Gene, Götter und Grenzwerte (3): Wie weit kann Medizin gehen?

Tirschenreuth. Was haben Brustkrebs und Lungenkrebs gemeinsam? Beide Erkrankungen können immer besser behandelt werden, obwohl sie unterschiedliche Ursachen haben. Im dritten Teil des Gesprächs geht es um die Fortschritte in der Krebsmedizin, die Rolle genetischer Veranlagungen – und um die Vision von einem längeren, besseren Leben.

Dr. Josef Scheiber im Tirschenreuther Hauptsitz der BioVariance. Foto: Oberpfalz-Marketing

Wir haben im Kontext der Pandemie darüber gesprochen, dass die RNA-Methode eigentlich für den zielgenauen Transport von Krebsmedikamenten in die betroffenen Zellen entwickelt wurde. Wie weit ist die Krebsforschung inzwischen?

Scheiber: In den vergangenen drei Jahren gab es die meisten Medikamentenneuzulassungen. Seit 2012 ist die durchschnittliche Überlebenszeit bei Krebserkrankungen um vier Jahre gestiegen – und sie wird weitersteigen. Paradoxerweise spricht eine hohe Zahl von Krebsfällen für ein gut funktionierendes Gesundheitssystem, weil das bedeutet, dass die Menschen Infektions- und kardiovaskuläre Erkrankungen überleben. Das Ziel ist, Krebs wie inzwischen Aids als eine chronische Erkrankung behandelbar zu machen, die nicht tödlich verläuft. Es krankt derzeit vor allem noch daran, dass jemand, der eine Diagnose bekommt, auch an den richtigen Arzt gerät, der dafür die Expertise besitzt. Mittelfristig wird das für alle Patienten gelingen.

Es gibt bereits heute gut behandelbare Krebsarten – gilt es auch für die überwiegend tödlich verlaufenden Varianten?

Scheiber: Das gilt inzwischen auch für rund ein Fünftel der Bauchspeichelkrebs-Patienten, das war vor 5 bis 10 Jahren noch nicht so. Die Pharmaindustrie hat viel Geld investiert, um mit der Personalisierung zu verstehen, wo genau man angreifen muss, um signifikante Effekte zu erzielen.

Da is’ er dahoam: Dr. Josef Scheiber blickt über seine Tirschenreuther Teichpfanne. Foto: Oberpfalz-Marketing

Früher hat man oft darüber diskutiert, ob die Ursache der Krebserkrankung eher genetisch oder vom Lebensstil und anderen externen Faktoren geprägt ist – spielt das keine große Rolle mehr?

Scheiber: Die Genom-Identifizierung hat geholfen zu verstehen, was den Ausbruch auf individueller Ebene begünstigt. Für die Behandlung ist es wichtig zu wissen, wo man ansetzt: Brustkrebs ist oft genetisch bedingt, Lungenkrebs fast nie. Alles andere liegt irgendwo dazwischen. Der Auslöser ist zum Teil relevant, aber er ist nicht der einzige Faktor.

Eine frühzeitige Erkennung der Krebserkrankung ist aber immer noch entscheidend?

Scheiber: Natürlich. Google investiert viel Geld in Bluttests zur Früherkennung. In das Thema Langlebigkeit investieren alle. Die Erkenntnis, dass der Alterungsprozess auf molekularer Ebene beeinflusst werden kann, ist inzwischen etabliert. Die Lebenszeit von Mäusen kann ich vervierfachen. Tech-Milliardäre wie Elon Musk oder Jeff Bezos investieren wie blöd an dieser Stelle.

Könnte es aber auch sein, dass Mäuse einen verhältnismäßig schlechten Lifestyle pflegen, wenn man an den Stress einer Maus angesichts ihrer vielen Fressfeinde oder im Labor denkt – und Menschen in Wohlstandsgesellschaften, zumindest wenn sie sich nicht in erster Linie von Fast Food ernähren und ihr Leben auf der Couch und vorm Schreibtisch verbringen, ihr Potenzial bereits ziemlich ausgeschöpft haben?

Scheiber: Seit dem Jahr 1800 ist pro 40 Jahre die Lebenserwartung im Schnitt um zehn Jahre gewachsen. Da ist kein Ende absehbar.

Entscheidender ist, wie stark man die Lebensqualität beeinflussen kann. Es bringt ja nichts, uralt zu werden, wenn man dann nur noch dahinsiecht. Dr. Josef Scheiber

Der Münchener Chefarzt und Ernährungsexperte Professor Wechsler empfiehlt eine kalorienreduzierte Ernährung. Wer statt 2000 nur 1500 Kalorien am Tag zu sich nehme, könne unter optimalen Bedingungen schon heute fit und gesund 120 Jahre alt werden. Was halten Sie davon?

Scheiber: Kalorien haben einen relevanten Einfluss. Ich habe vor kurzem einen Vortrag zu den Hallmarks of Aging, die Hauptkriterien für den Alterungsprozess gehört. Demnach gehört die Kalorienaufnahme zu diesen Kriterien, die den Prozess maßgeblich beeinflussen. Wir werden die Lebenserwartung weiter steigern können, aber mit zunehmendem Alter treten, wenn wir eine Krankheit in den Griff bekommen, andere auf wie Demenz. Bis 1945 waren Infektionskrankheiten die häufigste Todesursache. Seit wir Impfungen haben, sind kardiovaskuläre Erkrankungen in den Vordergrund gerückt.

Seit 1990 sind tödliche Herzinfarkte und Schlaganfälle um 60 Prozent gesunken. Immer mehr Menschen werden so alt, dass sie Krebs oder Alzheimer kriegen können. Wenn ich eine Krankheit in den Griff kriege, kommt eine andere. Dr. Josef Scheiber

Leute wie Musk, die sich als moderne Götter verstehen, wollen den Alterungsprozess und den Tod gänzlich besiegen. Zumindest das Ewige Leben außerhalb des Paradieses der Gläubigen dürfte eine Illusion bleiben?

Scheiber: Die Ursache für den Tod ist der Alterungsprozess. Da setzen Musk und Co. an. Im vergangenen Jahr ist die älteste Frau der Welt in Portugal mit 117 Jahren gestorben. Man hat nach ihrem Tod alles analysiert, um zu verstehen, welche Präpositionen sie hatte: Sie hatte Vorteile in der Genetik, im Mikrobiom, eine gute Ernährung, eine gute Lebensweise – davon kann man lernen.

Kann man sich auch etwas von sehr alten Tieren wie Schildkröten abschauen – ein äußerst geruhsames und langsames Leben?

Scheiber: Theoretisch ja. Es gibt Seegurken, die mehrere Zehntausend Jahre alt werden.

Da stellt sich wieder die Frage der Lebensqualität: Möchten wir wie Seegurken leben?

Scheiber: Das wohl weniger. Aber es gibt auch Haie, die 500 Jahre alt werden …

Bei BioVariance in Tirschenreuth wird analysiert und geforscht. Foto: Oberpfalz-Marketing

Das hört sich schon eher nach einem spannenden Lifestyle an. Musk beschäftigt sich auch mit einem Computergesteuerten Ersatzteillager für menschliche Organe und Bauteile …

Scheiber: Die prädiktive Maintenance aus dem Maschinenbau als vorausschauende Instandhaltungsstrategie lässt sich grundsätzlich auch auf die menschliche Biologie anwenden. Sie beruht auf der kontinuierlichen Erfassung und Analyse von Zustandsdaten mittels Sensorik sowie der Nutzung moderner Technologien wie dem Internet der Dinge, Cloud-Computing und Verfahren des maschinellen Lernens. Je früher ich verstehe, wohin etwas in die richtige Richtung läuft, desto besser kann ich ein System am Laufen halten. Es gibt immunangepasste Schweine, mit denen ich Organe züchten kann. Weil wir wissen, dass die Niere eines Tages den Dienst verweigern wird, züchten wir eine neue.

Gene-Editing lässt eine Änderung am eigenen Bauplan zu, das ist keine Science Fiction mehr. Eine Studie in England zu Diabetes Typ 1, zeigt, dass die menschliche Biologie umgebaut werden kann. Dr. Josef Scheiber

Aber selbst wenn man das zu Ende denkt und die Unsterblichkeit für möglich halten würde, bleiben doch die Naturgesetze in Kraft. Dazu gehört, dass sich die Sonne in etwa fünf Milliarden Jahren zu einem roten Riesen ausdehnen wird, wodurch Merkur, Venus, Erde und Mars verschlungen werden. Dann nützt Musk auch sein Mars-Projekt nichts mehr – und wenn wir es nicht schaffen, mit mindestens Lichtgeschwindigkeit zu verduften, werden wir wohl kaum Planeten erreichen, die eine menschliche Zivilisation ermöglichen?

Scheiber: Die Methodenentwicklung in der Biologie und Medizin war viel schneller als das, was in der IT passiert ist, auch wenn wir es noch nicht in die tägliche Anwendung übersetzen konnten. Deshalb sprach Steve Jobs auch vom „Jahrhundert der Biologie“, nicht der Informationswissenschaft. Allerdings wird die Forschung immer schneller, die Ergebnisse potenzieren sich, sie führen zu immer weiteren Ergebnissen. Peter Diamandis und Steven Kotler skizzieren in ihrem Buch „Die Zukunft ist schneller als Sie denken“ eine exponentiell beschleunigte Technologie, deren Leistung sich verdoppelt und gleichzeitig regelmäßig im Preis sinkt. Sie prognostizieren: „Wir werden in den nächsten hundert Jahren zwanzigtausend Jahre technologischen Wandels erleben.“ Rein physikalisch gibt es bereits Ansätze der Quantenverschränkung.

Bei BioVariance in Tirschenreuth wird analysiert und geforscht. Foto: Oberpfalz-Marketing

„Gesunde Wissenschaftsregion Nordoberpfalz“: Live erleben!

Echo-Podium beim Oberpfalztag 2025

Thema: „Hauptsach‘ g’sund: Gesunde Wissenschaftsregion Nordoberpfalz“
Mit dabei:

  • Prof. Dr. Clemens Bulitta (OTH Amberg-Weiden),
  • Dr. Christian Schmidkonz (Medical Training Center),
  • Dr. Josef Scheiber (BioVariance),
  • Dr. Maria Rammelmeier (Bezirksmedienreferentin & Regionalforscherin)
  • Moderation: Jürgen Herda

Wann: 18. Mai, 11 Uhr

Wo: Zwischen Fronfeste und Museumsquartier, Hochwartstraße 3 in Tirschenreuth.

Jetzt vormerken – und Zukunft mitgestalten!

* Diese Felder sind erforderlich.