Deutsch-deutscher Stasi-Thriller: BR-Journalist mit Deckname „Antenne“

Weiden. Weil er Brieffreunde in der DDR besucht, wird er von der Stasi überwacht. Indizien dafür nimmt er auch damals schon wahr. Dass seine Akte auf 400 Seiten anwachsen würde, hätte er sich nicht träumen lassen. Verstörende wie skurrile Erfahrungen verarbeitete Eberhard Schellenberger in dem deutsch-deutschen Stasi-Thriller „Deckname Antenne“.

Eberhard Schellenbergers „Deckname Antenne“ und die Lauscher vom Dienst, Erich Honecker und Erich Mielke. Bildkombi: Echter-Verlag/Bundesarchiv

Das komplizierte deutsch-deutsche Verhältnis begleitet den Würzburger Journalisten Eberhard Schellenberger (65) ein Leben lang. Seine Erfahrungen mit dem schwierigen Leben „drüben“, mit leidtragenden Freunden wie unsichtbaren Feinden, hat der pensionierte Leiter des BR Studios in Würzburg in dem autobiografischen Stasi-Thriller „Deckname Antenne“ verarbeitet.

Am Mittwoch, 14. Juni, 19 Uhr, liest er daraus in der Regionalbibliothek Weiden – flankiert von Bildern, Ausschnitten von Stasi-Akten und Originaltönen aus dem BR Archiv.

Städtepartner Suhl und Würzburg

35 Jahre werden es in diesem Herbst, dass Würzburg und das damals in der DDR gelegene Suhl ihre Städtepartnerschaft besiegeln – ein Jahr vor der demokratischen Revolution im Herbst 1989. In der Hochphase des Kalten Krieges waren solche Partnerschaften undenkbar. Die „Hallstein“-Doktrin, auf eine strikte Nichtanerkennung der DDR geeicht, lehnte jede Geste ab, die zu einer Normalisierung der deutsch-deutschen Beziehungen geführt hätte.

Erst die Ostpolitik Willy Brandts und später Gorbatschows Perestroika erlaubten kommunale Annäherungen. Mitte 1986 bekundeten 300 westdeutsche Städte und Gemeinden Interesse an einer solchen Verbindung, ein Jahr später schon fast 500. Bis zum Untergang des SED-Regimes 1989 wurden insgesamt 62 Städtepartnerschaften geschlossen – auch zwischen Würzburg und Suhl.

Straßenszene in Suhl aus den 1980er Jahren. Foto: Bundesarchiv-Bild 183-Z0829

Austausch von Kirchengemeinden

„Kontakte gab es schon viel früher“, erklärt Schellenberger die damalige Brieffreundschaft. „Vor dem Mauerbau gab einen Austausch von Kirchengemeinden in Ost und West“, erinnert er sich, „Uschi, ein kleines Mädchen, um die 6 Jahre alt, verbrachte ihre Ferien bei uns in Zell am Main.“ Nach dem Mauerbau riss der Kontakt ab. Was blieb, waren die Brieffreundschaft und Pakete nach drüben.

„Warum fahren wir nicht hin?“, habe ihn eines Tages seine Frau gefragt. Schellenberger stellt einen Antrag und kann im Orwell-Jahr 1984 zum ersten Mal nach drüben. „Als der Antrag zurückkam, stand da plötzlich Bayerischer Rundfunk und die volle Adresse darauf“, habe er sich schon etwas gewundert, zumal er das nicht angegeben habe. Wie er heute weiß: „Von Anfang an heftete sich die Staatssicherheit an unsere Fersen – von bis zu fünf Leuten wurden wir minutiös überwacht.“

Schwarzer Lada im Rückspiegel

Zum ersten Mal Wind von den Bewachern bekommt er während eines Besuchs bei Freunden bei Dresden. „Bei einem Ausflug machte mich mein Freund auf einen schwarzen Lada aufmerksam, der uns folgte.“ Als er langsamer fährt, verringert der Verfolger das Tempo. „Wir gingen in eine Gaststätte, zwei Männer in Trenchcoats folgten uns und setzten sich auffällig an einen Nachbartisch.“ Als die Freunde bewusst Quatsch reden, registrieren die Verfolger: „Sie wissen Bescheid.“

An eine zweite Begegnung der nur bedingt unauffälligen Art erinnert sich Schellenberger: „Als ich einmal durch die Fußgängerzone in Suhl ging, blieb ein Mann hinter mir jedes Mal stehen, wenn ich ins Schaufenster schaute.“ Der Journalist fragt anschließend im Hotel seinen freundlichen Städtepartner-Ansprechpartner: „Kann es sein, dass ich beobachtet werde?“ Der habe nur gelacht und gefragt: „Wieso denn, du bist unser Gast?“ Aus seiner Akte weiß Schellenberger heute: „Der Mann war mein Haupt-IM.“

Straßenszene in Dresden aus den 1980er Jahren. Foto: jrh

An allen Ecken stand einer

Meist sind es Kleinigkeiten, die ihn immer mal wieder stutzen lassen: „Wenn ich mit Suhl telefonierte, hat das immer lange gedauert, bis die Leitung stand.“ Die vielen Gespräche von damals könne er nur veröffentlichen, weil die Stasi alles mitgeschnitten hat. „Alle Kontaktpersonen wurden überwacht“, erzählt Schellenberger, „im Zuge der Partnerschaften wurden wir vier Journalisten von 20 Leuten überwacht – an allen Ecken stand einer.“

Dabei habe es sich ausschließlich um harmlose, unpolitische Begegnungen gehandelt. „Die hatten immer Angst, dass wir über was berichten könnten, was sie verbergen wollten.“ Meist habe er touristische Themen behandelt: „Man konnte aus dem unterfränkischen Landkreis im kleinen Grenzverkehr Ausflüge machen“, beschreibt er die neue Normalität an der Grenze. Man sei in der DDR wohl überzeugt gewesen, „dass wir dem BND zulieferten“.

Material für eine Erpressung?

Schellenbergers Haupt-IM von der Pressestelle des Bezirks Suhl betreut die Gruppe: „Wir duzten uns, ich freute mich, dass zwei Deutsche aus unterschiedlichen Staaten miteinander reden konnten.“ Gespräche über den Alltag in der jeweiligen Heimat: „Wir waren beide jung verheiratet“, sagt Schellenberg, „er wollte wissen, wie man bei uns ein Haus finanziert.“ Der Würzburger erklärt ihm die Konditionen eines Bankkredits. Der Spitzel notiert, Schellenberger sei hoch verschuldet. Potenzielles Material für eine Erpressung? „Man hat niemals versucht, mich anzuwerben.“ Das hätte durchaus passieren können, habe er bei einem späteren Gespräch in der Gauck-Behörde erfahren.

Nach der Wende habe sein Kontaktmann zunächst als Journalist in Erfurt gearbeitet, sei 1992 aber entlarvt worden. „Ich habe 1993 nach Akteneinsicht versucht, Kontakt aufzunehmen – die Annahme meines Schreibens wurde verweigert.“ Angeblich sei er unbekannt verzogen. „Ich war menschlich enttäuscht, weil er eigentlich ein netter Kerl war, dem ich sogar mal Würzburg gezeigt habe.“ Er habe sich in das Bespitzelungssystem einspannen lassen. „Es kann auch sein, dass er sich geschämt hat.“

Autor Eberhard Schellenberger. Foto: Thomas Berberich

Anruf vom MAD

Umgekehrt habe Schellenberger einmal der MAD, der westdeutsche Militärische Abschirmdienst, angerufen: „Ich würde so häufig in die DDR fahren, ob ich da nicht von der Kaserne der NVA an der Ortsausfahrt Meiningen berichten könnte.“ Ein dilettantischer Anruf sei das gewesen: „So etwas machen sie normalerweise nie am Telefon.“ Der BND habe bestimmt Bescheid gewusst, wenn Journalisten in die DDR fuhren.

Der westdeutsche Zoll habe ihn immer durchgewunken, die DDR-Zöllner dagegen alles gefilzt: „Wir mussten die Sitze ausbauen, ein Telex ging an die Staatssicherheit, dass ich unterwegs bin.“ Bei der Rückfahrt wurde der Tank abgeklopft. Am Plattensee heuert die Stasi drei Würzburger Studenten an: „Sie sollten mich im Auge behalten.“ Das Motiv der Studenten: Abenteuerlust. „Man sieht aber, wie engmaschig das Netz war.“

Uschis Mann darf nicht mehr raus

Uschi, das kleine Mädchen von damals, ist inzwischen verstorben. Für ihren Mann hatten die Besuche des Westjournalisten Konsequenzen. „Er hatte einen Bruder in Düsseldorf“, sagt Schellenberger, „zur Erstkommunion seines Neffen konnte er noch fahren. Nach unserem Besuch wurde ihm gesagt, dass eine Reise nicht möglich ist.“ In der Akte sind die Kontakte zu einem Westjournalisten festgehalten.

In jeder Straße gibt es einen Abschnittsbevollmächtigten (ABV), ein Polizist der Volkspolizei (VP), der für polizeiliche Aufgaben in Gemeinden, Stadtbezirken und auf Streckenabschnitten der Reichsbahn zuständig ist. „Der war in Habachtstellung, wenn Westbesuch da war – die Familie stand unter Beobachtung.“ Allerdings sei Uschis Mann Starkstromelektriker gewesen, der im Kohlebergwerk und nach Feierabend im städtischen Wohnungsbau gearbeitet habe: „Er war ein guter Handwerker, man hat ihn gebraucht – und was wir uns an DDR-Witzen erzählt haben, haben sie nicht mitbekommen, offenbar gab es keine Wanzen.“

Eberhard Schellenberger präsentiert zur Lesung auch Original-Stasi-Dokumente. Foto: Thomas Berberich

Hausherrin im Negligé

Auf dem Kieker hatte die Stasi den Vorsitzenden des Freundeskreises der Städtepartnerschaft: „Man wollte seine Ehe zerstören“, sei in der Akte nachzulesen. „Die Hausherrin wurde im Negligé zu ihm geschickt.“ Das habe diesen aber eher verstört als angetörnt. „Wenn er sich eingelassen hätte, hätten sie ihn mit versteckter Kamera gefilmt und erpresst.“ Diesen Mann, der ursprünglich aus Erfurt stamme und vor dem Mauerbau nach Würzburg zog, wollte die Staatssicherheit ausschalten.

„Wir waren die einzige Städtepartnerschaft, die noch funktionierte“, interpretiert Schellenberger die Hartnäckigkeit der Stasi am Vorabend der Montagsdemos. „Alle anderen waren eingefroren.“ Ein weiteres mögliches Motiv: „Wenn jemand strafversetzt wurde, war Suhl, die kleinste Bezirksstadt der DDR hinter dem Thüringer Wald, die richtige Adresse.“ Vielleicht auch ein Grund für den Ehrgeiz der dortigen Stasi: „Strafversetzte Beamte wollten sich als Musterschüler zeigen.“

Tränen in den Augen

Zu spät: „Die Montagsdemos breiteten sich wellenförmig von Leipzig bis in kleinste Städte aus – die Wendestimmung war faszinierend.“ Schellenbergers Schlussakt: die Live-Reportage von 2. auf 3. Oktober: „Es gab riesige Trabi-Schlangen, die Wartezeit betrug für zehn Kilometer Stau fünf, sechs Stunden – früher fuhren da am Tag vielleicht mal fünf bis sechs Autos.“

Am bewegendsten für ihn ist die Wiedervereinigungsfeier an der Grenze: „Eine Stimmung wie an Silvester, bei der Deutschlandhymne hat das halbe Zelt zu heulen angefangen – mir sind auch die Tränen runtergelaufen.“ Ausgerechnet dort, wo er immer schikaniert wurde, ist alles zu Ende. „Wenn ich heute rüberfahre, sind die Bilder sofort wieder da – auch wenn nur noch wenig daran erinnert, die Bilder haben sich fest eingebrannt.“

Tränen der Freude in Meiningen: Die große Wiedervereinigungsfeier, Bild; BR

Lesung in der Regionalbibliothek

„Ich habe dieses Buch auch für die inzwischen nachgewachsene Generation geschrieben“, sagt BR-Journalist Eberhard Schellenberger, „denn auf diese wirken diese Geschichten und Erlebnisse aus der Mitte Deutschlands völlig unwirklich und unbegreiflich.“

Schellenberger liest am Mittwoch, 14. Juni, 19 Uhr, in der Regionalbibliothek Weiden – flankiert von Bildern, Ausschnitten von Stasi-Akten und Originaltönen aus dem BR Archiv (Eintritt 3 Euro).

Deckname Antenne – Als Journalist im Visier der Stasi
ISBN 978-3-429-05769-5
Echter-Verlag
196 Seiten
19,90 Euro

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