[Update] Zoll durchsucht Pflegedienst: 100 Beamte im Einsatz, Geschäftsführer festgenommen

Weiden. Polizei und Zoll haben am frühen Donnerstagmorgen die Räume eines Pflegedienstes im Landkreis Neustadt/WN durchsucht. 100 Einsatzkräfte waren vor Ort. Es erfolgte eine Festnahme.

Zoll und Polizei durchsuchten am Donnerstag bei einem Pflegedienst. Symbolbild: OberpfalzECHO

Der Geschäftsführer steht im Verdacht, in großem Stil Sozialabgaben hinterzogen zu haben. Der 63-Jährige wurde festgenommen, weil gegen ihn ein so genannter Sitzungshaftbefehl des Amtsgerichts Weiden vorliegt. Hintergrund sind zwei frühere Anklagen wegen versuchter Nötigung und versuchter Erpressung gegenüber Behörden. Der Beschuldigte war zur entsprechenden Verhandlung am Amtsgericht Weiden nicht erschienen. Er bleibt jetzt bis zu einem neuen Verhandlungstermin in der JVA.

Waffenbesitz nicht ausgeschlossen

Wie Staatsanwalt Sebastian Stitzinger, stellvertretender Sprecher der Staatsanwaltschaft Regensburg informiert, waren bei der Durchsuchung ab dem frühen Donnerstagmorgen etwa 100 Kräfte von Polizei und Zoll im Einsatz. Die Behörden rechnen den Geschäftsführer der Reichsbürger-Szene zu. Im Lauf der Ermittlungen hätten sich dafür Hinweise ergeben. Man schloss den Besitz von scharfen Waffen nicht aus. Außerdem war bekannt, dass im Haushalt zwei Kampfhunde leben. Entsprechend groß war der Sicherheitsaufwand beim Einsatz am Donnerstagmorgen. Neben einem Spezialkommando des Zolls (Zentrale Unterstützungseinheit) waren Kräfte des Zentralen Einsatzdienstes Weiden (Polizeipräsidium Oberpfalz) sowie der Kriminalpolizei Weiden mit dabei.

Das Hauptzollamt und die Staatsanwaltschaft Regensburg – Abteilung für Wirtschaftsstrafsachen – ermitteln seit mehreren Monaten gegen den Geschäftsführer zweier Firmen aus dem Bereich der häuslichen Pflege. Dem Beschuldigten liege laut Stitzinger zur Last, Pflegekräften, die für 24-Stunden-Pflege eingesetzt wurden, Bereitschaftszeiten nicht bezahlt und damit Sozialversicherungsabgaben vorenthalten zu haben. Die Ermittlungsarbeit liegt bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls in Weiden.

Der Leiter des Hauptzollamtes Regensburg, Rene Matschke, informierte im Interview mit den Fernsehsender OTV, dass Firmenunterlagen sichergestellt wurden, auch “einige verbotene Sachen”, über die er zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sprechen könne. Der Einsatz dauerte bis 17.15 Uhr. Sollte sich der Verdacht bestätige, rechne er am Ende mit einer Schadenssumme in Höhe eines sieben- bis achtstelligen Eurobetrags. Er geht davon aus, dass der Pflegedienst zunächst weiterlaufen kann und die alten Menschen weiter versorgt seien.

Nicht die ersten Ermittlungen

Schon 2017 hatte der Pflegedienst Besuch vom Zoll bekommen. Bereits 2021 erhob die Staatsanwaltschaft Regensburg eine Anklage. Die Ermittler warfen dem heute 63-Jährigen vor, dem Staat Sozialabgaben in Höhe von rund einer Million Euro vorenthalten zu haben. Die Anklage wurde zur Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht Regensburg erhoben, was eine Straferwartung von mindestens vier Jahren bedeutet.

Der Vorwurf lautete nach damaliger Auskunft von Oberstaatsanwalt Markus Pfaller auf Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 112 Fällen. Dem 63-Jährigen wurde auch damals zur Last gelegt, osteuropäische Pflegekräfte zur 24-Stunden-Pflege eingesetzt, aber nicht entsprechend bezahlt zu haben.

Der 63-Jährige betrieb seit 2013 einen Pflegedienst. Seine Tochter hatte Prokura. Über das Vermögen des Geschäftsführers wurde 2016 ein Insolvenzverfahren eröffnet. 2021 meldete er einen neuen Krankenpflegedienst an, der einen ähnlichen Namen trägt.

Der Mann war 2018 als Mitglied der AfD bei einer rechtsextremen Demonstration in Chemnitz aufgefallen, als es zu Ausschreitungen gegenüber der Polizei kam. Ein Video zeigt, wie er mit einem Stock auf ein Polizeiauto schlägt.

Presseerklärung von Staatsanwaltschaft und Hauptzollamt Regensburg:

“Das Hauptzollamt und die Staatsanwaltschaft Regensburg – Abteilung für Wirtschaftsstrafsachen – ermitteln seit mehreren Monaten gegen den Geschäftsführer zweier Firmen aus dem Bereich der häuslichen Pflege. Dem Beschuldigten liegt zur Last, Pflegekräften, die im Bereich der 24h-Pflege eingesetzt wurden, Bereitschaftszeiten nicht bezahlt und hierdurch Sozialversicherungsabgaben vorenthalten zu haben.
Am heutigen Tage durchsuchten Kräfte von Zoll und Polizei insgesamt drei Objekte im Landkreis Neustadt an der Waldnaab. Da der Beschuldigte im Verdacht steht, der Reichsbürgerszene anzugehören, und da bei ihm Waffen vermutet wurden, wurde der Zugang durch die Zentrale Unterstützungsgruppe Zoll (ZUZ), dem Spezialeinsatzkommando des Zolls, gesichert.

Im Rahmen ihrer Aufgabenwahrnehmung nach dem Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz überprüften Bedienstete der Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Hauptzollamts Regensburg (Dienstort Weiden) bereits vor einigen Monaten zwei im Landkreis Neustadt an der Waldnaab ansässige Unternehmen aus der Gesundheitsbranche.

Beide sind im Bereich der häuslichen Pflege tätig und bieten insbesondere häusliche 24h-Pflege an. Hierzu werden Pflegekräfte eingesetzt, die in den Anwesen der zu pflegenden Personen wohnen und durchgängig zur Verfügung stehen, um bei Bedarf Arbeit leisten zu können (sog. Live-In-Pflege). Im Laufe der Prüfungsmaßnahmen ergaben sich Verdachtsmomente, dass die Pflegekräfte lediglich für einen Teil der aktiv erbrachten Arbeitszeit entlohnt werden und eine Entlohnung für die Bereitschaftszeiten nicht erfolgt. Entsprechend besteht hinsichtlich der nicht bezahlten Löhne der Verdacht des Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen seitens des Geschäftsführers der Firmen, was zur Aufnahme von strafrechtlichen Ermittlungen führte.

Auf Antrag der zuständigen Staatsanwaltschaft Regensburg wurden vom Amtsgericht Regensburg richterliche Durchsuchungsbeschlüsse für die Wohn- und Geschäftsräume des verantwortlich Handelnden ausgestellt. Da sich im Verlauf der Ermittlungen zudem Anhaltspunkte ergaben, dass der Geschäftsführer der sogenannten Reichsbürgerszene zuzurechnen sei, war von einer erhöhten Gefährdungslage auszugehen. Zudem bestand der Verdacht, dass der Beschuldigte noch im Besitz von scharfen Waffen und Halter von Kampfhunden/Kataloghunden sein könnte.

Auf Grund dieser besonderen Sicherheitslage und zum Schutz der eingesetzten Durchsuchungskräfte kamen daher die Spezialeinheiten des Zolls, ZUZ und OEZ, zum Einsatz. Unterstützt wurden die Maßnahmen zudem von zahlreichen Kräften des Zentralen Einsatzdienstes Weiden (Polizeipräsidium Oberpfalz) sowie der Kriminalpolizei Weiden. Im Zuge der Durchsuchungsmaßnahmen, an welchen insgesamt ca. 100 Kräfte von Zoll und Polizei beteiligt waren, kam es zu keinerlei sicherheitsrelevanten Vorkommnissen. Insbesondere wurden keine Waffen aufgefunden. Es wurden umfangreiche Beweismittel in Form von Dokumenten und technischen Geräten beschlagnahmt.

Gegen den Beschuldigten ist aufgrund vergleichbarer Vorwürfe in den Jahren 2015 und 2016 bereits eine Anklage der Staatsanwaltschaft Regensburg beim Landgericht Regensburg anhängig.

Der Beschuldigte, welcher aufgrund eines Sitzungshaftbefehls des Amtsgerichts Weiden festgenommen wurde, hat sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen bislang nicht eingelassen. Es wird darauf hingewiesen, dass für den Beschuldigten uneingeschränkt die Unschuldsvermutung gilt.

Zum rechtlichen Hintergrund:

Das Bundesarbeitsgericht hat mehrfach entschieden, dass neben den Zeiten der sog. Vollarbeit auch Zeiten der Arbeitsbereitschaft und des Bereitschaftsdienstes vergütungspflichtig sind. Für den Bereich der Pflegebranche statuiert § 2 Absatz V der 5. PflegeArbbV eine zumindest anteilige Vergütungspflicht.”

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