Für mehr “Tempo 30”: Kampfabstimmung im Stadtrat

Weiden. Der Stadtrat von Weiden hat mit 21:20 für einen Anschluss an die Initiative "Lebenswerte Städte durch angepasste Geschwindigkeiten" gestimmt. Über 400 deutsche Kommunen wollen damit leichter Tempo-30-Zonen einrichten können.

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Tempo 30 war Thema im Stadtrat Weiden. Foto: Oberpfalzecho

Der Stadtrat diskutiert am Montag in der Max-Reger-Halle ausgiebig. Erst nach 20 Rednern wird die Liste geschlossen. Oberbürgermeister Jens Meyer betont vorab ausdrücklich, dass mit der Initiative kein flächendeckendes “Tempo 30” eingeführt wird: “30 in Ein- und Ausfallstraßen – das werden wir nicht tun.” Vielmehr gehe es darum, dass die Entscheidung für jede Straße künftig Sache der Kommune ist. “Was vergeben wir uns, wenn wir unsere Entscheidungsfreiheit verstärken?”

Gerald Bolleininger (SPD) nennt auch gleich das prominenteste Beispiel: die Joseph-Haas- und Tulpenstraße. Anwohner beklagen seit vielen Jahren die vielen Lkw und leeren Hänger, die mit 50 “Sachen” durch den Rehbühl scheppern. Die Straße ist “Sammelstraße”, rechtlich gibt es derzeit keine Chance auf Tempo 30. Hier könnte man die Lebensqualität erhöhen. Roland Richter (SPD) nennt die geforderte Gesetzesänderung eine “Riesenchance”, viele Probleme der Vergangenheit zu lösen. Und von wegen Schilderwald: Aktuell gibt es Straßen, in denen das Tempolimit von 30 auf 50 auf 30 wechsle (Rehbühlstraße, Gabelsberger Straße). Künftig könnten ganze Stadtteile auf 30 gesenkt werden: “Ein Schild.”

Für Laura Weber (Grüne) ist Sicherheit ein starkes Argument: “Jeder kennt doch eine Familie, die an einer Straße wohnt, wo man sich denkt: Wahnsinn, da muss man Angst haben, dass das Kind überfahren wird, wenn es mal vor zur Straße läuft.” Auch Gisela Helgath (Demokratisch-Ökologisch Weiden) stimmt aus “ganzem Herzen” für mehr 30-Limits und zwar “in möglichst vielen Straßen”.

Und die Gegner: Es gibt Wichtigeres

Benjamin Zeitler (CSU) votiert gegen das Positionspapier: “Es ist nicht sinnhaft, dass jede Kommune macht, was sie will.” Und überhaupt: An kommunalen Initiativen gäbe es Wichtigeres, etwa zur besseren Finanzausstattung von Kommunen. Hans Forster (CSU) sieht keine Notwendigkeit: “Wir sollten in der Stadt die Temporegelungen so beibehalten, wie sie sind.” Seine Überlegung: Wenn ich langsamer fahre, brauche ich auch länger, das steigere den Kraftstoffverbrauch. “Wo ist hier der Einspareffekt?”

Und so geht die Diskussion hin und her. Drei dafür: Florian Graf (SPD): “Ich möchte niemanden beunruhigen: Aber irgendwann wird in jeder Stadt Tempo 30 gefahren werden. Das wird kommen. Und ihr wisst doch, dass es Sinn macht.” Rainer Sindersberger (Freie Wähler) verweist auf den Stadtteil Scheibe, den man nach langer Diskussion im Hauptverwaltungsausschuss komplett auf 30 umgestellt hat: “Er hat sich positiv verändert.” Auch in Neunkirchen und am Hammerweg bestehe der Wunsch auf Tempo 30 im ganzen Stadtteil. Warum? Lebensqualität. Schließlich Sonja Schumacher (Fraktion Demokratisch-Ökologisch Weiden): “Das dient dem Schutz der Kinder, Fußgänger und Radfahrer. Das sollte doch ein wesentliches Kriterium sein gegenüber der Freiheit, mit 50 durch die Stadt zu fahren.”

Drei sind dagegen. Hans Blum (CSU), der daran erinnert, dass in dieser Sache vor einem Jahr ein Beschluss im Hauptverwaltungsausschuss fiel. Da wollte man noch die gesetzliche Regelung der Koalition abwarten. Jetzt plötzlich nicht mehr? Wolfgang Pausch (CSU) nennt “die Metropolen der Oberpfalz”, die bislang bei “Lebenswerte Städte” unterschrieben haben: “Poppenricht, Parkstein und Hohenfels.” Schließlich Stephan Gollwitzer (CSU), der nach Lektüre einer ADAC-Expertise davor warnt, dass sich der Verkehr alternative Wege sucht: Beispiel Mooslohstraße, wo während der langen Baustellenzeit die Autos durch die Seitenstraßen rollten.

Die Liste ließe sich lange fortsetzen. Helmut Schöner, Ökologisch-Demokratisch (pro): “Wir sind für den Schutz unserer alten Leute, unserer Kinder, aller, die schwächer sind als ein Auto, verantwortlich.” Lothar Höher, CSU (contra): “Wir sollten soviel Vertrauen in die Regierung unseres Landes haben, bis sie das angekündigte Gesetz vorlegt.” Christoph Skutella, FDP (pro): “Lasst uns offen bleiben. Wir werden zustimmen.” Künftige Diskussionen könnten ganz andere sein: Was sei Emission beim Elektro- oder beim Wasserstoffauto? Karl Bärnklau, Grüne (pro), Michael Holl, SPD (pro)… Am Ende wird zweimal durchgezählt, weil’s so knapp aussieht: 21 Stadträte stimmen für das Positionspapier. 20 dagegen.

Der Stadtrat Weiden tagt in der Max-Reger-Halle. Thema: Tempo 30 innerorts. Foto: Christine Ascherl
Der Stadtrat Weiden tagt in der Max-Reger-Halle. Thema: Tempo 30 innerorts. Foto: Christine Ascherl
Der Stadtrat Weiden tagt in der Max-Reger-Halle. Thema: Tempo 30 innerorts. Foto: Christine Ascherl
Der Stadtrat Weiden tagt in der Max-Reger-Halle. Thema: Tempo 30 innerorts. Foto: Christine Ascherl
Der Stadtrat Weiden tagt in der Max-Reger-Halle. Thema: Tempo 30 innerorts. Es kommt zur Kampfabstimmung. Foto: Christine Ascherl
Der Stadtrat Weiden tagt in der Max-Reger-Halle. Thema: Tempo 30 innerorts. Es kommt zur Kampfabstimmung. Foto: Christine Ascherl
Foto: Christine Ascherl
Foto: Christine Ascherl

Aktuell haben sich über 400 deutsche Kommunen dem Initiative “Lebenswerte Städte” angeschlossen. Ziel des Vorstoßes ist mehr Freiheit bei der Geschwindigkeitsanordnung. Die Initiative fordert den Bund auf, die rechtlichen Voraussetzungen für Städte zu schaffen, innerorts Tempo 30 anordnen zu dürfen. Dazu müsste das Straßenverkehrsgesetz geändert werden. Aktuell ist es an den Hauptverkehrsstraßen nur unter hohen Hürden möglich, das Tempo auf 30 zu drosseln. Vergleichsweise einfach geht das nur an Altenheimen, Kindergärten und Schulen.

Kommentar: Frage der Perspektive

Von Christine Ascherl

Immer eine Frage der Perspektive: Radfahrer, Eltern von Kindern, alte Menschen werden Tempo-30-Zonen begrüßen. Wer radelt schon gern durch die Seltmann-Unterführung (“Tal des Todes”)? Wer hat nicht Bauchweh, wenn er die Kinder über das löchrige Radwegenetz zur Schule schickt? Und welcher Senior hat sich noch nicht gefragt, wie er Einfallstraßen überqueren soll, auf denen es teils kilometerlang keine Querungsmöglichkeit gibt? Toitoitoi mit dem Rollator.

Verständnis gilt der anderen Fraktion: den Postboten, den Apotheken-Lieferanten, Fahrlehrern und Buslenkern. Wer täglich viel durch die Stadt fahren muss und dabei nicht lämpern darf, für den kann Tempo 30 schon quälend langsam sein.

Ein kleiner Selbstversuch: Wie viel Zeit ginge verloren, wenn in Weiden flächendeckend Tempo 30 gelten würde? Wir haben es ausprobiert und sind vom Ortsschild Vohenstraußer Straße zur Josefskirche gefahren. Das Ergebnis? Das dauert bei 30 km/h fünf statt drei Minuten. Zwei Minuten Zeitverlust auf drei Kilometern. Ist das viel oder wenig? Immer eine Frage der Perspektive.

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