Dem Himmel ein Stück näher

Fuchsmühl/Ischgl. Ganz nah dran am Corona-Hotspot Ischgl und doch so weit weg von der Gefahr. Unser Mitarbeiter Udo Fürst erzählt von seinem Kurz-Skitrip der etwas anderen Art in Tirol.

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Dem Himmel so nah und weit weg von allem Irdischen: Wanderer auf dem Venet.

Stille. Ich genieße sie. Anderen ist sie unheimlich. In 2.212 Meter Höhe reduziert sich das Leben auf das Wesentliche – für die meisten zumindest. Die Stille kann erholsam oder bedrückend sein. Beeindruckend ist sie für jeden, vor allem an diesem Märztag, dem Tag des Super-Monds, wo man dem Himmel in der Sternwarte auf dem Genussberg Venet noch ein Stück näher zu sein scheint als sonst. Im Gegensatz dazu glaubt man sich auch weit weg von der Gefahr des Coronavirus.

Man weiß zwar vom Ausbruch der Pandemie in Italien und in Südtirol, doch so richtig beängstigend ist das – noch – nicht. Dass sich weiter unten im Tal nur 30 Kilometer entfernt in Ischgl ein Coronahotspot entwickelt hat, weiß in diesem Moment niemand.

Eine Exkursion auf den Venet im Tiroler Oberland ist eine wohltuende und lehrreiche Alternative zum vergnügungssüchtigen und alkoholschwangeren Skitourismus, der nur wenige Kilometer weiter fröhliche Urständ feiert. Auf dem Zamser Hausberg mit seinem fast niedlich kleinen Skigebiet ist alles anders. „Der Nachthimmel bringt Männer zum Weinen“, sagt Dr. Norbert Span. Der Astronom und Ideengeber der Sternwarte schwärmt, wenn er seinen Gästen erklärt, wie „kleine Himmelsvagabunden um die Sonne sausen“ oder warum der Mond an diesem Tag besonders groß ist.

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Der Super-Mond über dem Tiroler Oberland – ein beeindruckendes Schauspiel.

Sternenhimmel und Ruhe, die überwältigen

Am Venet wurde 2019 die erste Volkssternwarte Nordtirols eingeweiht. Wegen der Lichtverschmutzung verliere man in Europa immer mehr vom Nachthimmel, erzählt Span. Sterne würden von künstlichen Lichtquellen überstrahlt. Weltweit entstehen immer mehr Dark Sky Parks, sogenannte Lichtschutzgebiete. In Tirol gebe es abseits der Universitätssternwarte keine Angebote, erklärt der Astronom. „Der Standort am Venet ist ideal. Man spürt zwar das Licht von Landeck, aber es ist dunkel genug und es gibt eine Infrastruktur am Berg.“

Jeder will einen Blick erhaschen durch das riesige Teleskop im Turm der Sternwarte, wo der Astronom die Ringe des Saturn, die Pole des Mars, auf denen das gefrorene Eis glitzert, die Sonneneruptionen oder eben den Mond erklärt, aus dem bei näherer Betrachtung „richtige Gebirge ragen“. Es sei ein Luxus, der Stille und dem Himmel so nah zu sein, sagt Span. Die mir als oft gehetztem Journalisten fast unwirklich erscheinende Ruhe und die absolute Dunkelheit ist für viele Menschen unvorstellbar.

Nur wer schon einmal im Gebirge im Freien oder auf einer Hütte übernachtet hat, kann ermessen, wie überwältigend der Anblick des Sternenhimmels ist

weiß Span. Im Observatorium, dessen Herzstück sich in einer großen Plexiglaskuppel befindet, sind zwei Teleskope untergebracht: ein Spiegelteleskop mit 40 Zentimetern Durchmesser für die Nacht sowie ein Linsenteleskop mit zehn Zentimetern Durchmesser und einem speziellen Filter, um tagsüber die Sonne beobachten zu können. Allein das Equipment kostete rund 50.000 Euro, die gesamte Sternwarte knapp 150.000 Euro.

„Astrotourismus“ – zurück zur Natur

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Span weiter: „Der Trend gehe zurück zur Natur. Es ist ein Alleinstellungsmerkmal, von dem wir uns mehr Übernachtungen und Tagesgäste erhoffen.“ Dabei stand das kleine Skigebiet oberhalb von Zams noch vor ein paar Jahren vor dem Aus. Eine Initiative von Unternehmern aus der Region rettete das Juwel, in dem sie die Venet-Gipfelhütte baute. Heute bietet das fast schon an eine Nobel-Herberge erinnernde Haus Zimmer mit Bergblick und einen gastronomischen Bereich, der seine Gäste mit außergewöhnlichen Gaumenfreuden betört.

Norbert Span, der charmante Astronom, Erzähler und Visionär aus Steinach am Brenner nennt das Angebot der Venet-Bergbahn, zu der die Sternwarte gehört, „Astrotourismus“. Der eher an einen Mittvierziger erinnernde 53-jährige durchtrainierte Naturmensch will mit dem Angebot keine wissenschaftlichen Abhandlungen anbieten, sondern die Besonderheiten der Natur aufzeigen, die dem Normalbürger längst nicht mehr geläufig seien. Und er erzählt von seinen Erfahrungen: „Ich habe gestandene Männer, Familienväter, erlebt, die zum ersten Mal die Milchstraße gesehen und zu weinen begonnen haben.“

Am Abend des Super-Monds spricht keiner vom Coronavirus. Zu abstrakt und zu weit weg scheint die Gefahr, die uns ein paar Tage später mit voller Wucht erreichen soll. Einen Tag nach unserer Abreise wird Tirol unter Quarantäne gestellt, alle Skilifte, Hotels und Restaurants müssen wenig später schließen. Auch am Genussberg Venet kehrt jetzt die totale Ruhe ein – noch mehr, als allen lieb sein dürfte.

Ich werde den Venet mit all seinen unvergleichlichen Eindrücken so schnell nicht vergessen. Und ich werde nicht vergessen, dass ich mich nach der Rückkehr wegen meines Tirol-Aufenthalts zwei Wochen in häusliche Quarantäne begeben durfte. Obwohl ich auf dem Venet dem Himmel näher zu sein schien als der Gefahr durch ein tödliches Virus.

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Fotos: Norbert Span und Markus Dertnig

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