Zeugen der Degen-Attacke in Weiden: Die einen helfen – die anderen filmen

Weiden. Die drei Opfer schildern vor dem Schwurgericht den Ablauf des Degen-Angriffs in der Fußgängerzone in Weiden. Außerdem sagt der Kellner des "Bräuwirts" aus, der ihnen zu Hilfe kam.

Degenattacke Schöner XY-Preis
Bild: privat

Die Mittagszeit, 23. August 2022: Drei Kollegen (61, 58, 48) gehen gemeinsam in die Pause. Aus heiterem Himmel greift eine Rentnerin mit einem Degen an, zielt auf den Kopf des Jüngsten, schneidet dem Zweiten in den Arm. Am Mittwoch hat das Sicherungsverfahren gegen die 66 Jahre alte Täterin begonnen. Vor dem Schwurgericht schildern die Männer die Minuten der Attacke.

Dem Gericht sind die drei Opfer gut bekannt: Es handelt sich um Justizbeamte. Ein Rechtspfleger (61) beschreibt, wie sie nebeneinander in lebhafter Unterhaltung über den Unteren Markt schritten. Er war der einzige, der die entgegenkommende Frau überhaupt wahrnahm. Sie fiel ihm auf, weil sie “vor sich hin murmelte”. Die weißhaarige Dame trug einen länglichen Gegenstand, den der 61-Jährige für einen Stock hielt.

“Da sind’s ja, die Verbrecher!”

Auf Höhe des Restaurants “Pallas” habe die Frau unvermittelt von oben durchgezogen und auf den Kopf des Kollegen gezielt. Dabei rief sie: “Da sind’s ja, die Verbrecher!” Sein Kollege (48) habe sich im letzten Moment weggeduckt. Die Klinge traf ihn am Hals. Die Wucht war so stark, dass der 48-Jährige in die Knie ging. Als die Angreiferin mit beiden Händen erneut anhob, griff der 61-Jährige nach ihren Handgelenken. Der Säbel schnitt ihn dabei in den Arm. Schmerzen? Gar nicht. Erst später sah er, “dass da ein zehn Zentimeter großes Stück weghing”.

Gemeinsam mit dem dritten Kollegen (58) packte er die Unbekannte an den Händen. Zu zweit hielten sie die Angreiferin fest. “Ihre Kräfte waren erstaunlich. Uns kam das sehr lange vor.” Der 58-Jährigen entwand ihr schließlich den Degen und legte ihn – so weit entfernt wie möglich – auf den Pflastersteinen ab. Die Frau zeterte und schrie. Dann kam der “Bräuwirt”-Mitarbeiter und griff mit zu. “Es war ein ganz schöner Tumult.”

Psychisch kein Pappenstiel für Angriffsopfer

Der 61-Jährige hat den Überfall gut weggesteckt. Das Kriseninterventionsteam habe ihm Hilfe angeboten. “Aber ich habe das gut verkraftet.” Auf Wunsch des Gerichts krempelt er sein Hemd hoch und zeigt die Narbe. “Schon deutlich”, sagt Richter Peter Werner.

Sein jüngerer Kollege (48), ebenfalls Rechtspfleger, kämpfte merklich stärker mit psychischen Folgen. Der Weidener war derjenige, der das Angriffsziel war. Und hätte er nicht so blitzschnell reagiert, hätte ihn die Klinge frontal ins Gesicht getroffen. Der Degen mit einer 70 Zentimeter langen Klinge steht eindrucksvoll in einem Gefäß auf dem Richtertisch. “Die ersten Nächte waren katastrophal”, erinnert sich der 48-Jährige an die Zeit nach der Tat. Er selbst sei in der Folge vorsichtiger geworden.

Beschuldigte entschuldigt sich bei Opfern

Nach jeder Zeugenaussage bittet Verteidigerin Christiane Bardenheuer um das Wort für ihre Mandantin. Diese spricht jeden mit Namen an: “Herr X., es tut mir furchtbar leid, dass das passiert ist. Bitte nehmen Sie meine Entschuldigung an.” Und alle Drei nehmen freundlich an. So sagt beispielsweise der 58-jährige Justizbeamte: “Ich bin nicht nachtragend. Ich habe gemerkt, dass Sie in einer absoluten Ausnahmesituation waren.”

“Bräuwirt”-Kellner als Zeuge

Der Kellner des “Bräuwirts”, Nicolas Schöner (23), ist unter den Zeugen des ersten Prozesstags. Er hatte die Frau von den Justizbeamten weggezogen. Er habe sie zur Seite bringen und beruhigen wollen. “Aber sie kratzte, schlug und trat.” Am Ende habe er sie zu Boden bringen müssen. Ein weiterer Passant half ihm beim Fixieren, “damit es nicht zu fest war”: “Wir wollten ihr nicht weh tun.”

Die beiden hielten die Frau in Schach, bis die Einsatzkräfte kamen. “Maximal zehn Minuten, vielleicht auch viel kürzer.” Ihr Gemütszustand sei schwankend gewesen: Einmal war sie ruhig, dann habe sie wieder panisch geschrien: “Ihre Schwester sei entführt worden.” Alles in allem habe die Frau einen sehr verwirrten Eindruck gemacht. Andere Ersthelfer kümmerten sich um die Verletzten. Ein Wirt holte einen Verbandskasten und verarztete den 61-jährigen Rechtspfleger.

Die einen helfen – die anderen machen Handy-Filme

Noch eines wird deutlich: Menschen reagieren offenbar sehr unterschiedlich, wenn andere in Gefahr sind. Für Kopfschütteln sorgt ein Handyvideo, das als Beweismittel auf dem Bildschirm im Gericht gezeigt wird. Gefilmt wurde es von einer Frau, die als Gast eines Lokals beim Essen saß. Der Stimme nach ist sie nicht die Jüngste.

Sie hält mit dem Handy auf das Geschehen (“Was ist denn da los?”) und zoomt heran: Man sieht die Herren der Justiz mit der Dame ringen, dann spurtet der Kellner ins Bild und übernimmt, ihm hilft schließlich ein weiterer junger Passant. Eine Kollegin vom “Bräuwirt” steht dabei, sie fragt die Angreiferin immer wieder: “Was ist denn los? Was ist mit Ihnen?”

Drei junge Leute, die in der Krise ihr Bestes versuchen. Währenddessen bleibt die Filmemacherin im Stuhl sitzen. Als ihr ein sichtlich geschockter Radfahrer die Sicht versperrt, ruft sie ungehalten: “Geh mal weg da!” Und als sie aufgefordert wird: “Tun Sie das Handy weg”, da sagt sie: “Warum?”

Das Verfahren wird am Dienstag, 9 Uhr, am Landgericht Weiden fortgesetzt.

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