Christian Doleschal: „Der europäische Asylkompromiss wird Wirkung zeigen“
Weiden. Die Politik feiert 75 Jahre Grundgesetz, doch die Republik spielt verrückt. Auf Sylt singen reiche Schnösel „Ausländer raus“, in Thüringen führt Höcke, der Teile der Demokratie abschaffen will. Und in Nachbarländern regieren Rechtspopulisten oder stehen kurz davor. Interviewserie mit MdEP Christian Doleschal (CSU) zur Europa-Wahl (2): Asylpolitik.

Die Verunsicherung in der Bevölkerung durch Fake-News ist messbar. Die Zustimmung zur AfD liegt trotz zweier, inzwischen von der Partei versteckter Kandidaten in Spionageverdacht nach wie vor bei um die 20 Prozent.
AfD und Bündnis Sahra Wagenknecht verbreiten unter anderem das russische Narrativ, Putin habe mit dem Angriffskrieg lediglich auf die Ausbreitung der Nato Richtung Osten reagiert. Trotz der leichten Einbußen der AfD bei jüngsten Umfragen führt die Partei in allen östlichen Bundesländern.
Wie will die Union dem massiven Vertrauensverlust in Sachsen und Thüringen entgegenwirken?
Christian Doleschal: In manchen Regionen Ostdeutschlands zeigen rechte Burschenschaften mehr Präsenz als die alten Volksparteien. Um die AfD kleinzubekommen, müssen sich die etablierten Parteien wieder mehr um die Menschen vor Ort kümmern. Ich weiß, das ist leichter gesagt als getan, wenn Mitglieder und Kandidaten fehlen.
Aber in Sachsen verkörpert, finde ich, Ministerpräsident Michael Kretschmer den Typus des Kümmerers noch ganz gut. Christian Doleschal
Wir müssen uns im Westen auch den despektierlichen Blick Richtung Osten abgewöhnen. Und dann gibt es halt auch noch Trigger-Themen, die den Populisten in die Karten spielen: Die Fehler beim Heizungsgesetz waren ein maximaler Beschleuniger der Unzufriedenheit – und wir müssen die Probleme bei der Zuwanderung lösen.
Die Zunahme internationaler Krisen wird neue Fluchtursachen erzeugen – ganz im Gegensatz zu dem Alibi-Versprechen, wir würden Fluchtursachen vor Ort bekämpfen. Glauben Sie wirklich, dass Aufnahmelager in außereuropäischen Staaten wie Ruanda faire Asylverfahren ermöglichen – und dass sich die Flüchtenden davon abhalten lassen, weiter übers Meer ihr Glück zu versuchen?
Doleschal: Ich denke, dass der europäische Asylkompromiss Wirkung zeigen wird. Die EU-Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament sowie die Europäische Kommission haben sich Ende Dezember vergangenen Jahres auf die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) geeinigt. Jetzt hat auch das Europa-Parlament die zehn Gesetzestexte angenommen und der Einigung zugestimmt.
Wer nicht zugestimmt hat, war die AfD, weil sie kein Interesse an der Lösung des Problems hat. Im Gegenteil: Das böse Spiel mit den Ängsten der Bevölkerung ist die Existenzgarantie dieser Partei. Christian Doleschal
Wie sieht denn diese Lösung aus?
Doleschal: Zu der EU-Asylreform gehört ein wirksamer Schutz der EU-Außengrenzen mit einheitlichen Standards für Registrierungen und Zuständigkeiten, sowie ein verpflichtender Solidaritätsmechanismus. Jeder muss nach der neuen EU-Asylreform künftig an den EU-Außengrenzen strikt kontrolliert und registriert werden. Wer nur geringe Aussicht auf Schutz in der EU hat, wird ein rechtsstaatliches Asylverfahren an den Außengrenzen durchlaufen und im Fall einer Ablehnung von dort zurückkehren müssen.
Wie soll man sich denn ein rechtsstaatliches Asylverfahren an den Außengrenzen vorstellen? Unsere Richter sind doch schon mit dem deutschen Rechtssystem heillos überfordert.
Doleschal: Alle Asylsuchenden werden an den Außengrenzen einem verpflichtenden Screening unterworfen. Alle Personen, die aus einem Land kommen, welches EU-weit eine Schutzquote von unter 20 Prozent hat, müssen ins Grenzverfahren. Aber auch Personen, die über einen sicheren Drittstaat gekommen sind, können in das Grenzverfahren geschickt werden.
Was aber nichts an den Fluchtursachen ändert?
Doleschal: Kommunalpolitiker aller Couleur beschreiben die Lage vor Ort als dramatisch. Die Aufnahmekapazitäten sind erschöpft, von echter Integration ganz zu schweigen. Wir sind aber genauso wie die Asylsuchenden auf die Akzeptanz der Bevölkerung angewiesen.
Geschlossene Turnhallen werden für noch mehr Unmut sorgen. Die Zahlen müssen nach unten gehen. Christian Doleschal
Unsere Bürger haben auch ein gutes Gefühl für Gerechtigkeit. Wenn die Asylsuchenden nicht arbeiten dürfen, aber Bürgergeld bekommen, ist das Wasser auf die Mühlen der AfD. Deshalb müssen wir die Pull Faktoren verringern.
Und dann bleiben die Asylsuchenden, die ihr Leben riskiert haben, um nach Europa zu kommen, lieber perspektivlos in Nordafrika?
Doleschal: Wir suchen nach dem bestmöglichen Kompromiss für alle Beteiligten. Von destabilisierten Demokratien haben Asylsuchende auch nichts.
Wahlprogramm CDU/CSU zur Europawahl 2024
Bei der vergangenen Europawahl im Jahr 2019 hatten die Christlich Demokratische Union Deutschland (CDU) und die Christlich Soziale Union (CSU) erstmals ein gemeinsames Wahlprogramm für die Europawahl aufgestellt. Auch zur Europawahl 2024 haben die Parteien wieder zusammen ein Wahlprogramm erarbeitet, das sie einstimmig beschlossen und am 11. März 2024 der Öffentlichkeit präsentiert haben. CDU-Parteichef Friedrich Merz und CSU-Parteichef Söder betonten die Geschlossenheit der Union.
- „Union pur“: Das Wahlprogramm sei „Union pur“ und ein klares Angebot an die politische Mitte, aber auch für „Mitte-bürgerlich, konservativ, rechts“, so Söder: „Wir wollen ein bürgerlich-konservatives Europa.“
- Sicherheit: CDU und CSU setzen ihren Fokus im Europawahlkampf auf den Bereich Sicherheit und Verteidigung. Sie plädieren für eine massive Aufrüstung der Europäischen Union, inklusive Flugzeugträger und eigenem Raketenschirm. Zudem fordern sie einen eigenen EU-Verteidigungskommissar. Da sich die Sicherheitslage in Europa in den vergangenen Jahren insbesondere durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine fundamental verändert habe, müsse für Europas Sicherheit und Wehrhaftigkeit deutlich mehr getan werden.
- Gegen Verbrenner-Aus: Außerdem drängen die beiden Parteien darauf, das umstrittene Verbrenner-Aus ab 2035 rückgängig zu machen. Die deutsche Spitzentechnologie des Verbrennungsmotors sollte erhalten und technologieoffen weiterentwickelt werden, heißt es im Wahlprogramm.
- Für Emissionshandel (ETS): Merz verteidigte ein Kernstück des Green Deal der EU, den europäischen Emissionshandel (ETS), gegen Kritik, dass dieser die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrien weiter verschlechtern werde. „Wir sehen es umgekehrt. Wir sehen es als eine Chance an, wettbewerbsfähige Produkte auf der Basis von Klimaneutralität zu entwickeln“, sagte er.
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