Die Zweifel des Münchener Mediziners Otmar Seidl am Mysterium der Konnersreuther Resl

Konnersreuth/München. Vor 60 Jahren ist die "Konnersreuther Resl" gestorben. Seit Jahren läuft ein Seligsprechungsprozess für die "Volksheilige". Der Münchener Arzt Dr. Otmar Seidl hat dazu seine Meinung.

Das Grab der Theres Neumann auf dem Konnersreuther Friedhof. Foto: Udo Fürst

Ergänzend zu unserer Reportage vom 14. Oktober “Die Geschichte der Konnersreuther Resl: Wer’s glaubt, wird selig? haben wir mit Dr. Otmar Seidl gesprochen. Der aus Waldsassen stammende Internist und Facharzt für Psychotherapeutische Medizin ist ein Enkel von Otto Seidl, dem Arzt, der Therese Neumann 1927 behandelte und sie auf Bitten des Regensburger Bischofs zwei Wochen lang intensiv untersucht hat. Der Enkel zur Nahrungslosigkeit der Therese Neumann: “Da gibt es einige Ungereimtheiten.”

Stigmata durch Autosuggestion

Otmar Seidl beschäftigte sich viele Jahre mit dem Thema Konnersreuther Resl. Es ist fast schon eine Art Familientradition. Wie die Seidls und andere Forscher herausgefunden haben, werden Stigmata durch Autosuggestion – die Umwandlung intensiver Fantasien in Körpersymptome – verursacht. “Religiöse Fantasien”, sagt Otmar Seidl, “haben viel mehr Kraft, sich in Symptome umzusetzen, als andere Fantasien. Die Seele hat oft eine große Macht über den Körper”, weiß Seidl.

Dr. Otmar Seidl. Der Großvater des Mediziners untersuchte die Therese Neumann im Jahr 1927. Foto: Privat

Untersuchungen unzureichend

Schwieriger stelle sich die Sache mit der Nahrungslosigkeit dar. “Es ist weder erwiesen, dass sie nicht gegessen hat, noch, dass sie gegessen hat”, sagt Otmar Seidl. Diese Frage wurde auch durch die Untersuchungen seines Großvaters im Auftrag des Bischofs nicht klarer. “Mein Großvater war überzeugt, dass man die Resl nur im Krankenhaus hätte ausreichend untersuchen können.” Dies habe später auch der Bischof gefordert, doch die Familie Neumann habe abgelehnt. “Deshalb sind die damaligen Untersuchungsergebnisse nur mit großem Vorbehalt zu betrachten.” Das Protokoll der vier Schwestern zeige, dass Therese nicht lückenlos unter Beobachtung stand. “Über ihre vielen Aufenthalte im Pfarrhof wurde nichts berichtet, weil sie dort alleine hinging.” Außerdem seien im Zimmer der Resl immer Besucher zugegen gewesen. Otmar Seidl: “Erstaunlich ist für mich besonders, dass das Gewichtsprotokoll am Anfang eine deutliche Abnahme, danach aber wieder eine Zunahme zeigt.” Ungewöhnlich seien auch die Ergebnisse der Urinuntersuchung ausgefallen. Anfangs war es ein typischer ‘Hunger-Urin’, am Schluss nicht mehr. Andere Ausscheidungen wurden dem Arzt überhaupt nicht vorgelegt.”

Im religiösen Kontext

Als Internist weiß Otmar Seidl, dass er die behauptete Nahrungslosigkeit nur in einen religiösen Kontext einstufen kann. Und hier gebe es nun mal die Möglichkeit, dass zwei Wahrheiten nebeneinander existieren, eine innere und eine äußere. Die Religionsgeschichte spreche von einer pia fraus, einem frommen und daher zulässigen Täuschung. “Man könnte sich vorstellen”, sagt Seidl, “dass sie aß und trank, ohne dies als Widerspruch zu der von ihr behaupteten Nahrungslosigkeit zu empfinden.” Ein solcher “dissoziativ oder spaltungsbedingt gelockerter Umgang mit der Realität” sei bei speziellen Persönlichkeiten gelegentlich anzutreffen.

Gottgefälliges Leben?

Der Münchener Mediziner zum Seligsprechungsprozess: “Entscheidend sind dabei weder Nahrungslosigkeit noch Stigmatisierung, sondern die Frage, ob sie Wunder an anderen Menschen bewirkt und ob sie ein gottgefälliges Leben geführt hat.” Hier aber bestünden laut Seidl ernsthafte Zweifel, die auf den Tagebuchaufzeichnungen seines Großvaters beruhten. “Es ist schon ungewöhnlich, dass die Familie der Therese sich strikt geweigert hat, der Bitte des Bischofs auf eine Untersuchung im Krankenhaus nachzukommen. “Man könnte sich fragen, ob sie was zu verbergen hatten? Deshalb muss die Frage nach der Nahrungslosigkeit unbeantwortet bleiben.”

Erhebliche Zweifel

Das Resümee von Otmar Seidl: Die Visionen und Stigmata sind wissenschaftlich zu erklären, an der Nahrungslosigkeit bleiben aber berechtigte Zweifel. “Das größte Wunder in meinen Augen ist, dass die Therese mal zu- und dann wieder abgenommen hat, obwohl sie nichts gegessen haben soll außer Hostien.”

 

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