Diakon Tim Saborowskis Renten-Ruckrede: Teilhabe bis zum letzten Atemzug

Neuhaus. Weil wir nicht wollen, dass man die Menschen auf ihrer letzten Etappe vergisst, haben wir zur Abrundung der Renten-Debatte Diakon Tim Saborowski geladen, ein versierter Fachmann für die Themengebiete Armut, Wohnen und Gesundheit im Alter.

Diakon Tim Saborowski ist ein versierter Fachmann für die Themengebiete Armut, Wohnen und Gesundheit im Alter. Foto: Jürgen Herda

Tim Saborowski, Diakon des Evangelisch-Lutherischen Dekanatsbezirks Sulzbach-Rosenberg, war zuvor Dekanatsjugendreferent bei der evangelischen Jugend in Sulzbach. Ein Mann, der also gedanklich Jung und Alt gut zusammenbringt. Der herzerfrischend gut gelaunte Franke bringt außerdem langjährige Erfahrung aus dem Krisendienst Mittelfranken und der Notfallseelsorge mit.

Der versierte Fachmann für die Themengebiete Armut, Wohnen und Gesundheit im Alter sorgt dafür, dass bei aller Renten-Mathematik, den Zahlen und Fakten, die Menschen im Spätherbst ihres Lebens nicht in Vergessenheit geraten. Er spricht bei der Echo-Renten-Debatte über  „Gesellschaftliche Teilhabe bis zum letzten Atemzug.“

Soziale Teilhabe kostet

„Ich habe nicht nur die Heimbewohner in den Blick genommen“, sagt Diakon Tim Saborowski, „eher die ganze zweite Lebenshälfte.“ Im Gegensatz zu seinem geschätzten Kollegen Georg Pilhofer, der sich seinerseits als Leiter der Gerontopsychiatrischen Koordinierungsstelle auf der Zielgerade befände und sich schwerpunktmäßig mit Menschen in den Heimen beschäftigt habe, käme er als Diakon aus der sozialen Beratungsstelle.

„Wir haben ganz viele Menschen, die durch finanzielle Einbußen einfach auch nicht mehr diese soziale Teilhabe haben.“ Wenn man im Heim angelangt sei und der Sozialhilfeträger die Kosten übernehme, blieben einem rund 130 Euro im Monat plus 35 Euro Kleidungspauschale.

Und wenn man weiß, ein Friseurbesuch kostet 40 Euro und die Fußpflege noch mal 25, da bleibt nicht mehr so viel. Diakon Tim Saborowski

Ressource Auto garantiert Mobilität

Wer seinen Ruhestand in vollen Zügen genießen könne, sei einbezogen in ein erfülltes Leben: „Das ist das, was wir Teilhabe nennen“, sagt Saborowski, „man kann sich am gesellschaftlichen Leben beteiligen und hat die Möglichkeit, sein eigenes Leben zu gestalten.“ Grundbedingung für diese Teilhabe seien aber Ressourcen, die einem zur Verfügung stünden. „Jetzt mal eine ganz kurze Zwischenfrage: Wer ist denn heute mit dem Auto da?“

Praktisch alle, außer den Wirtsleuten. „Sehr gut, ich auch im Übrigen – also wir sind fast vollzählig.“ Er verrate auch nicht der Polizei, „dass Sie hier alle beim Zoigl sind, gell“ – Zwinker-Smiley! „Aber wir sehen alle, okay, dieses Auto, das scheint ein wichtiger Faktor zu sein, sonst hätte sich nicht fast jeder von uns gemeldet.“  Die Ressource Auto garantiere uns Mobilität, die den meisten alten Menschen in den Heimen fehle.

Diakon Tim Saborowski ist ein versierter Fachmann für die Themengebiete Armut, Wohnen und Gesundheit im Alter. Foto: Jürgen Herda

Alters-Gewinn- und Verlustrechnung

Da könne man eine Gewinn- und Verlustrechnung anstellen: „Es gibt nicht nur Verlust im Alter, sondern auch Gewinn“, sagt Saborowski, „man gewinnt zum einen an Erfahrung, zumindest hoffentlich, die sogenannte Altersweisheit, die milde ist, was einem dann vielleicht zugutekommt.“ Das Zweite, was man gewinne, sei Zeit – zumindest mit dem Ruhestand: „Ob das dann ein Gewinn ist, weil man sie positiv anfüllen kann, oder eher eine Bedrohung ist, muss sich zeigen.“

Für die, die das Glück hätten, Enkelkinder zu haben verändere sich das soziale Gefüge noch einmal. „Vielleicht auch ein Gewinn ist, dass die Enkel dann den Großeltern zeigen, wie das mit diesen Tablets funktionieren kann, die man verteilen könnte.“ Zwischen den Großeltern und den Enkelkindern gebe es oft noch mal eine andere Beziehung als zu den eigenen Kindern, auf die man vielleicht nicht immer so hören möchte.

Eingeschränkt bei Anträgen im Sozialamt

Aber das Altern gehe halt leider auch einher mit jeder Menge Verlust: „Das brauche ich Ihnen allen wahrscheinlich nicht zu sagen, dass ein körperlicher Abbau zumindest beginnt, der Bewegungsapparat funktioniert nicht mehr so gut, Sehen funktioniert nicht mehr so gut, Hören funktioniert nicht mehr so gut.“ Auch das schränke die Mobilität ein. „Man kann dann vielleicht nicht mehr so gut fahren, hat nicht mehr die Möglichkeit, sozialen Kontakt wahrzunehmen.“

Der Zugang zu Information verringere sich ebenfalls ganz stark. „Aus meiner Tätigkeit in der Sozialberatung weiß ich, wenn ich nicht mehr hören und sehen kann und so ein bisschen schlechter auch motorisch unterwegs bin, dann wird’s mir immer schwerer fallen, wenn meine Rente nicht reicht, so einen Grundsicherungsantrag beim Sozialamt zu stellen.“ Wer das schon mal gemacht habe, wisse: „Das erfordert durchaus ein gewisses Organisationstalent und Geschick, auch wenn die Sozialämter versuchen, es einem zu erleichtern.“

Diakon Tim Saborowski ist ein versierter Fachmann für die Themengebiete Armut, Wohnen und Gesundheit im Alter. Foto: Jürgen Herda

Partner leiden unter Persönlichkeitsveränderungen

Dazu käme dann eine Zunahme von seelischen Erkrankungen: Neurodegenerative Erkrankungen, also Demenz und Alzheimer, die zu Hause oder in den Heimen zu einem erheblichen Betreuungsbedarf führen. „Das führt gerade in den häuslichen Pflegesituationen oft auch zu viel Leid, weil die Leute einfach einen hohen Bedarf haben und sich so verändern und es selber nicht wahrhaben wollen.“ Darunter litten oft auch die Partner ganz stark: „Wenn der Mensch, mit dem ich mein ganzes Leben verbracht habe, nicht mehr so ist, wie er mal war, dann ist das für beide tragisch.“

Außerdem nähmen nach Studienlage depressive Symptomatiken zu: „Ähnlich wie bei der Rente sind die Frauen die Benachteiligten gerade auch in der depressiven Symptomatik, die im Alter zunimmt.“ Bis Mitte der 1970er Jahre hätten Frauen oft auch noch die Care-Arbeit für die Enkelkinder und zu pflegende Angehörige übernommen. Frei nach Wilhelm Busch stimme dann auch noch der Reim: „Es ist ein Brauch von alters her, wer Sorgen hat, hat auch Likör.“  Eine verdeckte Form von Suchterkrankungen könnten im Alter vermehrt auftreten.

Verlust durch Tod

Schließlich der dritte Faktor des Verlustes: Das soziale Gefüge bricht weg. „Aber auch bei bestehenden sozialen Kontakten verstärkt sich das Gefühl, wenn alle Leute, die ich kenne, sterben, wer versteht mich denn dann noch? Mit wem kann ich mich dann noch austauschen?“ Vielleicht kämen neue Bekannte dazu, etwa in einem Heim, in einem neuen Umfeld: „Aber es ist doch was anderes, ob ich in ein neues Umfeld komme und mich mit jemandem unterhalte, oder ob ich eine tiefe Freundschaft habe, die mich mein Leben lang begleitet hat.“

Jemand, der bei der Hochzeit dabei war, der dabei war, als die Kinder da waren, der einen getröstet hat, als die Mama gestorben ist: „An dessen Grab ich jetzt stehe – und diese Situationen häufen sich, und es führt zu einer vermehrten Einsamkeit, die zu den Einbußen im finanziellen Bereich dazukommen.“ 80 Prozent vom Netto bräuchte man, um den Lebensstandard zu halten. „Gerade viele Frauen geraten in die Altersarmut und versuchen das durch hohe Sparsamkeit auszugleichen.“ Und oft verhindere ihr hohes Maß an Stolz, sich helfen lassen zu wollen.

Wenn die dann bei mir sitzen, und ich das durchrechne und die Hände über den Kopf zusammenschlage, oh Gott, warum waren Sie denn nicht schon vor zwei Jahren hier, wir hätten so viel Ihnen zustehendes Geld für Sie beantragen können. Diakon Tim Saborowski

Negative Kettenreaktion

Eines ziehe das nächste nach sich: Finanzielle Einbußen durch den Verlust des Einkommens, die Rente wird weniger, ein schleichender Verlust durch überproportionale Wohnraumkosten in einem zu großen Haus oder einer großen Wohnung. „Dann bricht auch noch ein Partner weg, die Witwenrente bleibt übrig, dazu vielleicht eine eigene kleine Rente und unser Sozialleistungssystem schafft es leider nur für anderthalb Jahre das mitzuübernehmen.“

Dann müssen sich diese alten Menschen eine neue Wohnung suchen: „Ich weiß jetzt nicht, wie es bei Ihnen hier ist, bei uns in Sulzbach ist es unglaublich schwer, eine angemessene Wohnung für jemanden im Seniorenalter zu finden – also barrierefrei, Erdgeschoss oder mit Aufzug.“ Und ziehe man wirklich um, kommen soziale Verluste dazu. Alles in allem also: „Das ist ganz schön depressiv, was ich hier erzähle, und dabei soll es eigentlich nicht bleiben.“

„Liebe Politik, wir brauchen …“

Schließlich soll von diesem Vortrag ein Impuls ausgehen zu einer „Teilhabe bis zum letzten Atemzug“. Und deshalb: „Wir dürfen den Kopf nicht in den Sand stecken.“ Es gebe ja bereits positive Ansätze, um die Situation der alten Menschen zu verbessern. Dennoch der Appell: „Liebe Politik, vielleicht können wir die noch ein Stück weit verbessern oder intensivieren.“ Beispiele gefällig?

„Wir brauchen Wohnraum, der für alte Menschen geeignet und bezahlbar ist, wir brauchen gerechte Versorgung – das ist heißt Pflege, Krankenhäuser, medizinische und auch gerontomedizinische Versorgung vor Ort.“ Es werde immer schwieriger jemanden zu finden, der einem die Füße verbindet. „Und wir brauchen Zugang zu finanziellen Hilfen, die müssen bekannt sein und die müssen schamlos angenommen werden können.“

Mehrgenerationenhaus bis Demenz-WG

Und schließlich brauche es im Kleinen, in den Gemeinden einen sozialen Nahraum, Menschen, die diese Aufgaben dezentral in den Blick nähmen. „Da wird’s dann wichtig, dass wir als Bürger des Gemeinwesens das wahrnehmen, damit auch die alten Leute, die sich daheim vielleicht nicht mehr komplett alleine versorgen können, die zusätzliche Unterstützung brauchen, die aber daheim am Hof bleiben wollen, da auch bleiben können.“

Ideen gebe es bereits genügend, wie Mehrgenerationenhäuser, wo Jung und Alt zusammenkommen, Demenz-WGs, wo Menschen mit ihrer Demenz würdevoll leben können. „Ich will die Altenheime nicht schlecht reden, die machen wahnsinnig gute Arbeit, aber die sind nicht immer alle speziell auf Demenz vorbereitet.“ Auch um die politische Teilhabe zu gewährleisten, brauche es bei Wahlen Räume und Ressourcen, Begleitung und Unterstützung. Man brauche individuelle Lösungen für die Tagespflege, vielleicht Mittagstische, weil es darum gehe, dass man mal gemeinsam esse:

Sie alle wissen, gemeinsam zu essen, ist einfach viel schöner, als allein – nicht nur um satt zu werden, sondern für sozialen Kontakt. Diakon Tim Saborowksi

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