Interview zur Europa-Wahl (1): Thomas Rudner setzt auch auf die 16-jährigen Erstwähler

Regensburg/Weiden. Thomas Rudner (SPD) vertritt die Oberpfalz seit 2023 als Nachrücker des Europa-Abgeordneten Ismail Ertug. Der 62-Jährige hat bereits ein bewegtes Berufsleben hinter sich. Das zentrale Betätigungsfeld des Gewerkschafters: Startchancen junger Menschen zu verbessern.

Seit vergangenem Jahr für die Oberpfalz im Europa-Parlament: Thomas Rudner (SPD) im Redaktionsgespräch. Foto: Jürgen Herda

Thomas Rudner ist ein Mann mit Vergangenheit. Nach Abitur und Studium in Regensburg engagiert sich der Gewerkschafter in verschiedenen Positionen für den internationalen Jugendaustausch. Ein politischer Spätzünder ist der gebürtige Schwäbisch Gmünder dennoch nicht.

Um die Startchancen jungen Menschen in Europa zu verbessern, baut er ein bundesweites und sogar internationales Netzwerk auf. Rudner weiß, wie man sich durch den EU-Förderdschungel kämpft, etwa um Mittel für den bayerisch-tschechischen Jugendaustausch zu verstetigen.

Im Redaktionsgespräch mit OberpfalzECHO schildert Rudner seinen Sprung ins kalte EU-Wasser, seine Erfahrungen im Verkehrsausschuss und seine Hoffnung auf die 16-jährigen Erstwähler.

Herr Rudner, es dürfte ein spannender Wahlabend für Sie werden. Für den Listenplatz Platz 16, auf dem Sie stehen, reichten das letzte Mal 15.8 Prozent, um ins Parlament einzuziehen. Stand jetzt liegt die SPD in Umfragen bei 14 Prozent (Infratest, 2.5.24). Da ist noch Überzeugungsarbeit zu leisten?

Rudner: Ich gehe davon aus, dass wir die 16 Prozent schaffen. Nach allem, was Matthias Ecke passiert ist [Anm. d. Red. Der SPD-Europaabgeordnete wurde beim Aufhängen von Wahlplakaten in Dresden von vier jungen Männern verprügelt], müssten wir einen kleinen Satz nach oben machen. Es gab nur eine Wahl, bei der wir schlechter waren – als wir von 27 auf 16 Prozent fielen. Bei allen anderen waren wir besser als in den Umfragen. Es sind noch zwei Wochen. Die Ansage von Scholz zu 15 Euro Mindestlohn fand ich cool. Ich dachte, jetzt gehen wir nach oben.

Man hat dennoch nicht überall den Eindruck, dass die Europa-Wahl so ernst genommen wird, wie andere Wahlen. Sind Sie mit der Unterstützung der Bundespartei zufrieden?

Rudner: Mein Eindruck ist, die Oberpfälzer Abgeordneten Carolin Wagner und Marianne Schieder machen richtig Dampf im Europa-Wahlkampf. Viele andere bespielen leider nur Bundesthemen. Hier bei euch in Weiden läuft es aber super. Ich bin gespannt, wer am nächsten Dienstag auftaucht, wenn Katharina Barley nach Regensburg kommt.

Zum Wahlrecht mit 16 hat der Merkur eine Podiumsdiskussion mit 250 Schülern organisiert. Sie waren zusammen mit Angelika Niebler (CSU, MdEP), Staatsminister Florian Herrmann (CSU), Heidrun Weickum (FW) und Andie Wörle (Grüne) auf dem Podium. Auf dem Foto sieht man in viele leere Gesichter junger Menschen – hat die das wirklich interessiert?

Rudner: Das war im Gymnasium von Neufahrn. Das Foto trifft die Stimmung gar nicht, die Schüler waren gut drauf. Der Moderator vom Merkur hat aber zuerst nur das Podium gefragt. Ich habe dem Schulleiter immer wieder Zeichen gemacht, „bezieht doch die Schüler mit ein“. Als er das geschnallt hat, haben die immer stärker mitgemacht – wir hätten dann noch ewig weiter diskutieren können.

Europa-Abgeordneter Thomas Rudner im Gespräch mit Schülern. Foto: OberpfalzECHO

Was wollten die Schüler denn so wissen?

Rudner: Muss man künftig wegen des Führerscheins zum Arzt? Wie lange geht das noch in der Ukraine? Wieso werden die Landwirte nicht so anerkannt? Die Lehrkräfte sollten sich viel mehr zutrauen. Das Interesse ist da, aber von den Medien wird eine riesige Distanz aufgebaut zwischen Bürgern und Mandatsträgern.

Einer neuen Jugendstudie zufolge wenden sich immer mehr junge Menschen rechten Parteien zu. Wie soll die SPD da von der Senkung des Wahlalters profitieren?

Rudner: Die Studie besagt lediglich, dass junge Menschen früher nach rechts tendieren können. Aber auch, dass sie ansprechbar sind für politische Themen, dass sie auf die Straße gehen. Bei der Demokratiebewegung nach diesem „Remigrations“-Treffen einiger AfD-Funktionäre waren viele junge Leute dabei. Auch gegen die Querdenker-Demos haben immer die Jungen protestiert.

Wir bekommen bei der Europa-Wahl zwei Jahrgänge mehr mit gleichem Potenzial für die SPD. Thomas Rudner

Aber das ist noch nicht bei allen Jugendlichen angekommen. Wenn man in Schulen fragt, wer wählen darf, kommen erst einmal zaghaft einige Finger – ein Mädchen hat ihren Nachbarn angestupst und ihm angezischt: „Du bis 16, du Honk, du darfst doch auch wählen!“

Also setzen Sie für Ihren Wiedereinzug voll auf den Nachwuchs?

Rudner: Nicht nur, ich habe heute, glaube ich, auch einen Rentner überzeugt. Der wollte wissen, warum wir nach den gewalttätigen Angriffen auf Politiker die Gesetze verschärfen wollen, wo doch auch Polizisten und Feuerwehrler angegriffen würden? Ich habe ihm erklärt, dass für sie anders als für Politiker bereits verschärfte Regelungen gelten.

Wichtig wäre es jetzt, dass es schnell zu einem Prozess gegen die Täter kommt. Drei von vier haben einen gesichert rechtsradikalen Hintergrund. Die Parteispitze hat noch einmal eine Empfehlung bekräftigt, wie man sich beim Plakatieren verhalten soll. Es sollen immer mindestens zwei Leute, wenn nicht drei unterwegs seien. Auch an den Infoständen.

Bei der Bekämpfung von Gewalt gegen demokratische Politiker seid ihr euch mit der CSU einig?

Rudner: Theoretisch schon, aber es wäre hilfreich, wenn die CSU nicht im Europa-Parlament nach rechts aufmachen würde. Manfred Weber verhandelt mit Meloni. Das Kalkül ist, dass sich die EVP nach der Wahl aussuchen kann, ob sie etwas mit der Rechten oder den Demokraten durchsetzt.

Und auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat bekräftigt, dass sie mit der Neofaschistin Meloni zusammenarbeiten will. Thomas Rudner

Die sitzt in der gleichen Fraktion mit rechtsradikalen Parteien wie dem französischen Rassemblement National (RN) oder der italienischen Lega – das ist schon ziemlich krass. Wenn man sie rechts liegen lässt, wären sie kein Problem.

Das EU-Parlament verabschiedete eine Erklärung zur „Notwendigkeit unverbrüchlicher EU-Unterstützung für die Ukraine zwei Jahre nach dem Beginn von Russlands Angriffskrieg“ am 29. Februar – inklusive eines Plädoyers für Marschflugkörper mit großer Reichweite. Katharina Barley und 5 andere Genossen stimmten zu, Sie und zwei andere dagegen. Warum?

Rudner: Ich folge in dieser Frage Bundeskanzler Olaf Scholz. Man braucht deutsche Soldaten, um den Taurus zu programmieren. Und damit wächst die Gefahr, dass wir Kriegspartei werden. Ich würde viel mehr unsere anderen Verbündeten, die Deutschland kritisieren und selbst viel weniger liefern, auffordern, endlich ihre Hausaufgaben zu erledigen. Gerade auch Frankreich und Großbritannien.

Die Bundesregierung reagiert, vorsichtig formuliert, sehr zurückhaltend auf die Vorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, die europäische Verteidigungsbereitschaft vor einer möglichen Wahl Donald Trumps im November zu stärken …

Rudner: Eine europäische Armee ist unrealistisch. Wie soll das gehen? Effektiver wäre eine gemeinsame Beschaffung von Waffen. Damit ließe sich eine große Menge Geld einsparen. Macron verfolgt damit vor allem das innenpolitische Ziel, Le Pen zu verhindern. Dabei sind unsere sozialdemokratischen Parteifreunde auf dem aufsteigenden Ast – leider nicht zulasten der Rechten. Im Übrigen hat Trump noch nicht gewonnen. Und wenn doch, glaube ich nicht, dass er aus der NATO aussteigt. Dringlicher ist, nach der Wahl schnell wichtige Stellen zu besetzen, bevor Orbán die Ratspräsidentschaft übernimmt.

Zur Europawahlveranstaltung hatte der SPD-Kreisverband Tirschenreuth nach Erbendorf eingeladen (von links): „Huckepack-Kandidat“ Simon Grajer, Europa-Kandidat Thomas Rudner, Kreisvorsitzender Uli Roth und Bezirksvorsitzender Ismail Ertug. Foto: Petra Thomas

Wahlprogramm in Stichpunkten: Thomas Rudner im Speed-A bis Z

Asylverfahren an den Außengrenzen: „Ich habe mich enthalten, weil ich finde, dass man nirgends Kinder einsperren darf.“

CO₂-neutrales Europa bis 2050 ohne Atomkraft: „Unbedingt. Bayern will das schon 2040 erreicht haben. Dafür muss man aber noch mehr tun.“

Digitale Souveränität soll durch den Schutz kritischer Daten und KI-Modelle nach europäischen Werten: „Absolut notwendig. Damit kann man die eigene Souveränität verteidigen.“

Europa-Ticket für den öffentlichen Verkehr statt Flugreisen auf Kurzstrecken: „Eine Forderung aus dem SPD-Programm. Es funktioniert ähnlich wie das Deutschland Ticket zum dreifachen Preis. Wir müssen allerdings vorher ein europaweites Ticketsystem durchbringen. Und das ist komplex.“

Fahrgastrechte ohne Grenzen: „Das ist notwendig, kann politisch entschieden werden, wird noch etwas dauern, bis es durch ist, aber es kommt.“

Fairer Handel, auch wenn BRICS-Staaten nicht mitmachen: „Ist erreichbar durch bi- und multilaterale Abkommen, wenn die Interessen beider Seiten berücksichtigt werden.“

Faire Löhne und Renten und europaweit, gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit: „Wir müssen den Mindestlohn in Höhe von 60 Prozent des Median-Einkommens überall kontrollieren. Das bedeutet bis Ende des Jahres 14 Euro in Deutschland, Scholz sagt ab 2025 15 Euro. Das muss kontrolliert werden, damit Speditionen nicht georgische Fahrer zum polnischen Lohn in Deutschland fahren lassen.“

Kreislauf-Wirtschaft mit weniger Einwegverpackungen und mehr Recycling: „Die Verpackungsverordnung ist durch, diese kleinen Shampoo-Tüten und Milch-Kapseln in den Hotels werden bis 2030 verschwinden.“

Recht auf Reparatur: „Die Hersteller müssen Ersatzteile vorhalten. René Repasi, ein Jura-Professor aus Rotterdam, hat das beeindruckend vorgestellt, die Journalisten waren begeistert von der Show.“

Spitzenkandidaten, die jeder kennt: „Das wäre wichtig für die Akzeptanz der EU-Politik. Unseren Kandidaten kann man wählen.“

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