Denkwelt Halmesricht Teil 2: Keine Angst vor Künstlicher Intelligenz

Weiden. Selbstfahrende Autos, Post-Drohnen über den Städten, Roboter als Pflegekräfte: Im zweiten Teil des Denkwelt-Interviews diskutieren Christian und Lars Engel mit Professor Erich Bauer über Chancen und Risiken der Künstlichen Intelligenz.

Die Vordenker der Denkwelt: LUCE-Vorstand Professor Erich Bauer (von rechts) sowie die Stiftungsbrüder Lars und Christian Engel. Bild: David Trott

Professor Patrick Glauner von der Technischen Hochschule Deggendorf kämpft gegen die geplante KI-Regulierung wie weiland ein spanischer Edelmann gegen Windmühlen. Welche negativen Konsequenzen befürchten Sie von solch einer Überregulierung?

Lars Engel: Das ist, wie wenn wir uns vor einigen Jahren angemaßt hätten, uns gegen die mRNA-Impfstoffentwicklung zu wenden.

Christian Engel: Die typische deutsche Angst, vor Dingen, die wir nicht verstehen. Wir haben intern entschieden, dass wir unsere KI-Aktivitäten drei Jahre beobachten. Wenn es nicht möglich ist, diese Technologie wirtschaftlich einzusetzen, werden wir das, was wir hier angefangen haben, in China zu Ende bringen. Wir werden den Erfolg unseres Unternehmens nicht davon abhängig machen, dass Menschen etwas regulieren, was sie nicht verstanden haben. Wenn Einstein heute leben würde, wäre die friedliche Nutzung der Kernenergie nicht möglich.

Lars Engel: Der Deutsche sagt, er kann seine Krankenakte nicht offen legen. Der Chinese sieht das ganz anders: Natürlich lege ich sie offen, es wird einen geben, der die gleiche Krankheit hat und dem geholfen werden konnte – das hilft auch mir.

Herr Bauer, Sie kommen nicht aus der Technik, sondern von der Theologie: Sehen Sie auch keinen KI-Regulierungsbedarf – jetzt vielleicht weniger bei intelligenten Wellpappenmaschinen aber in puncto autonomes Fahren, Rush Hour der Drohnen, Hate-Speech-Algorithmen?

Professor Bauer: Das ist ein Punkt, den ich etwas anders sehe als ein klassischer Unternehmer. „Regulierung“ hat immer auch mit Bevormundung, Angst oder Verärgerung zu tun. „Regel“ wäre die moderatere Bezeichnung, die mehr Spielraum lässt. In der Wirtschaftsethik spricht man auch von Spielfeld, Spielregeln, auf und mit denen Spielzüge austariert und gerecht gemacht werden können. Ich sehe bei dem Regelrahmen, den die EU vorbereitet hat, keine großen Änderungsmöglichkeiten. Ganz ohne Regeln wird’s nicht gehen. Die Frage ist, gelingt es, Anwendungen und Produkte mit KI in Abhängigkeit vom Risiko zu regeln, das von ihnen ausgeht? Die Zuordnung von KI-Systemen in die vier vorgesehenen Risikoklassen von minimal bis unannehmbar muss sauber strukturiert werden. Und: Man muss so eine Regel auch ändern dürfen. Wer aber übernimmt das? Eine europäische Superbehörde zum Wohle der Gesamtbevölkerung? Lebensbedrohliche Entscheidungen beim autonomen Fahren haben eine andere Risikoklasse als wenn’s um die Produktion geht. Ob da jemand an der Applewatch oder am Bildschirm steuert, ist nicht lebensgefährlich.

Christian Engel: Zum autonomen Fahren gibt es zahlreiche Studien, die zeigen, die Maschine kann das besser als der Mensch. Es gibt eine schwache und eine starke KI. Die starke fängt da an, wo man darüber nachdenkt, wie sie eine bessere Entscheidung treffen kann als der Mensch. Davon sind wir hunderte Meilen entfernt. Im Bereich der schwachen KI geht es darum, Software-Programmierungsprozesse zu automatisieren, um Menschen von stupiden Tätigkeiten zu entlasten. Wenn das auch noch reguliert wird, dann bewegen wir uns nur noch mit wenigen Metern pro Stunde vorwärts, dann werden wir das nicht mehr erleben. Menschen wird Angst gemacht vor dieser schwachen KI. Wenn jemand Angst hat vor Krankheiten, die er nicht versteht, geht er am besten zum Doktor. Wenn wir für unser Logistikzentrum Drohnen einsetzen, hat die eine Flugroute über nicht bebautes Gebiet. Dafür gibt es einen Bebauungsplan, der festlegt, wo kein Mensch rumläuft …

Lars Engel: Ein Drohne sieht, wo ein Mensch ist ….

Christian Engel: Die KI erkennt einen Jogger – auch ein Thema, über das man in der Denkwelt nachdenken könnte.

Christian Engel fordert mehr Tempo beim Bauprojekt Denkwelt. Bild: Jürgen Herda

Sie haben Ihr geplantes Logistikzentrum bereits als Best-Practise-Beispiel einer KI-Anwendung in unserer Region geschildert. Welche Branchen lassen sich noch revolutionieren?

Christian Engel: Wir haben hier das Thema Drohnen und autonomer Verkehr in Weiherhammer als Pilotregion. Hier können wir keine Lkw-Fahrer einsetzen. Wir müssen vor Ort rausbekommen, wie schwer es ist, menschlichen und autonomen Verkehr zu mixen. Das kann man hier ausprobieren.

Professor Bauer: Zum Thema ausprobieren passt das ALIA-Projekt der LUCE-Stiftung – Agil Leben Im Alter. Dazu entsteht in Weiherhammer ein Seniorenpark, bei dessen Planung die Bevölkerung eingebunden wird. Kooperationspartner sind der Verein für seelische Gesundheit im Alter und Experten aus der Wissenschaft. Wir wollen das Thema Seniorenheim neu denken – bis zur Beobachtung von Demenzkranken im Bewegungsprofil: Wann setzt ein Fluchtgedanke ein, kann eine KI das vorhersehen? Wir neigen dazu, Probleme aus einem Inbox-Denken heraus anzugehen. Das ist wie bei den Erfindern des Autos – das erste Auto war eine Kutsche mit Motor. Um einen Gedankensprung zu schaffen, braucht man andere Denkmuster.

Christian Engel: Man kann sich anschauen, wie machen das andere. In Hangzhou, wo sich auch das Headquarter der Alibaba Gruppe befindet, ist eine Pflegekraft für 4.000 Senioren, die zu Hause leben, zuständig. Sie stellt sicher, dass Essen bestellt und geliefert wird, dass tagsüber nichts passiert, organisiert Hilfe in der Nacht. Das geht nur mit gewaltiger KI-Unterstützung. Die Senioren haben alle eine Huawei-Watch und Sensoren in der Wohnung. Erst wenn die KI sagt, da ist was, das kenne ich nicht, bimmelt bei dieser Person das Telefon. Und dann gucken Sie mal, was die für Kosten im Gesundheitswesen haben in Zukunft und welche wir haben. Bei uns bräuchte man dafür 500 Leute. Erstens gibt es die gar nicht, und wenn: Wer bezahlt die dann? Wir drehen uns da ständig im Kreis.

Lars Engel: Bei uns muss man zusätzlich noch händisch 500 Akten ausfüllen.

Christian Engel: Wenn Sie so etwas erzählen, sagt man ihnen, „in China werden die Menschenrechte verletzt“. Das ist schon richtig, hat aber nichts mit dem Thema zu tun. Ich möchte in China auch keiner Minderheit angehören.

Lars Engel kritisiert, dass Deutsche immer zuerst die Risiken sehen, wo Chinesen bereits von den Chancen profitieren. Bild: Jürgen Herda

Wenn Sie die zunehmend selbstherrliche Ausrichtung des chinesischen Regimes auch nach außen sehen, haben Sie da keine Bedenken, dass Sie als Investoren in Schwierigkeiten geraten könnten?

Christian Engel: Wir sind seit 20 Jahren in China. Während dieser Zeit kann ich nicht feststellen, dass sich irgendetwas für uns verschlechtert hätte. So lange es in den chinesischen Zeitgeist passt, können wir dort gut arbeiten. Der Umweltschutz wird ernster genommen als in Deutschland. Im Februar 2020 war meine letzte Reise nach Wuhan. Man hat mir gesagt, welche Vorschriften ich zu beachten habe. Ich habe gefragt, ob das ernst gemeint ist. Die Antwort: „Wenn wir uns nicht daran halten, und ein Mensch Schaden erleidet, verbringen Sie die nächsten acht Jahre im Gefängnis.“ Und wenn ich nicht unterschreibe? „Dann sperren sie das Unternehmen sofort zu.“ Niemand kam zu Schaden und wir haben hier in Weiherhammer die gleichen Regeln durchgesetzt.

Stefan Ziegler will den Holzbau als CO2-sparende Revolution im großen Stil in Deutschland durchsetzen – und würde sich dazu eine Holz-Hochschule wünschen. Gibt es mit Ihrem Unternehmen, dessen Maschinen den nachwachsenden Rohstoff Pappe verarbeitet, Berührungspunkte? Zumindest in der Nachhaltigkeits-Kommunikation und auch in der Denkwelt?

Christian Engel: Sowohl Holz als auch Pappe sind eine nachwachsende und damit nachhaltige Ressource. Unsere beiden Unternehmen setzen sich mit Lösungen auseinander, um den Klimawandel in den Griff zu bekommen. Ich denke wir brauchen einen Schwenk vom technologischen Nukleus KI hin zu Global Warming. Das wird jetzt wirklich ernst. Das Thema rückt immer näher. Stattdessen entwickelt die EU eine Taxonomie, um das in den Griff zu kriegen, ohne zu wissen, was sie in den Griff kriegen muss.

Lars Engel: Für Unternehmer ist das unbegreiflich. Ich finde aber, dass eine Hochschule für die gesamte Region und alle Unternehmen einen Nutzen haben sollte.

Theologe Professor Erich Bauer fühlt sich durch den Missbrauchsskandal der katholischen Kirche in seinem Innersten erschüttert. Bild: Jürgen Herda

Gretchenfrage in schweren Zeiten: Wie gehen ein Theologe und ein verantwortungsbewusster Unternehmer mit dem Missbrauchs-Tsunami um, der derzeit fast die gesamte katholische Amtselite wegzuspülen droht?

Professor Bauer: Mich hat die Diskussion sehr mitgenommen. Was jetzt an den Tag kommt, betrifft mich in meiner Vita im Kern. Mein Vater war Mesner, ich bin in einem katholischen Umfeld groß geworden. Pfarrer sind bei uns ein- und ausgegangen. Das trifft einen, wenn man von den furchtbaren Taten hört, was junge Menschen erleiden mussten. Ich gebe zu, es gibt Phasen, da schäme ich mich für den ganzen Laden. Auf der anderen Seite, wenn ich in die Kirchengeschichte schaue, war die Kirche immer in der Lage, sich zu reformieren. Da bin ich grenzenloser Optimist. Nur nützt das den Opfern gar nichts. Den Opfern hilft es nur dann, wenn Entscheidungen getroffen werden. Dazu gehört auch, dass die Verantwortlichen das ernst nehmen, was wir aus der Beichte wissen: Gewissenserforschung, Reue und Umkehr. Ich glaube nicht, dass die Kirchen das selber lösen können. Ich denke, es ist sinnvoll, wenn die Fäden an zentraler Stelle zusammenlaufen. Die Trennung zwischen Kirchen- und Strafrecht ist nicht mehr zu halten. Die Folge des Missbrauchs ist ein dreifach so hoher Austritt aktuell auch in Amberg und Weiden. Wenn man sieht, wie sich alle Parameter der katholischen Kirche in Deutschland entwickeln, dann macht rechnerisch 2051 der letzte Katholik das Licht aus. Der Kirche läuft die Zeit davon und auch die Menschen. Ich warte auf klare Zeichen, Verantwortung zu übernehmen, die Personalplanung anders zu gestalten, anstatt die Hälfte der Menschheit auszugrenzen.

Christian Engel: Eine kleine Minderheit richtet großes Unheil für eine Mehrheit an. Und die Amtskirche ist in ihrer Mehrheit nicht in der Lage, die kleine Minderheit zur Räson zu bringen. Ich weiß nicht, was passieren muss, damit sie sich reformieren kann.

Lars Engel: Man muss aber auch darauf hinweisen, dass solche Dinge in allen Gesellschaftsbereichen stattfinden.

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Lederhose und Laptop, Natur und Future-Lab: Die Denkwelt will sich auch der Existenzfrage Klimawandel stellen. Bild: David Trott

Denkwelt Oberpfalz

  • Leitmotiv: Die Denkwelt Oberpfalz als Leuchtturm für das Forschen, Arbeiten und Leben der digitalen Zukunft.
  • Zielsetzung: Um eine Spitzenposition als Region der Zukunft zu halten und auszubauen will die Lars und Christian Engel Stiftung (LUCE) die digitale Transformation proaktiv mitgestalten, damit möglichst viele Menschen und Unternehmungen aus den daraus entstehenden Trends profitieren.
  • Partner: Dieses Ziel verfolgt sie zusammen mit der Ostbayerischen Technischen Hochschule Amberg-Weiden und der Stadt Weiden. Die Denkwelt als innovativer, für alle offener Ort, in dem das Forschen, Arbeiten und Leben der digitalen Zukunft modellhaft mitentwickelt, erprobt und gelebt werden kann, soll bis zum Jahr 2024 in Weiden realisiert werden.
  • Standort Halmesricht: Die LUCE-Stiftung hält bereits Flächen für die Denkwelt in Halmesricht vor. 20 Hektar in der Natur als Gegenpol zur fortschreitenden Urbanisierung. Die Fläche wird als Grundlage für einen neuen Stadtteil der Stadt Weiden verstanden und ist frei überplanbar.
  • Vision 2024: Die Schaffung und Vertiefung von Beziehungen zu interessierten Unternehmen und Forschungseinrichtungen steht nun im Fokus.

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