Größter Prozess des Jahres: WSW soll Arbeitnehmer um 13,5 Millionen betrogen haben

Weiden. Am Landgericht Weiden beginnt in einer Woche der Prozess gegen die WohnSachWerte eG (WSW). Angeklagt ist ein Ehepaar (50 und 54) sowie der Sohn (30). Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, 21.000 Arbeitnehmer unfreiwillig zu Genossenschaftsmitgliedern gemacht zu haben. Laut Anklage wurden 13,5 Millionen Euro eingenommen.

Vertritt die Anklage: Staatsanwalt Wolfgang Voit (links) im Gespräch mit Verteidiger Dominic Kriegel, der auch im WSW-Prozess beteiligt ist. Foto: Christine Ascherl

Wie Landgerichtssprecher Matthias Bauer informiert, sind aktuell 30 Verhandlungstage bis Ende Februar angesetzt. Etwa 50 Zeugen (hauptsächlich Polizisten, Mitarbeiter, Broker, Geschädigte) sind geladen. Die Straferwartung liegt bei einer Anklage zur Strafkammer des Landgerichts bei 4 Jahren aufwärts. Vorsitzender Richter ist Peter Werner, Beisitzer sind Matthias Bauer und Florian Bauer, Ergänzungsrichterin ist Magdalena Stahl.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Ehepaar (50 und 54) aus dem Landkreis Neustadt/WN sowie dem erwachsenen Sohn (30) aus Weiden rund 21.000 Fälle des gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs vor, dazu 42.000 des versuchten Betrugs. Die Staatsanwaltschaft wird vertreten durch Staatsanwalt Wolfgang Voit. Er wird begleitet von Staatsanwalt Andreas Falk.

Zum Prozessauftakt kündigen die Verteidiger der Hauptangeklagten, Rouven Colbatz und Jörg Meyer (Regensburg), ein Opening-Statement an. Am Landgericht Weiden kommt das bei einem Prozess zum ersten Mal vor. Dabei handelt es sich um eine Gegenerklärung der Verteidigung auf die Anklageschrift. Rechtsanwalt Michael Haizmann (Regensburg) vertritt den Aufsichtsratsvorsitzenden: Der Jurist hat schon im Vorfeld beanstandet, dass er die Wirtschaftsstrafkammer in Regensburg für zuständig hält.

Ziel: „die eigene Gewinnmaximierung“

Die Anklage liegt vor. Zum 1. März 2018 hatten die Eheleute die Wohnungsbaugenossenschaft aus der Taufe gehoben. Auch das soll schon recht konspirativ gelaufen sein: Man gründete die Genossenschaft nicht selbst, sondern übernahm von einem Berliner eine 2012 in Charlottenburg eingetragene Genossenschaft. Vermutlicher Hintergrund: Vermögenswirksame Leistungen dürfen erst nach drei Jahren des Bestehens kassiert werden.

Die Mitgliederzahl schnalzte in den vier Jahren bis März 2022 nach oben: von Null auf 145.000. Ziel war laut Anklage von vornherein „die eigene Gewinnmaximierung“ und nicht die Verfolgung der Genossenschaftszwecke (Wohnraumschaffung). Die drei Angeklagten seien aufgrund von Schulden und eines aufwändigen Lebensstils auf die Generierung von Einnahmen angewiesen gewesen.

Dreh- und Angelpunkt laut Anklage: Mutter und Sohn

Aus Sicht der Ermittler hat sich folgende Struktur ergeben: Die Mutter (inzwischen 50) zog die Strippen, in enger Abstimmung mit dem Sohn aus erster Ehe. Dieser sei als IT-Fachmann in das Tagesgeschäft eingebunden gewesen und von ihr über sämtliche Problemstellungen informiert worden. Die Bedeutung des Ehemanns ist im Lauf der Ermittlungen eher geschrumpft.

Der Anwerbeprozess sei bewusst irreführend gewesen, so die Anklage. Die Arbeitnehmer wussten demnach weit überwiegend nicht, dass sie einer Genossenschaft beitraten. Ebenso wenig wie ihre Arbeitgeber gewusst haben sollen, dass ihre Mitarbeiter diese VL gar nicht abführen wollten.

Förderhelden.de: „Ganz einfach Geld vom Staat sichern“

Die WSW hatte mehrere Vertriebspartner. Wichtigster „Broker“ soll ein Mann aus Winsen an der Aller (Niedersachsen) gewesen sein. Mit ihm sei 2019 das Onlineportal „Foerderhelden.de“ entwickelt worden. Das Prinzip: Es hieß, der User könne sich „kostenfrei 560 Euro Fördergeld vom Staat“ sichern. Dazu sei nur die Eingabe der persönlichen Daten und die Nennung des Arbeitgebers nötig. Dann öffnete sich ein Feld, wo der „Förderantrag“ digital unterschrieben werden konnte.

Laut Staatsanwaltschaft stand im Kleingedruckten, dass damit der Beitritt zur Genossenschaft erklärt war. Mit dem Button „Antrag absenden“ war der Kunde Genossenschaftsmitglied. Mit diesen Anträgen soll die WSW die Arbeitgeber angeschrieben haben, ihr 50 Euro monatlich als vermögenswirksame Leistungen zu überweisen. Bei 20.955 Arbeitnehmern soll es geklappt haben. In 40.495 Fällen scheiterten die Versuche. Allein 5,4 Millionen Euro soll der Broker aus Winsen an der Aller beigetragen haben.

Die Geschädigten: vom Rettungssanitäter bis zum Aldi-Verkäufer

Die Anklageschrift listet zigtausende Geschädigte aus ganz Deutschland auf. Darunter sind Betroffene, die bei Aldi arbeiten, in Metzgereien, Kliniken, bei Hermes, dem Roten Kreuz oder im Straßenbau. Oft fiel die monatliche Abbuchung der 50 Euro vom Lohnzettel erst nach Monaten auf.

Aber es müsse, so die Staatsanwaltschaft, den Angeklagten klar gewesen sein, dass dieses System früher oder später auffliegen werde: Das habe das Trio nicht daran gehindert, das System „zur Unterhaltung des eigenen Lebensstils“ aufrechtzuerhalten.

Vorwurf: Eine Million allein für „Lebenserhaltung“

Wohin flossen die Millionen? In vier Jahren wurden laut Anklage 13,5 Millionen Euro eingenommen. Das Ehepaar habe sich an das eigene Konto 10 Millionen Euro überwiesen. Dieses Geld floss laut Anklage in etwa zur Hälfte an vier Broker-Agenturen weiter, darunter den Mann aus Winsen (4 Millionen). Der Rest soll beim Ehepaar geblieben sein. Bis März 2022 beziffert die Staatsanwaltschaft allein den Posten „Lebenserhaltung“ des Paares auf 940.000 Euro. Der Sohn habe in drei Jahren rund 690.000 Euro ausbezahlt bekommen.

Bei einer Mitarbeiterin habe man dagegen nicht einmal die Sozialabgaben abgeführt, lautet ein zweiter Vorwurf der Anklage. So sei die Assistentin der Geschäftsführung teilweise schwarz beschäftigt gewesen. Angeklagt ist im Fall der Vorständin daher auch Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt.

Durchgehend in Untersuchungshaft

Das Ehepaar aus dem Landkreis Neustadt/WN befindet sich seit der Durchsuchung und Festnahme im März 2022 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Der Sohn war im Juli 2022 aus der Haft entlassen worden, nachdem er teilweise mit der Kripo kooperiert hatte. Bis zu einem Urteil gilt die Unschuldsvermutung.

Der WSW-Prozess:

Beginn am Mittwoch, 18. Oktober, um 9 Uhr im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Weiden. Verhandelt wird in der Regel montags, mittwochs, donnerstags.

Es urteilt die 1. große Strafkammer unter Vorsitz von Peter Werner, beisitzende Richter sind Matthias Bauer und Florian Bauer, Ergänzungsrichterin ist Magdalena Stahl. Auch für die beiden Schöffen ist ein Ersatzschöffe benannt.

Die Staatsanwaltschaft wird vertreten durch Staatsanwalt Wolfgang Voit. Er wird begleitet von Staatsanwalt Andreas Falk.

Verteidiger sind für die Vorständin Rouven Colbatz (Weiden) und Jörg Meyer (Regensburg), für den Aufsichtsratsvorsitzenden Rechtsanwalt Michael Haizmann und Philipp Roth (beide Regensburg) sowie für den Sohn der Weidener Anwalt Dominic Kriegel und Dr. Gunther Haberl aus Schwandorf.

Der Richtertisch im Schwurgerichtssaal in Weiden. Foto: Christine Ascherl

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