der Politik generell nicht am Regionalproporz bemessen: „Ich bewerte Politiker nicht nach ihrer regionalen Herkunft.“ Und selbst wenn diese Maßstäbe angesetzt würden: „Dann hat die CSU in der Vergangenheit nicht unbedingt ihre Top-Performer nach Berlin geschickt.“

CSU freut sich auf bayerisches Solo

CSU-Mann Stephan Oetzinger überzeugen diese Argumente freilich nicht. „Ich habe nicht zu Unrecht immer darauf hingewiesen, dass die einzige Vertretung der bayerischen Interessen in Berlin und Brüssel die CSU ist“, bleibt Mantels früherer Bürgermeister bei seinem Statement. „Nun liegt es an uns – darauf freue ich mich – in der bundespolitischen Opposition die bayerischen Interessen klar zu formulieren, deutlich zum Ausdruck zu bringen und für unsere bayerische Bevölkerung den Finger zu heben.“

Nach der Wahl ist vor der Wahl: Noch sei es kein Fehlstart, den die Ampel da hingelegt habe. „Aber ein Start im falschen Gang und sehr holprig ist es auf jeden Fall“, sagt Oetzinger mit Blick auf die Corona-Gesetzgebung, die nur wenige Tage Bestand gehabt hätte, und auf die unbayerische Besetzung der Ministerämter.

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