Darum stand Rachid C. vor Gericht: Rangelei in Zelle um ein Handy

Regensburg. Seit zehn Jahren sitzt Rachid C. seine "lebenslänglich" in der JVA Straubing. Von dort aus nahm der Mörder Kontakt zur Außenwelt auf: mit einem illegalen Handy.

Foto: Ann-Marie Zell

Bayerische Strafgefangene dürfen laut Gesetz nur in dringenden Fällen mit ihren Angehörigen telefonieren. Handys sind verboten. Und trotzdem gelingt es Häftlingen immer wieder, sich ein Smartphone zu besorgen. Ein solches eingeschmuggeltes Telefon war Auslöser, dass Rachid C. am Donnerstag, 5. Januar 2023, in Regensburg vor Gericht stand.

OberpfalzECHO liegt die Anklage vor. Demnach hatte der 2013 zu lebenslang verurteilte Mörder in der JVA Straubing ein Handy benutzt. Am späten Abend des 3. Juli 2021 gegen 22.20 Uhr bekam er deshalb Besuch in seiner Zelle. Vier Mitarbeiter der JVA “öffneten den Haftraum”, so die Staatsanwaltschaft, weil der konkrete Verdacht bestand, dass ein Mobiltelefon in Benutzung war.

Mit dem Eintreten der Beamten habe der Algerier das Mobiltelefon ausgeschalten und in die Toilette geworfen. Es kam zur Rangelei, bei der der Gefangene die Justizvollzugsbeamten “pausenlos” mit Fäusten und Fußtritten traktiert habe. Der Versuch des Häftlings, das Telefon hinunterzuspülen, scheiterte. Ein Beamter erlitt ein Hämatom am Oberschenkel.

Route Regensburg-Straßburg: 5,5 Autostunden

Am Ende sei der 40-Jährige auf dem Toilettenboden fixiert worden, so die Anklage. Das Delikt: tätlicher Angriff und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Der Mann wurde in das Würzburger Gefängnis verlegt und ein Gerichtsverfahren in Regensburg terminiert. Die vier Verhandlungstage am Amtsgericht Regensburg bedeuteten für Rachid C. vier bewachte “Ausflüge” quer durch Bayern: von der JVA Würzburg zum Amtsgericht Regensburg. Den letzten Tag nutzte er bekanntermaßen zur Flucht.

Polizei und Staatsanwaltschaft haben angekündigt, den Fluchtweg rekonstruieren zu wollen, um Helfer zu ermitteln. Die Spur des Flüchtigen verlor sich am Donnerstag, 5. Januar, im Bereich des Bahnhofs/Busbahnhofs in Regensburg. Die Polizei prüfte sein Umfeld und stieß früh auf Familienangehörige in Frankreich. Am Sonntag, 8. Januar, lokalisierte die Polizei “Kontaktpersonen von Rachid C.” in einem Pkw auf einer Autobahn in Baden-Württemberg, Fahrtrichtung Westen. Der Wagen passierte die Grenze; die französischen Fahnder übernahmen. Laut Polizeivizepräsident Thomas Schöniger standen die Ermittler “in Echtzeit” in Kontakt.

Schwester aus Südfrankreich half

Französische Medien berichten über den Zugriff nahe des kleinen Ortes Farébersviller, etwa 100 Kilometer nördlich von Straßburg, unweit der deutschen Grenze. Sie berufen sich auf Erkenntnisse der französischen Polizei. Demnach konnte ermittelt werden, dass eine der Schwestern des Algeriers mit dem Zug aus Südfrankreich angereist und in Straßburg ein Auto gemietet habe. Sie holte ihren Bruder am Montag, 9. Januar, im Stadtzentrum von Straßburg ab und nahm die Autobahn A4 in Richtung Paris.

Erst als gesichert war, dass es sich bei dem Insassen tatsächlich um Rachid C. handelte (Bart und langes Haar waren ab, er trug einen Hut), entschied man sich zum Zugriff. Mit Verstärkung der Brigade Metz habe die Nationale Fahndungsbrigade der Kriminalpolizei den 40-Jährigen gegen 18 Uhr auf einem Autobahnparkplatz festgenommen, meldet die Lokalzeitung “La Républicain Lorrain”.

Derartige Flucht in Weiden “undenkbar”

Nachbearbeitet werden in Regensburg auch die Umstände der Flucht. Das Fenster des Anwaltszimmer zur Augustenstraße lässt sich problemlos öffnen. Auch bei der Justiz Weiden gibt es einen Besprechungsraum außerhalb der Sitzungssäle. Aber bei diesem haben die Fenster entweder gar keinen Knauf oder können nur wenige Zentimeter gekippt werden. Üblich ist es zudem, dass Angeklagte mit Fußfesseln aus der Haft vorgeführt werden. Die Entscheidung liegt bei den Vorführbeamten. In Bayern sind das in der Regel Beamte der örtlichen Polizeiinspektion, die dafür abgestellt werden.

Auch bei der Justiz Weiden gab es vor rund 20 Jahren mindestens zwei Fluchtversuche: Die Angeklagten liefen damals durch den Haupteingang davon und mussten per Fahndung im Stadtgebiet gesucht werden. Seither hat die Justiz im Eingangsbereich zusätzlich eine Drehtür, durch die Besucher einzeln und recht langsam ein- und ausgehen müssen.

Polizeipräsidium und Staatsanwaltschaft informierten in einer Pressekonferenz über die Festnahme.

“Lebenslänglich”

Ein zu lebenslänglicher Strafe verurteilter Täter kann frühestens nach 15 Jahren auf Bewährung entlassen werden.

Anders ist dies wie im Fall Rachid C.: Wenn das Gericht eine besondere Schwere der Schuld erkennt, ist die Entlassung nach 15 Jahren nicht möglich.

Dann legt eine Strafvollstreckungskammer fest, wie viel Strafe zusätzlich verbüßt werden muss. Eine Obergrenze gibt es dabei nicht.

Von den 119 Personen, deren lebenslange Freiheitsstrafe im Jahr 2020 beendet wurde, wurden 68 auf Bewährung entlassen. Die Hälfte von ihnen hatte mehr als 17,9 Jahre im Vollzug verbracht. Quelle: Kriminologische Zentralestelle e.V.

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