Ein Engel für 1,93 Euro: Wie osteuropäische Pflegerinnen ausgenutzt werden

Regensburg. Ein Pflegedienst aus dem Landkreis Neustadt/WN vermittelte Slowakinnen für Privathaushalte. Sie pflegten Senioren, kochten und putzten. 24/7. Für 1,93 Euro die Stunde. Vor dem Landgericht Regensburg steht derzeit der Geschäftsführer (63).

Zoll Weiden Sozialbetrug Schwarzarbeit Symbolbild
Bild: Bildungs- und Wissenschaftszentrum der Bundesfinanzverwaltung

Das Verfahren hat allerlei Brisanz: Der 63-Jährige ist als Reichsbürger amtsbekannt. Er hat zwei Waffen in seinem Besitz, die er nicht herausrückt. Bei einer Durchsuchung im Januar 2023 fand sich allerlei Ungewöhnliches (Bericht folgt).

Aber darum geht es am Donnerstag vor dem Landgericht Regensburg nicht. An diesem Tag, einem der letzten Prozesstage, ist der Ermittlungsleiter des Zolls in Weiden an der Reihe. Er berichtet von Ausbeutung. Das Unternehmen beschäftigte bis zu 300 Slowakinnen, die in Haushalten der Region als „Live-ins“ wohnten.

Alltag einer Pflegekraft: 24 Stunden im Einsatz

Zitat einer Pflegekraft bei der Vernehmung: „Täglich zwischen 13 und 14 Uhr habe ich Pause, kann aber das Haus nicht verlassen. Während dieser Zeit halte ich mich in meinem persönlichen Zimmer auf. Wenn sie (Anm.: die Patientin) aufwacht und nach mir ruft, muss ich zu ihr gehen und ihr behilflich sein. Einmal in der Woche habe ich zwei Stunden Freizeit, die ich völlig zur freien Verfügung habe. Da ist dann jemand da.“ Oft leben die Angehörigen ganz woanders.

Für den 50-jährigen Zollbeamten steht fest: „Aus dem osteuropäischen Lohngefälle wird Kapital geschlagen.“ Die Frauen verdienten im Monat zwischen 1.100 und 1.460 Euro netto. Immer noch mehr, als in der Slowakei. „Und das wird ausgenutzt.“ Eben dies zu verhindern, sei Aufgabe der „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ des Zolls. Auf dem Bau werde sehr genau hingeschaut. „Da sagen wir doch auch nicht: Das interessiert uns nicht.“

Manche lebten in Einsiedlerhöfen, ohne Freunde

Er hat die Pflegerinnen in den Haushalten ihrer Patienten aufgesucht. Manchmal mussten Vernehmungen unterbrochen werden, weil sich die jeweilige Slowakin um ihren Pflegebedürftigen kümmern musste. „Da waren Engel dabei. Die haben die Patienten betreut, als wären es ihre eigenen Eltern.“ Die Frauen verbrachten ihre gesamte Zeit in den Wohnungen. „Sie sagten: Wer passt denn sonst auf Opa und Oma auf?“ Manche Einsatzorte lagen in abgelegenen Dörfern und Einöden.

Da waren Engel dabei. Die haben die Patienten betreut, als wären es ihre eigenen Eltern. Ermittlungsleiter des Zolls

Der Zollbeamte sprach auch mit der Anwerberin in Weiden, deren Muttersprache Slowakisch ist. Aus ihrer Sicht sei den Frauen vor vorne herein klar gewesen, dass sie für Rund-um-die-Uhr-Pflege angeheuert wurden. Zitat aus der Vernehmung: „Ich legte ihnen nahe, dass sie außer der Pause immer vor Ort sein müssen. Die Pause beträgt zwei bis vier Stunden am Tag. Das muss aber mit dem Patienten abgesprochen sein.“ Damit ergibt sich ein Nettolohn von durchschnittlich 1,93 Euro.

Alle vier Wochen wurden die Slowakinnen abgelöst. Ein Taxi brachte die Frauen aus Osteuropa in den Landkreis Neustadt/WN. In der Regel wechselten sich zwei Pflegerinnen in einem Haushalt ab. Einmal die Woche sah eine von vier Bereichsleiterinnen nach dem Rechten. Eine von ihnen berichtet: „Nach ihrer Ankunft fuhr ich mit der Pflegerin raus. Wir verständigten uns schon im Auto, was für ein Krankheitsbild vorlag.“

Man habe den Tagesablauf besprochen: von Aufstehen bis zur Nachtruhe. Dazu kommen Kochen und Putzen. „Dazwischen hatten sie ja immer wieder Pause.“ Sie wisse nichts von nächtlichen Einsätzen, dafür gebe es „Inkontinenzmaterial“. Dem widersprachen die Slowakinnen. Sie berichteten von Umlagern oder Wäschewechsel in den Nächten. Manche Senioren hatten ein Glöckchen stehen.

Die Frage ist doch letztlich: Ist das legal? Leitsatz des Zolls: „Tatsächliche Arbeit muss vergütet werden.“ Abgerechnet wurden aber nur die Stunden, die der Medizinische Dienst je nach Pflegegrad veranschlagt. Sprich: 90 bis 300 Minuten am Tag, multipliziert mit dem Mindestlohn. Um auf 1.100 bis 1.460 Euro Nettolohn zu kommen, wurde mit einem „Verpflegungsmehraufwand“ aufgefüllt. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten „Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt“ in 112 Fällen vor. Schaden laut Rentenversicherung: mindestens 1 Million Euro.

Agenturen, die Osteuropäerinnen vermitteln, gibt es in ganz Deutschland. Warum wurde gegen den Pflegedienst im Landkreis Neustadt ermittelt? Den Anstoß gab nach Auskunft des Zollbeamten ein Ermittlungsverfahren im fränkischen Hof. Dort hatte ein Ex-Mitarbeiter einen Pflegedienst nach gleichem Vorbild hochgezogen. Die Ermittlungen bezogen sich auf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts 2013, wonach Bereitschaft in der 24-Stunden-Pflege vergütet werden muss.

Angeklagter spielt selbst vor Gericht den Chef

Der Angeklagte, der mit seinem Pflegedienst gut verdient hat, mischt sich gern und häufig in die Verhandlungen ein. Er benimmt sich, als wäre er der Chef der Wirtschaftsstrafkammer. Mehrfach bremst ihn Vorsitzender Richter Gerald Siegl ein.

Die Verteidigungsstrategie von Johann R.: Er verweist auf das deutsche Arbeitszeitgesetz, das Arbeitnehmer ausschließt, die in „häuslicher Gemeinschaft mit den anvertrauten Personen zusammenleben und sie eigenverantwortlich pflegen und betreuen“. Genau das sei der Fall. „Die meisten bleiben sowieso freiwillig im Haus. Wo sollen sie auch hin, auf dem Land?“

Wenn es fair bezahlt würde: unbezahlbar

Ganz klar: Osteuropäische Pflegerinnen sind für viele Familien eine „super“ Lösung: Der Senior kann in den eigenen vier Wänden bleiben; und die 24-Stunden-Pflege kostet weniger als ein Heimplatz. Mit Sicherheit wäre vielen Kunden mehr Fairness wichtig. Die scheint unbezahlbar. Der Zoll hat einen externen Experten ausrechnen lassen, was es kosten würde, wenn die Pflegerinnen ordnungsgemäß bezahlt würden. Ergebnis: um die 6.000 Euro.

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