Führte unbehandelte ADHS zu Crystal-Sucht?

Weiden/Wiesau. Ein junges Paar war im Februar im Regionalexpress nach Wiesau mit 80 Gramm Amphetamin erwischt worden. "Crystal" in Grenznähe - ein Klassiker, sollte man meinen. Im Prozess vor dem Amtsgericht Weiden kommt dann doch Erstaunliches auf den Tisch.

Schöffengericht Amtsgericht
Ein Pärchen stand am Dienstag vor dem Schöffengericht am Amtsgericht Weiden. Rechts Psychiater Dr. Thomas Wenske. Foto: Christine Ascherl

Zunächst das Urteil: Für die Frau (34) aus dem Landkreis Wunsiedel gibt es einen Freispruch. Das Schöffengericht sieht es nicht als bewiesen an, dass sie von den Drogen wusste. Ihr damaliger Freund (37) gesteht den geplanten Deal. Er bekommt 2 Jahre 9 Monate Haft, kann aber auf eine Therapie hoffen.

Monatlich 1.500 Euro für Drogen ausgegeben

Das Gesetz sieht unter bestimmten Voraussetzungen vor, dass Betäubungsmittelabhängige statt einer Gefängnisstrafe eine Drogentherapie absolvieren (Paragraph 35, Betäubungsmittelgesetz). Der 37-Jährige hat dafür gute Karten. Er steht voll im Berufsleben, könnte selbst jetzt – nach neun Monaten Untersuchungshaft – sofort wieder bei seinem Arbeitgeber als Mechaniker anfangen. Er arbeitete früher bis zu 54 Stunden wöchentlich, nebenher jobbte er als Fitnesstrainer.

Ein Workaholic unter Dauerstrom. Am Ende konsumierte er täglich ein halbes Gramm Crystal, so sein Anwalt Helmut Mörtl (Regensburg). Der intensive Konsum ist durch die Haarprobe belegt. Das geht ins Geld. Ein Gramm kostet 80, auch mal 100 Euro. Bei seinem Bedarf gab er monatlich 1.500 Euro für Metamphetamin aus. „Ihm blieb letztlich gar nichts anderes übrig als der Handel“, sagt der Verteidiger.

Handel in Telegram-Gruppen

Auch am Tag der Zugfahrt von Marktredwitz nach Wiesau hatte er 80 Gramm dabei, die er weiterverkaufen wollte. Den Kunden nennt er nicht. Was der Angeklagte nicht ahnte: Die zwei großen kristallinen Brocken waren gar kein Metamphetamin, sondern Lev-Metamphetamin. Grob gesagt handelt es sich dabei um linksdrehendes Amphetamin, ein Nebenprodukt bei der synthetischen Herstellung. Es hat nur ein Zehntel der Wirkung von „Crystal“ und gilt als Streckmittel.

Für die Bestrafung ist dies letztlich gleichgültig. Der 37-Jährige ging von harten Drogen in seinem Beutel aus. Illegale Betäubungsmittel sind beide Amphetamine, ob links oder rechts herum. Gekauft hatte er die Ware im Internet, berichtet ein Kriminalbeamter im Zeugenstand. Im Handy des Angeklagten stieß der Ermittler auf diverse Telegram-Gruppen. „Da kann man alles bestellen.“ Alle möglichen Drogen werden angeboten, inklusive Preislisten. „Man braucht nicht mal mehr übers Darknet.“

Führte unbehandelte ADHS zu Crystal-Sucht?

Eine interessante Theorie hat der Sachverständige Psychiater Dr. Thomas Wenske, was die Drogensucht der weiblichen Angeklagten angeht. Die 34-Jährige litt möglicherweise als Kind unter einer unbehandelten Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Wie er darauf kommt? Die junge Frau schildert, ein sehr unruhiges Kind gewesen zu sein, das überall aneckte („ein angestochenes Huhn, für andere schwer zu ertragen“).

Mit 15 Jahren geriet sie in ihrer Heimatstadt im Landkreis Wunsiedel an „Crystal“, das normalerweise aufputscht. Bei ihr war die Wirkung genau gegenteilig: Sie wurde ruhig und konnte sich konzentrieren. Für Wenske ist dies letztlich der indirekte Beweis, dass sie als Kind ADHS hatte. „Medikamente wie Ritalin sind Metamphetamin-Derivate.“ Ihr Elternhaus war schwierig, Hilfe nicht zu erwarten. Der Psychiater sagt: „Hätte man ADHS frühzeitig erkannt und behandelt, dann hätte sie vielleicht einen anderen Lebensweg genommen.“ Inzwischen liegen 20 (!) Entgiftungen und unzählige Unterbringungen und Heimaufenthalte hinter der gelernten Verkäuferin.

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