Bockboanig [ˈbɔkbaɪ̯nɪç]: Kleiner Mann, was nun?

Nordoberpfalz. In dieser Ausgabe meiner Glosse werde ich auch etwas sentimental – das darf man auch als "Kleiner Mann" mal sein.

Montage: Ann-Marie Zell

Manchmal kommt man sich einfach unheimlich klein vor – eine kafkaeske Situation, dieses Gefühl, einer unbekannten Macht hilflos ausgeliefert zu sein. Und dann liege ich wie weiland Gregor Samsa zum Käfer mutiert auf dem Rücken und kann mich weder drehen noch wenden. So ist es dem sprichwörtlichen Kleinen Mann schon immer gegangen.

Der Kleine Mann früher und heute

Früher waren die “Kleinen Leute” rechtschaffen, fleißig und haben selbst entschieden, wem sie etwas von ihrem mühsam Ersparten abgeben. Nebenbei genossen sie die kleinen Freuden des Lebens beim Sport, im Wald und in der Natur, beim Spazierengehen oder beim sonntäglichen Tatort. Außerdem engagierten sie sich noch in zahlreichen Ehrenämtern im Sportverein, in der Pfarrei, in der Gemeinde oder packten einfach mit an, wenn Hilfe gebraucht wurde. Das war für den Kleinen Mann selbstverständlich. Ist es heute leider nicht mehr.

Trotzdem wähnt sich der moderne Kleine Mann in Kafkas “Die Verwandlung”, auch wenn er erst einmal googlen muss, was damit gemeint ist. Aber dann ist er voll in seinem Element. Und schon ist beispielsweise das, was “die da oben” machen, einfach unerhört. Leider hat er aber keine Zeit, sich dagegen zu wehren.

Der moderne Kleine Mann sitzt also in der Falle – zumindest glaubt er das. Aber sitzt man wirklich in der Falle, wenn man zwei Monate auf seine neue Mittelklassenlimousine warten muss oder wenn sich wegen eines Streiks die zweite große Flugreise im Jahr verschiebt (“neben den Wellnesswochenenden und dreimal weg zum Skifahren kommen wir ja kaum raus”). Ist es tatsächlich existenzbedrohend, wenn man sein Paket erst am nächsten Tag in der Packstation abholen kann? Das alles und vieles mehr kann der moderne Kleine Mann beantworten – man muss ja nur seine Profile in den sozialen Medien checken. Dann aber bitte liken und teilen.

Das ist also der große Leidensdruck im Jahr 2023, oder kurz in einer provokanten These zusammengefasst: Der Steingarten ist der Gartenzwerg des modernen Kleinen Mannes.

Freiheit unabhängig vom finanziellen Stockmaß

Vielleicht macht es mal wieder Sinn, daran zu denken, wie gut es uns wirklich geht. Man muss ja nicht zu tief in die Pathoskiste greifen (“Wir haben doch alle etwas zu essen und ein Dach über dem Kopf”), aber vielleicht einfach mal den Status Quo sachlich analysieren und sich freuen.

In der guten alten Zeit hatte der Kleine Mann ein kaputtes Kreuz von der Arbeit oder demolierte Knie von 50 Jahren Fußball. Heute ist das natürlich anders, denn inzwischen neigt der moderne Mensch zur Schnappatmung.

Dyspnoe

Schnappatmung bezeichnet in der Medizin eine schwere lebensbedrohliche Atemstörung bei tief Bewusstlosen, die oft dem Atemstillstand vorausgeht. Die Schnappatmung ist gekennzeichnet durch einzelne schnappende Atemzüge, zwischen denen lange Pausen liegen. In der Laienreanimation wird die Schnappatmung oft nicht als bedrohlicher Zustand erkannt. (Quelle: Wikipedia)

Genau das ist das Problem, dass viele die unendliche Not des schnappatmenden Kleinen Mannes nicht erkennen. Hierbei genügt es nur kleiner Reizworte, um diese auszulösen. Diese Worte könnten sein:

  • Arbeitsplätze
  • Dieselverbot
  • Irgendwas mit Kleber
  • Umwelt
  • Gewinnwarnung (wer weiß eigentlich genau, was das bedeutet?)
  • Streik
  • Armut (ein Klassiker, der früher wohl noch etwas anders definiert wurde)
  • Angst (siehe Anmerkung bei “Armut”)

Das alles und noch viel mehr nennt man selbstverständlich heute “Trigger”. Das klingt flott, stylisch und zeigt dezent und unterschwellig, was für eine komplexe, vielschichtige und außergewöhnliche Persönlichkeit man doch ist. Und da wäre es doch schade, wenn man das nicht auf allen Kanälen 24/7 teilt. Außerdem gibt es ja auch noch lebensrettende Gegenmaßnahmen, die den Kleinen Mann wieder ruhiger schnaufen lassen, wie beispielsweise

  • Irgendeine Prognose des IFO-Instituts
  • Ein großer Vorrat an Toilettenpapier
  • Eine Aussage von Christian Lindner
  • Ein Nachbar, der weniger Gehalt bekommt

Das ist also der Zeitgeist, unser romantisierter Kleiner Mann könnte darüber nur den Kopf schütteln und würde treffend fragen: “Was hat denn so einer eigentlich im Leben geleistet?”

Der Kleine Mann darf nicht sterben!

Wir müssen doch gerade im Kleinen menschlich sein, auch ein Kleiner Mann kann schließlich ein großes Herz haben – das habe ich mir zumindest vorgenommen, denn das macht einen größer als die unüberschaubare Schar der Blender. Es zeigt sich, dass sich der Kleine Mann definitiv zu schlecht verkauft, denn auch er kann mutig sein (frei nach Heinz Erhardt als Finanzbeamter Willi Winzig: “Ich bin kein kleiner Leut, der Staat zahlt mir nur ein kleines Gehalt”). Dann aber bitte auch an der richtigen Stelle.

Lassen wir uns nicht mit Totschlagargumenten und hohlen Phrasen abspeisen, sondern besinnen und auf unsere Stärken und stellen die auch in den Dienst der Gesellschaft. Dann wird einem auch der Gartenzwerg vor dem Haus verziehen.

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