Doppel-Interview: Rotes Frauen-Duo will SPD in Weiden und im Landkreis sichtbarer machen

Weiden. Renate Schmidt war die letzte bayerische SPD-Kandidatin, die es bei einer Landtagswahl auf mehr als 30 Prozent schaffte. Was können die Weidener Stadtverbandsvorsitzende Sabine Zeidler und die Kandidatin für den Landtag, Nicole Bäumler, von der früheren Familienministerin lernen?

SPD-Stadtverband und Landtag Hand in Hand: Nicole Bäumler, Nordoberpfälzer SPD-Kandidatin für den Bayerischen Landtag, und Sabine Zeidler, Stadträtin und Stadtverbandsvorsitzende. Foto: Jürgen Herda

Die SPD war in ihrer 160-jährigen Geschichte – in Weiden feierte sie am Wochenende den 125. Geburtstag – immer dann stark, wenn es um grundlegende Weichenstellungen ging. Bei der allerersten demokratischen Wahl 1919 nach dem Kaiserreich etwa, als SPD (33 Prozent) und USPD (2,5) zusammen das Ergebnis des CSU-Vorläufers BVP (35) einstellten. Oder nach dem Zweiten Weltkrieg, als die SPD (28 Prozent) das erste und einzige Mal stärker als die CSU (27,4) abschnitt.

Das letzte politische Zugpferd der BayernSPD, Renate Schmidt, errang 1994 das letzte Mal 30 Prozent und damit eine Größenordnung, die einer Volkspartei würdig ist. Was hatte die Powerfrau, was ihre Nachfolger und Nachfolgerinnen nicht hatten?

Zeidler: Zu Renate Schmidts aktiver Zeit war ich zwar noch keine Genossin, aber man wusste trotzdem, wer sie war. Das kann man leider nicht von jedem oder jeder ihrer Nachfolger sagen. Sie hatte als Frau noch ganz andere Rahmenbedingungen, musste nach dem frühen Tod ihres ersten Mannes Beruf und drei Kinder unter einen Hut bringen. Dass sie dabei noch Karriere in der Politik bis zur Bundesfamilienministerin und Spitzenkandidatin in Bayern machte, zeigt, dass die noch eine Spur härter war als wir.

Bäumler: Bewusst wahrgenommen habe ich Renate Schmidt nicht mehr, das war vor meiner Zeit. Aber für meine Eltern, die ebenfalls SPD-Mitglieder sind, war sie ein Begriff.

Ludwig Stiegler, Landesvorsitzender 2003 bis 2009, war nah dran am Direktmandat für den Bundestag. Sein Erfolgsrezept: Ortsvereine im Akkord gründen und Krisenmanagement in Unternehmen. Warum passiert das heute kaum noch?

Bäumler: Ich glaube, dass es genau das ist, was wir wieder lernen müssen. Mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, zuhören, unser Netzwerk nutzen.

Zeidler: Das müssen wir noch besser machen – wieder zuhören, wenn die Leute beim Metzger oder Bäcker über das sprechen, was sie bewegt. Wir müssen uns kümmern. Ludwig war der Kümmerer schlechthin. Ich glaube, dass sich die Menschen, die sich uns mit ihren Ängsten anvertrauen, wissen, dass wir für die Schwächeren da sind.

Das müssen wir noch besser machen – wieder zuhören, wenn die Leute beim Metzger oder Bäcker über das sprechen, was sie bewegt. Sabine Zeidler

Stadträtin Sabine Zeidler will noch genauer hinhören, was die Menschen bewegt. Foto: Jürgen Herda

Menschen erwarten einen konkreten Nutzen von der Politik. In Regensburg war Stadtrat Kurt Schindler Vorsitzender des Regensburger Mieterbundes, eine andere Stadträtin Vertreterin der Verbraucherzentrale, um nur zwei Beispiele zu nennen, die einen konkreten Mehrwert versprachen. Müsste die Kommunalpolitik nicht wieder verstärkt den vorpolitischen Raum beackern?

Zeidler: Ich denke schon, dass wir bereits Kümmerer sind. In unserer Fraktion haben wir Themenschwerpunkte zugeordnet. Hildegard Ziegler ist etwa Ansprechpartnerin fürs Wohnen. Schulthemen übernimmt Matthias Holl. Wenn’s um die Jugend geht, ist der Florian Graf der Richtige. Bei mir ist das Thema Gesundheitspolitik angesiedelt.

Leute kommen zu mir, wenn sie keinen Pflegeplatz finden. Ich habe zum Beispiel eine Veranstaltung zum Pflegestärkungsgesetz gemacht, wo viele zum ersten Mal hörten, dass Demenz in den Förderkatalog aufgenommen wurde und es da jetzt einen Entlastungsbetrag von 125 Euro gibt. Wir müssen das noch besser bündeln und in strukturierte Bahnen lenken, aber die Basis ist gelegt.

Die Leute kamen nachher zu mir und sagten: „Frau Zeidler, das ist genial, ich habe den Antrag gestellt.“ Sabine Zeidler

Bäumler: Ich bin seit zwei Jahren Kreisvorsitzende und stelle fest, dass die Mitglieder in den Ortsvereinen oft ein Bindeglied sind. Die Menschen sprechen sie an, weil sie vor Ort bekannt sind. Und wenn sich das Problem nicht gleich lösen lässt, wenden die sich an die nächste Ebene. Deshalb liegen mir die Ortsvereine auch so am Herzen, weil dort die Hemmschwelle für Nichtmitglieder nicht so hoch ist. Wir sind ja nicht nur Genossen, sondern bringen überall auch unser Fachwissen ein. Ich denke aber auch, dass man das noch besser kommunizieren muss: „Wendet euch an uns, um die richtigen Ansprechpartner zu finden.“

Natascha Kohnens letzter Landtagswahlkampf mit dem Schwerpunkt „Bezahlbare Mieten“ ging sang- und klanglos unter. Die einen halten es für eine Selbstverständlichkeit, dass die SPD soziale Themen vertritt, andere glauben nicht, dass sie ihre Versprechen umsetzen kann. Und für eine Mehrheit ist das Thema ebenso wie die Euro-Steigerungen beim Mindestlohn zu wenig emotional. Was plant ihr für den Herbst?

Zeidler: Jedenfalls nicht wie letztes Mal ein Plakat mit „Wohnen ist Grundrecht“. Unser aktuelles Programm und der Wahlkampf sind auf mehreren Säulen aufgebaut. Die SPD stellt sich wieder breiter auf. Kein Thema, das die Menschen in diesen Zeiten mit Ukraine-Krieg, Inflation und Energiekrise berührt, wird stiefmütterlich behandelt.

Bäumler: Beim Schreiben des Programms, das wir zusammen mit Experten aus den betroffenen Verbänden formulieren, haben wir festgestellt, dass man Themen nicht isoliert betrachten kann. Wir haben ein breit gestreutes Programm.

Mein Schwerpunkt als Berufsschullehrerin ist die Schul- und Bildungspolitik, eine große Herausforderung vor allem im ländlichen Raum. Nicole Bäumler

Das Zittern ist vorbei. Nicole Bäumler zieht in den Landtag ein. Foto: Jürgen Herda

Anfang des Schuljahrs fehlten 4.000 Lehrer, der Unterricht fällt viel zu oft aus. Während der Pandemie hatten Eltern jüngerer Schüler ein massives Betreuungsproblem. Aber Bildung ist mehr als nur Schule. Da gehört lebenslanges Lernen dazu, und auch der Fachkräftemangel hat mit beruflicher Bildung zu tun. „Gute Arbeit“ ist ein zentrales Thema dieses Wahlkampfs und die sozial gestaltete Energiewende – mit Betonung auf sozial. Die Sanierung der Heizung darf nicht in den Ruin führen. Die Fördergelder müssen aber dann nach Einkommen gestaffelt werden.

Zeidler: Bei den Menschen ist angekommen, dass sich das Klima ändert – und wir nicht einfach so weiter machen können wie bisher.

Bäumler: Von den Populisten wird aber mit Existenzängsten gespielt, was die Menschen verunsichert.

Gibt es noch so genannte Frauenthemen oder sollte Politik nicht Lösungen für alle Menschen anbieten?

Bäumler: Solange die Care-Arbeit, also die Kindererziehung oder die Pflege der Eltern, hauptsächlich von Frauen geleistet wird, wird es auch geschlechtsspezifische Angebote geben müssen. Ich nenne das feministische Themen, die wir in den Fokus stellen wollen.

Zeidler: Häusliche Gewalt wird nicht weniger, Frauenhäuser platzen aus allen Nähten.

Bäumler: Ich war kürzlich beim Verein Dornrose, die sich um Betroffene sexualisierter Gewalt kümmern – Frauen sind davon einfach deutlich häufiger betroffen.

Zeidler: Auch in der Medizin weiß man seit langem, dass einige Medikamente bei Frauen anders wirken. Warum werden die nicht auch an Frauen getestet?

Im kardiologischen Bereich sterben viele Frauen an einem Infarkt, weil sie andere Symptome haben und deshalb die Vorzeichen nicht erkannt werden. Sabine Zeidler

Stadtverbandschefin Sabine Zeidler sieht Frauen auch im medizinischen Bereich benachteiligt. Foto: Jürgen Herda

Das wäre jetzt aber eine Frage an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach …

Zeidler: Gesundheitspolitisch fühle ich mich als Frau da durchaus wahrgenommen. Mit seinem Konzept für eine Krankenhausreform ist Lauterbach auf dem richtigen Weg.

Wie digital wird der Wahlkampf und kann eine Online-Kampagne in den Sozialen Medien Wähler über die eigene Echokammer hinaus überhaupt erreichen?

Bäumler: Ich finde es wichtig, vor Ort zu sein, aber man darf auch den digitalen Wahlkampf nicht außer Acht lassen, um die verschiedenen Zielgruppen anzusprechen. Die klassische Kundgebung hat nicht ausgedient, aber sie ist nicht mehr die zentrale Wahlkampfveranstaltung – mit anderen Worten: Mehr legeres Gespräch als Frontalunterricht.

Das Image der Bundesregierung mit einer in vielen Fragen zerstrittenen Ampel und einem sehr ruhigen Kanzler dürfte nicht für allzu viel Rückenwind sorgen?

Zeidler: Es gehört auch zur Wahrheit, dass es keine Partei in der Bundesrepublik bisher mit einem Krieg in Europa mit derartigen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen auf unser Land zu tun hatte. Natürlich kann ich sagen, hätte, hätte, hätte … man alles besser machen können.

Alle unsere Politiker sind in einem friedlichen Europa aufgewachsen. Keiner musste eine Pandemie managen. Alles in allem hat uns der Kurs der Groko und dann auch der Ampel viel Leid erspart. Sicher gab es Leidtragende, besonders für Jugendliche und Selbstständige in der Gastronomie oder im Kulturbereich war das eine schwierige, existenzielle Zeit. Dennoch empfinde ich dieses Bashing der Regierung im Nachhinein als schäbig.

Bäumler: Vor allem, weil dabei auch die sehr gute Arbeit der Bundesregierung untergeht, die zeigt, wie Politik auch ausschauen kann – etwa bei der Erhöhung des Mindestlohns oder des Kindergelds.

Wie sehr schadet ein ehemaliger SPD-Kanzler, der sich als Russland- und Gazprom-Lobbyist generiert?

Bäumler: Das Verhalten Gerhard Schröders ist absolut inakzeptabel.

Das Verhalten Gerhard Schröders ist absolut inakzeptabel. Nicole Bäumler

MdL Nicole Bäumler (SPD). Foto: Jürgen Herda

Wie seht ihr die BayernSPD mit Florian von Brunn und Ronja Endres nach dem Aus des Duos Natascha Kohnen und Uli Grötsch aufgestellt?

Bäumler: Ronja Endres ist eine tolle Kämpferin für die Sozialdemokratie, die sich für nichts zu schade ist und zu allen Ortsvereinen fährt. Florian redet nicht nur, er will die Themen, die ihm wichtig sind, auch anpacken. Ronja steht für gute Arbeit, Florian für eine faire Energiewende.

Zeidler: Ich bin auch ein großer Fan von Ronja. Die Frau macht das neben ihrem Beruf, ist Tag und Nacht für die Partei unterwegs. Und sie kämpft wie eine Löwin für die Gewerkschaft. Ronja war schon zweimal in Weiden, Florian beim Jubiläum. Die beiden gehören zusammen wie Topf und Deckel.

Die Umfragen haben sich bislang nicht verbessert – glaubt ihr noch an einen Stimmungsumschwung?

Bäumler: Wir haben noch fünf Monate, um dafür zu kämpfen. Wenn wir nicht davon überzeugt sind, dass wir Regierungspartei werden können, wie soll man dann andere überzeugen?

Zeidler: Wir wissen, wie die Verhältnisse in Bayern sind. Wenn man Leidenschaft zeigt, Vertrauen weckt, dass wir die richtigen Antworten haben, jeden einzelnen davon überzeugen kann, dann ist das Erfolg.

Wäre nicht die einzige realistische Machtoption, wenn Söder von Aiwanger so genervt ist, dass er lieber mit der SPD koaliert?

Bäumler: Ich bin keine Freundin großer Koalitionen, aber man muss halt schauen, was man für die Menschen bei Verhandlungen herausholen kann.

Die Weidener SPD feiert heuer ihr 125-jähriges Bestehen. Was macht euch optimistisch, dass es sie auch in 125 Jahren noch gibt?

Bäumler: Davon bin ich überzeugt, glaube aber, dass sich die innerparteilichen Strukturen verändern. Ich könnte mir vorstellen, dass sich immer mehr Mitglieder Themenworkshops anschließen, anstatt in Ortsvereine zu gehen.

Zeidler: Die SPD gibt es sogar schon 160 Jahre. Wahlrecht ist so eine tolle Errungenschaft, um die uns Menschen in vielen autokratischen Staaten beneiden. Deshalb kann ich nicht verstehen, warum immer weniger Menschen zur Wahl gehen.

Wahlrecht ist so eine tolle Errungenschaft, um die uns Menschen in vielen autokratischen Staaten beneiden. Deshalb kann ich nicht verstehen, warum immer weniger Menschen zur Wahl gehen. Sabine Zeidler

Wann gelingt der SPD mal wieder ein großer Wurf wie „Mehr Demokratie wagen“, die Ostpolitik oder eine Reform der EU, um Europa wieder handlungsfähig zu machen?

Zeidler: Meine Vision ist nach wie vor die Zukunft in einem gemeinsamen Europa – gerade weil die Großmächtepolitik außenrum mit autokratischen Herrschern in Russland, China oder der Türkei nicht kalkulierbar ist. Aber die EU muss tatsächlich schlagkräftiger werden. Ich habe zwei Kinder, die sind in der EU groß geworden, die kennen das gar nicht anders. Seit meine Julia in der Schweiz lebt, muss sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben mit Zollbestimmungen auseinandersetzen.

SPD-Stadtverband und Landtag Hand in Hand: Nicole Bäumler, Nordoberpfälzer SPD-Kandidatin für den Bayerischen Landtag, und Sabine Zeidler, Stadträtin und Stadtverbandsvorsitzende. Foto: Jürgen Herda

Stadt und Landtag, Hand in Hand

Die Neustädter SPD-Kreisvorsitzende Nicole Bäumler (36) will in die Fußstapfen von Annette Karl treten, die nicht mehr für den Bayerischen Landtag kandidiert. 68 der 73 Delegierten stimmten bei der Stimmkreiskonferenz in der Neustädter Stadthalle für die Schirmitzerin. Annette Karl sitzt seit 2008 für die SPD im Maximilianeum.

Sabine Zeidler, Weidener Stadträtin, Stadtverbandsvorsitzende und AsF-Chefin, ist gelernte Krankenschwester. „Aber wo bringst du als alleinerziehende Mutter deine Kinder im Schichtdienst unter?“, begründet die 52-Jährige ihre Umschulung zur Pharmareferentin. „Als Krankenschwester darf ich beim Seniorenaktionstag selber stechen“, freut sie sich über medizinisch nützliche Grundkenntnisse.

Obwohl beide Frauen weder verwandt noch vertrauzeugt sind, will es der Zufall, dass sie beide seit etwa 12,5 Jahren SPD-Mitglied sind – und damit bereits ein Zehntel des SPD-Weiden-Alters mitgestalten durften.

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