Deutschland bei der EM dahoam: Nach Abzug der Gewitterzelle hagelt es Treffer gegen Dänemark

Dortmund. Das EM-Achtelfinale zwischen Deutschland und Dänemark hatte drei Drittel. Mindestens. Ein furioser deutscher Auftakt mit aberkanntem Treffer, die Unterbrechung nach Mordsgewitter, ein Abseitstreffer der Dänen – im Gegenzug ein Handelfer und ein deutscher Konter. Am Ende steht das erste Viertelfinale seit 2016 und ein AfD-Parteitag in Essen, der nicht weiß, ob er sich über deutsche Siege freuen soll.

Trotz warmer Dusche: Die Deutschen erreichen gegen Dänemark das Viertelfinale. Collage: jrh

Zeit, dass sich was dreht im Turnierglück der deutschen Nationalmannschaft. Nach mehreren blamablen Vorrunden-Knock-outs entscheiden die Nagelsmänner erstmals seit acht Jahren wieder ein K.o.-Duell gegen Dänemark mit 2:0 für sich – unterm Strich verdient, aber mit einigen glücklichen Wendungen.

Nach Auftakt furioso die Linie verloren

Nach furiosem Auftakt und einem famosen Kopfballtor von Nico Schlotterbeck, nach Ecke von Toni Kroos, nimmt der – für Premier-League-Verhältnisse kleinliche – englische Referee Michael Oliver den vermeintlichen Treffer (3.) nach Videobeweis zurück. Joshua Kimmich hat zuvor einen Dänen geblockt. 20 Minuten presst die runderneuerte Elf mit David Raum, Leroy Sané und Schlotterbeck, als gäbe es kein Morgen mehr.

Anschließend verliert der EM-Gastgeber ohne ersichtlichen Grund seine Linie – oder aus dänischer Perspektive: Die Mannschaft von Coach Kasper Hjulmand hat sich jetzt besser auf das deutsche Pressing eingestellt und bringt die deutsche Defensive immer wieder in Verlegenheit. Da 25-minütige Gewitterunterbrechung mit künstlichen Wasserfällen vom Stadiondach und Ei-großen Hagelkörnern kommt eher der deutschen Mannschaft zugute.

Kai Havertz schnappt sich die Kugel – „ich mag Elfmeter“ – verzögert kurz, und zirkelt die Kugel exakt zwischen Schmeichels Mittelfinger und den Pfosten ins rechte untere Eck,1:0 (53.). Foto: jrh

Der doppelte VAR hilft Deutschland

Spielentscheidend ist schließlich kurz nach der Pause der doppelte Eingriff des VAR, der die vermeintliche Führung für Dänemark kassiert. Joachim Andersen stand mit der Fußspitze im Abseits. Minuten später erkennt der Keller ein Handspiel desselben Andersen im Strafraum, Oliver zeigt auf den Punkt und Kai Havertz keine Nerven, 1:0 (53.). Statt dänischer Führung, ein deutscher Glücksfall. Anschließend schaukeln die Hausherren den Vorsprung mit Licht und Schatten bis zur 68. Minute über die Zeit. Dann sorgt Jamal Musiala nach einem schönen Solo für den 2:0-Deckel.

Im Viertelfinale trifft Deutschland am Freitagabend in Stuttgart auf Spanien oder Georgien – beide dürften nach Studium der Stärken und Schwächen der deutschen Mannschaft zwar nicht in Angststarre verfallen. Können sich wegen der Leistungsschwankungen zwischen grenzgenial, wie Musialas Solo, und dusselig, wie Schlotterbecks Verdribbler im Fünfer, binnen eines Spiels, aber auch nicht zu sicher sein.

Zweimal schlägt der VAR im Achtelfinale zwischen Deutschland und Dänemark zu: Links kassiert er ein dänisches Tor, rechts ein Handspiel im Strafraum der Dänen. Collage: jrh

Nationalelf zu bunt für die AfD

Unsicher, was sie von der deutschen Nationalmannschaft halten sollen, sind sich offensichtlich auch die Parteitagsgänger der AFD in Essen. Während die Pseudo-Patrioten Björn Höcke – „schaue seit 2014 kein Spiel mehr“ –, Maximilian Krah – „Was da spielt, ist eine politische korrekte Söldnertruppe“ – Alice Weidel – „das ist nicht eine klassische deutsche Nationalmannschaft“ – keine Gelegenheit auslassen, über die Truppe um Kapitän İlkay Gündoğan zu hetzen, ist die Begeisterung auf den Rängen riesig.

Die deutsche Elf repräsentiere „Vielfalt statt Vaterland“, schreibt Höcke. Und die ist, wie man inzwischen gelernt hat, genauso verwerflich wie „gute Menschen“. Zu viel Farbe, zu wenig Weiß. Zu divers, zu bunt, zu wenig deutsch. Dass die deutschen Spieler mit Immigrationshintergrund zu den Stützen von Real Madrid, Barcelona, Arsenal oder Bayern München zählen, geschenkt. Den AfD-Propagandisten geht es längst nicht mehr um Anstand, Charaktereigenschaften oder Leistung. Allein die Abstammung zählt.

Ein absoluter Leistungsträger im deutschen Team: Obwohl sich Antonio Rüdiger für die deutsche Mannschaft zerreißt, wollen ihn AfD-Politiker loswerden. Foto: dpa

Krah: „Es ist Fußball-EM und es ist mir egal“

Das letzte Mal, als skrupellose Machtmenschen Deutsche nach vermeintlicher Rassenzugehörigkeit einteilten, wurden erst die besten Köpfe vertrieben – dann Europa und schließlich das eigene Land in Schutt und Asche gelegt. „Es ist Fußball-EM und es ist mir egal“, kräht der versteckte Europa-Spitzenkandidat Krah, der vor lauter Patriotismus einen chinesischen Spion beschäftigt. In Dortmund laufen die Mannschaften ein, die Stimmung ist großartig. Vielleicht sollten die Verhetzten und Verhonepipelten ihr Handy mal weglegen und aus ihren Echo-Kammern rauskommen.

Ein erster Schritt ist getan: Die AfD hat ihren Bundesparteitag am Samstag früher als geplant beendet und sich auf Sonntag vertagt. Kurz nach 19 Uhr beantragte ein Delegierter die Unterbrechung bis Sonntag, 10 Uhr. Man habe viel an diesem Tag geschafft, „und wir können gleich alle Fußball gucken“, begründete er seinen Antrag unter dem Beifall vieler Delegierter.

Bei einer elektronischen Abstimmung stimmten knapp 54 Prozent dafür, 46 Prozent dagegen. Am Sonntag soll es unter anderem mit der Besetzung des Bundesschiedsgerichts weitergehen.

Keine Fans der deutschen Mannschaft: Die in ihren Ämtern als Doppelspitze der AfD bestätigten Alice Weidel und Tino Chrupala- Foto: dpa

Deutsch-dänisches Achtelfinale im Schnelldurchlauf

Noch hält das Wetter in Westfalen, ein Unwetter ist für rund eine Stunde nach dem Spiel prognostiziert. Bei den Nationalhymnen wird es laut.  Bundeskanzler Olaf Scholz klatscht auf der Ehrentribüne mit.

  • Der englische Schiedsrichter Michael Oliver aus England pfeift an, Deutschland hat Anstoß. Antonio Rüdiger mit hohem Ballgewinn, eine erste längere Ballbesitzphase ist gebongt. Der neu in die Startelf gerückte David Raum erläuft eine Flanke auf der linken Außenbahn und erzwingt mit einer abgefälschten Hereingabe den ersten Eckball (3.).
  • Nico Schlotterbeck steigt höher als die längsten Dänen und versenkt die Kugel per Köpfchen im Dänen-Kasten. Jubelarien an der Eckfahne – ach hätte man nur Augen am Hinterkopf. Der Schiri hat ein Offensivfoul geahndet, Joshua Kimmich blockte einen Verteidiger weg (4.).
  • Kimmich jetzt mal aus der zweiten Reihe, Dänen-Keeper Kasper Schmeichel faustet den platzierten Schuss aus dem rechten Winkel. Nächster Eckball (6.).
  • Wieder Schlotterbeck, diesmal am langen Pfosten mit dem Kopf, der sich gefährlich senkt. Der starke Schmeichel ist wieder zur Stelle (7.).
  • Erneut ein langer Ball Rüdigers von der Mittellinie, Kai Havertz nimmt den Ball auf der linken Strafraumseite direkt, Schmeichel wehrt zur vierten Ecke (11.).
  • Leroy Sané zieht nach einem Solo das Foul und bekommt einen Freistoß aus zentraler Position zugesprochen: der Schlenzer von Toni Kroos verhungert an der Mauer (17.).
  • Jannik Vestergaards Pass aus der eigenen Hälfte präzise in den Lauf von Christian Eriksen, der die Kugel perfekt mitnimmt – Teufelskerl Rüdiger schmeißt sich in den Schuss (21.).
  • Eriksen steckt auf der linken Strafraumseite zu Joakim Mæhle durch, zu spitzer Winkel, der Querpass ins Zentrum wäre besser gewesen (24.).
  • Szenenapplaus für Rüdiger, der Rasmus Højlund abläuft (28.).
  • Eine halbe Stunde ist rum, und es macht rumms – im Hintergrund des Dortmunder Stadions flackern Blitze. Dabei sollte die Gewitterfront erst nach Spielende über Dortmund ziehen.
  • Als sich das Unwetter über dem Stadion austobt, bittet Schiri Oliver die Akteure an die Trainerbänke (36.).
  • Der Regen verdichtet sich zu Ei-großen Hagelkörnern. Den Fans peitscht der Wind die Wassermassen um die Nasen. Die Dortmunder lassen sich davon nicht beeindrucken und stimmen ein „Oh, wie ist das schön“ an.
  • Da wollen sich auch die dänischen Fans keine Blöße geben. Zwei Oberkörper-freie Helden nehmen eine Dusche unter dem Wasserfall, der vom Stadiondach herunterstürzt.
  • Das Public Viewing im Westfalenpark ist bereits abgeblasen.
  • Helfer versuchen, Matschpfützen im deutschen Strafraum zu beseitigen. Der Regen hat mittlerweile nachgelassen.
  • Nach rund 25 Minuten übergibt der britische Unparteiische Kroos die Kugel zum Schiedsrichterball.
  • Raum schlenzt eine Flanke auf den zweiten Pfosten, Havertz köpft von der Fünfmeterlinie Schmeichel zentral in die Arme (37.). Der Ball ist noch heiß, Schlotterbeck kommt am linken Pfosten zum Kopfball, die Kugel rauscht ins Außennetz (38).
  • Wermutstropfen für den bisher so überzeugenden Borussen: Im eigenen Sechzehner dribbelt sich Schlotterbeck selbst aus und bringt Højlund in Schussposition – aus spitzem Winkel ans Außennetz (42.).
  • Die Dänen schicken Thomas Delaney auf die Reise. Der legt noch einmal quer für Rasmus Højlund, legt diesem die Kugel aber ein wenig zu weit vor. So kommt Manuel Neuer gerade noch rechtzeitig heraus (45.).
  • Beide Trainer verzichten nach der Pause zunächst auf personelle Änderungen (46.).
  • Nach einer Ecke bekommen die Deutschen die Kugel nicht nachhaltig geklärt. Von Delaney drudelt das Leder zu Joachim Andersen, der frühere Dortmunder netzt ein – in den Jubel der Dänen schaltet sich der VAR ein, Andersen stand mit dem großen Onkel im Abseits, Puuh, durchatmen (50.).
  • Fast im Gegenzug wird Andersen endgültig zur tragischen Figur. Die Flanke von Raum springt ihm an die Hand, die etwas zu weit abgespreizt ist. Wieder meldet sich der Mann im Ohr des Schiris, es gibt Handelfmeter (52.).
  • Havertz schnappt sich die Kugel – „ich mag Elfmeter“ – verzögert kurz, und zirkelt die Kugel exakt zwischen Schmeichels Mittelfinger und den Pfosten ins rechte untere Eck,1:0 (53.).
  • Jetzt müssen die Dänen aufmachen, Deutschland kann kontern. Havertz geht wie Butter durch die beiden Verteidiger, steht blank vor Schmeichel und schiebt die Kugel knapp rechts vorbei – an der 16er-Kante geht zuvor Sané ohne VAR-Folgen zu Boden (59.).
  • Wieder Havertz rechts im Strafraum, spitzer Winkel, mit Pirouette verwirrt er die Abwehr, bedient Sané im Zentrum – der braucht nur noch ins linke Eck einzuschieben, zielt aber neben den Pfosten. Die Fahne geht sehr spät hoch (64.).
  • Trainer Julian Nagelsmann entscheidet sich für eine Dortmunder Wechselvariante: Emre Can für Robert Andrich und Niclas Füllkrug für Kapitän İlkay Gündoğan (65.).
  • Souverän sieht anders aus, statt Pressing, zuweilen Zehner-Kette am Strafraum: Delaney zu Højlund, der schießt aus spitzem Winkel Manuel Neuer an (66.).
  • Gut, dass Nagelsmann auf sein Bauchgefühl vertraut hat, und den bis dahin glücklos agierenden Jamal Musiala am Platz ließ: Schlotterbeck schickt den Münchener auf die Reise, Havertz und Füllkrug begleiten ihn im Zentrum, Musiala guckt sich den zögerlich herausgeeilten Schmeichel aus und schlenzt die Kugel ins rechte Eck, 2:0 (68.).
  • Nagelsmann gönnt den Reservisten einige EM-Minuten: Benjamin Henrichs für Raum, Florian Wirtz für Musiala (81.) und Waldemar Anton für Sané. Auch die Dänen versuchen, mit Jonas Wind für Christensen und Jacob Bruun Larsen für Eriksen eine Schlussoffensive einzuwechseln.
  • In der fünfminütigen Nachspielzeit der nächste aberkannte Abseitstreffer: Füllkrug wird auf die Reise geschickt, Wirtz neben ihm übernimmt, startet durch und netzt über den bereits geschlagenen Kasper Schmeichel hinweg ein.
  • Und es bleibt bei Havertz Elfmeter-Treffer: Schmeichel streckt das Bein aus und kann den Flachschuss um den Pfosten lenken.

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