Integrationslotse redet Klartext: “Wir schaffen das – aber nicht so”

Weiden. "Wir schaffen das." Manfred Weiß teilt die Überzeugung von Ex-Kanzlerin Merkel. Aber: "Nur mit der nötigen Unterstützung." Der Integrationslotse warnt: "Wir laufen sehenden Auges in eine Katastrophe."

Manfred Weiß Integration
Seit der Flüchtlingskrise 2015 arbeitet Manfred Weiß als Integrationslotse in der Stadt Weiden. Foto: Christine Ascherl

Wer ihn kennt, der weiß: Manfred Weiß erfüllt seine Arbeit mit Herzblut. Er ist absoluter Befürworter von Zuwanderung: “Wir leben in einer multikulturellen Gesellschaft. Das müssen wir endlich begreifen.” Aber er kennt wie kaum ein anderer die Probleme der Flüchtlingspolitik. Seit 2015 ist er Integrationslotse in Weiden.

Zu seinem Abschied zum 1. Februar redet er Klartext. Sein Vorwurf an die politischen Entscheidungsträger: “Es wird erst reagiert, wenn es schon passiert ist.” Eine vorausschauende Vorbereitung auf offensichtlich kommende Probleme gebe es nicht.

Arbeiten bis zum Umfallen

Aus 2015 habe man nichts gelernt. “Ich kam mir manchmal vor wie der Rufer in der Wüste.” Aktuell sei die Flüchtlingssituation noch angespannter als damals. In den Gemeinschaftsunterkünften wird jeder Winkel genutzt. Regensburg will wegen eines übervollen Anker-Zentrums ein Donauschiff belegen. Berater, Behörden, Sprachkurse, Betreuer: Alle arbeiten bis zum Umfallen. “Wir haben Chaos, auch wenn man das nicht sieht.”

Zwar falle die Akklimatisierung der Ukrainer im wahrsten Sinne des Worts leichter: “Es ist anders als damals, als arabischsprachige Flüchtlinge im Winter mit Flipflops und ohne Anoraks da standen.” Viele hätten schon Anlaufpunkte von hier lebenden Landsleuten.

Aber die schiere Zahl der Anfragen sei nicht zu bewältigen: Aktuell beherbergt die Stadt Weiden doppelt so viele Flüchtlinge wie 2015 (etwa 1200, die Hälfte davon Ukrainer). Tendenz steigend. Die wöchentlichen Zuweisungen an Stadt und Landkreis erfolgen durch die Regierung der Oberpfalz, der Zuteilungsschlüssel ist abhängig von den Einwohnerzahlen.

Wie kann Integration gelingen?

Was tun? Der ehemalige Zeitsoldat und Logistik-Manager (Witt, Walbusch) kam 2015 zur Flüchtlingsarbeit. Er koordinierte zunächst ehrenamtlich die rund 300 freiwilligen Helfer in Weiden im “Netzwerk Asyl”. Später wurde die Stelle eines Integrationslotsen daraus, geschaffen von der Diakonie Weiden.

Weiß hält den Aufbau eines Integrationsamtes für dringend notwendig. “Das muss eine kommunale Pflichtaufgabe werden.” Derzeit sind Integrationslotsen nur befristet angestellt, auch seine Nachfolgerin Stefanie Wildenrother. Das muss sich ändern, pocht Weiß. Junge Mitarbeiter sind weg, sobald sie woanders eine Stelle bekommen. “Erworbenes Wissen wird auf den Müll geworfen.”

Beratungsstellen und Behörden arbeiten über der Belastungsgrenze, so Weiß. Sie bräuchten dringend eine bessere personelle Ausstattung. Gleiches gilt für die Gemeinschaftsunterkunft der Regierung bei der Kaserne. Die extreme Auslastung sorgt für Spannung unter den Bewohnern, die teils schon jahrelang in Containern leben. “Es braucht dringend soziale Arbeit vor Ort.” Aktuell ist mit Ulrike Weber eine Ruheständlerin in Teilzeit reaktiviert worden.

Absolut kontraproduktiv: Hetze im Netz

Es stört Manfred Weiß sehr, dass eine sachliche Diskussion über Fragen der Integration nahezu unmöglich sei. Die “digitale Meinungsbeeinflussung” schockiert ihn: “Wer hält dagegen und verhindert Schlimmeres?”

Dabei hält er das offene Ansprechen von Fehlentwicklungen in der Flüchtlingspolitik für wichtig. Auf der einen Seite erlebe er vorbildliche Schützlinge, die jahrelang nicht anerkannt werden. Weiß fordert unbefristete Aufenthaltstitel für Geflüchtete, die Sprachkenntnisse, Straffreiheit und Referenzen von Betreuern aufweisen können. Der Arbeitsmarkt brauche diese Leute, denen aktuell der Beschäftigungszugang versperrt werde.

Konsequenter Umfang mit Straftätern

Gleichzeitig plädiert er für einen konsequenten Umgang mit Straftätern. Aufgrund langer Verfahrensdauer entstünde bei Straftätern der Eindruck, hier werde alles toleriert. Abschiebungen werden nicht umgesetzt. “Unsere Rechte und Gesetze müssen von Zugewanderten akzeptiert werden. Ohne Wenn und Aber.” Das beginne bei der in manchen Familien geltenden strengen Unterordnung der Frau unter den Mann.

Weiß fehlt rechtlich die Abgrenzung zwischen Asylsuchenden aus Krisengebieten und illegalen Einwanderern. “Man wirft alles in einen Topf.” Alle werden im Ankerzentrum aufgenommen registriert und sind im Verfahren. Das werde auch ausgenutzt. In der Außenwirkung setze Deutschland “falsche Migrationsanreize”. Es gäbe die Fälle, in denen sich vorgeblich Schutzsuchende in die soziale Hängematte legen. “Das schafft Sozialneid und soziale Unruhen”, warnt Weiß.

Unzählige Erfolgsgeschichten

Dennoch gilt: ein Blick zurück ohne Zorn. Seine persönliche Bilanz sei: “positiv, positiv, positiv.” Manfred Weiß kann unzählige Erfolgsgeschichten aufzählen von Flüchtlingen, die 2015 in Weiden strandeten und ihre Chancen großartig genutzt haben. Ein Bauingenieur ist darunter, eine Stadtplanerin, ein Journalist, Azubis zum Krankenpfleger und Zahntechniker… Viele sind für ihn Freunde geworden.

Die Schicksale der Schutzsuchenden aus Kriegsgebieten verfolgten ihn oft in den Schlaf, ob aus Syrien oder zuletzt aus der Ukraine. “Keine Frage: Die Menschen müssen da raus.” Sein Fazit nach siebeneinhalb Jahren Flüchtlingsarbeit: “Ich habe erkannt, was wirklich wichtig ist im Leben.” Mit dem Integrationsbüro im Alten Rathaus hinterlässt er sein Erbe.

Zur Person: Manfred Weiß

Manfred Weiß (65) kam beruflich aus einer ganz anderen Ecke, ehe er 2015 in die Flüchtlingsarbeit “geriet”. In seiner beruflichen Karriere war er zunächst Zeitsoldat, studierte Wirtschafts- und Organisationswissenschaften bei der Bundeswehr. In der freien Wirtschaft war er als Logistik-Manager tätig, unter anderem bei Witt Weiden und später als Logistik-Leiter bei Walbusch.

Organsiationstalent hat er also. Genau das war notwendig, als sich 2015 eine nie dagewesene Flüchtlingswelle ankündigte. Weiß war im Januar 2015 einer von gut 100 Freiwilligen, die einer Einladung von Pfarrer Markus Schmid (St. Josef) folgten. Der Arbeitskreis Asyl unter Regie von Ursula und Jost Hess, Veit Wagner, Pfarrer Hans-Peter Pauckstadt-Künkler und Nadine Röckl-Wolfrum hatte dazu vorausschauend aufgerufen.

Schon bei dieser Versammlung wurde sichtbar, dass es einen Koordinator braucht. Am Ende packten 2015 über 300 Ehrenamtliche an: “Ohne sie wäre Chaos ausgebrochen.” Der Abend war die Geburtsstunde des “Netzwerk Asyl”. Viele sind heute noch dabei.

Der Logistik-Manager fand seine Berufung: “Ich habe Menschen bewegt, nicht mehr Paletten.” Weiß – zunächst ehrenamtlich tätig – bildete acht Arbeitsgruppen: Kleiderkammer, Behördengänge, Paten etc. Weiden stemmte den Kraftakt der Aufnahme von 550 Geflüchteten. Erst im Lauf der Jahre wurde eine hauptamtliche Stelle daraus, geschaffen von der Diakonie Weiden.

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