Die Geschichte eines verschwundenen Dorfes: Oft traurig, manchmal herzerwärmend
Bärnau/Paulusbrunn. Rund um das verschwundene Dorf Paulusbrunn gibt es immer wieder erstaunliche Geschichten. Oft traurig, manchmal herzerwärmend.
Als Rainer Christoph, pensionierter Lehrer und engagierter Forscher in Sachen deutsch-tschechische Vergangenheit und Leiter der ARGE Paulusbrunn, Ende Januar in Amberg einen Vortrag hielt, war auch Werner Heuer ein aufmerksamer Zuhörer. Er berichtete, dass sein Bruder 1945 in Paulusbrunn verstorben sei.
Seit Jahren arbeitet der Verein „Via Carolina – Goldene Straße e. V.“ daran, das ehemalige sudetendeutsche Dorf Paulusbrunn zu einem dauerhaften Erinnerungs- und Versöhnungsort vor allem für junge Menschen, Schulen und Universitäten auf beiden Seiten der Grenze zu etablieren. An der Spitze Rainer Christoph, der unermüdliche Streiter für Erinnerungskultur und grenzübergreifende Nachbarschaft und Zusammenarbeit.
Geschichte, die unter die Haut geht
Die Geschichte der Familie Heuer geht unter die Haut. So wie viele andere, die sich in dem kleinen Dörfchen zwischen Bärnau und Tachov vor fast 80 Jahren nach Kriegsende ereignet haben. Rainer Christoph erzählt die Erlebnisse der Flüchtlingsfamilie nach: Werner Heuers Mutter, seine Oma und sein Bruder Dietmar landeten nach der Flucht aus Schlesien Ende Februar 1945 in Paulusbrunn. Ehemann und Vater Paul Heuer war als Soldat im Krieg. Die Flüchtlinge fanden kurzzeitig Unterkunft bei Katharina Gradl (Hausname Küllerer Kathl) im Haus mit der Nummer 98 im Ortsteil Schanzhäuser.
Dort ereilte die Flüchtlinge ein schrecklicher Schicksalsschlag. Der kleine Dietmar, geboren am 21. Dezember 1944 in Schlesien, starb plötzlich in der Nacht des 2. März um 4 Uhr früh in seinem Bettchen. Festgehalten wurde dies in einer Sterbeurkunde des Standesbeamten von Paulusbrunn am 16. März 1945. „Erstaunlich ist die Tatsache, dass zum Ende des Krieges die Verwaltung noch funktionierte“, sagt Christoph. Der Bub wurde auf dem östlichen Teil des Friedhofs Paulusbrunn bestattet.
„Kümmerer“ renovieren Grabstein
Ehemalige Paulusbrunner berichten, dass es dort mehrere Kindergräber gab. Der nach dem Krieg geborene Bruder Werner hat noch zwei Fotos vom Grab, eines mit der Begräbnisstätte, hinter der die steinerne Friedhofsmauer zu erkennen ist. Ein zweites Bild zeigt die trauernde Mutter mit vielen Blumen am mittlerweile längst verschwundenen Grab. Wie es zu den Fotos kam oder wer sie machte, weiß niemand in der Familie.
Die Geschichte der Flüchtlingsfamilie Heuer und die Fotos beeindruckten die „Kümmerer“ des Friedhofs von Paulusbrunn tief, berührten ihre Herzen. Dieter und Helmut Wettinger, Willi Schiener und alle anderen Helfer beschlossen spontan, dem kleinen Dietmar und seinen drei Geschwistern „das Grab wiederzugeben“. Dafür renovierten sie einen noch gut erhaltenen, namenlosen Grabstein. ARGE-Vorsitzender Rainer Christoph organisierte eine Tafel, die das ehemalige Grab zeigt und einen von den Geschwistern entworfenen Text enthält.
Hochemotionale Momente
Die Friedhofs-Kümmerer aus Hermannsreuth hatten alles bestens vorbereitet, als Anneliese und Werner Heuer mit dem Schwager aus Amberg zum Friedhof kamen. Man hatte den Stein extra verhüllt. Es waren hochemotionale Momente, als Willi Schiener die Decke entfernte. Allen Teilnehmern standen Tränen in den Augen, auch nach 79 Jahren.
Das verschwundene Dorf Paulusbrunn mit seiner traurigen Geschichte bietet immer wieder Überraschungen. So konnten in den vergangenen drei Jahren auf dem von besagten Kümmerern top gepflegten Friedhof, dem einzigen erhaltenen Teil der Ortschaft, zwei neue und ein renovierter Grabstein aufgestellt werden.
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