Jahn-Trainer im Interview: „Wir brauchen die Energie, die unsere Anhänger entfachen“

Regensburg. Zwei Teams, ein Ziel: die 40-Punkte-Marke. Mini-Angstgegner Hansa Rostock kann Jahn Regenbsurg dabei rechts überholen. Außerdem plaudert SSV-Coach Mersad Selimbegovic im Interview über den seltsamen Saisonverlauf mit Superhoch und Megatief und die Gerüchte, dass sich Schalke für ihn interessiert.

Jahn-Trainer Mersad Selimbegovic will seine wankelmütigen Spieler zu einer Leistungsexplosion wie gegen Kaiserslautern antreiben. Bild: Jürgen Herda

Hansa Rostock, euer Gegner am Oster-Sonntag, ist diese Saison ein vorläufiger Angstgegner. Zweimal seid ihr in der Hinrunde zu Hause an Rostock gescheitert, einmal im Pokal mehr oder weniger unglücklich. Pech, Zufall oder haben die was, was der Jahn-Elf nicht liegt?

Mersad Selimbegovic: Nicht ganz, Angstgegner haben wir keine, es waren ja nur zwei Spiele gegen Rostock. Es war auch etwas Matchglück für Hansa mit dabei, auch im Pokal. Die hatten wenige Abschlüsse, haben aber viel daraus gemacht und die entscheidenden Momente auf ihre Seite gezogen. Das ist so ein wenig neben einigen anderen Stärken ihr Markenzeichen. Da musst du immer aufpassen. Dazu kommt, dass sie jetzt euphorisiert sind. Ohne den Ausrutscher vom Wochenende haben sie viermal hintereinander gewonnen. Sie sind nah am rettenden Ufer, haben ein volles Stadion hinter sich. Das wird keine leichte Aufgabe.

Als jahrzehntelanger Beobachter der Jahn-Geschichte versucht man immer wieder Mal eine Logik im Auf und Ab der Erfolgswellen zu erkennen. Nur auf dieses Jahr heruntergebrochen: Was unterscheidet den Jahn der Hinrunde von dem der Rückrunde?

Das ist komplexer als man denkt. Wir sind gut gestartet, hatten in vielen Spielen das Momentum auf unserer Seite. Dann läuft Vieles einfacher, der Ball läuft, die Pässe kommen an, es herrscht eine gewisse Leichtigkeit. Umgekehrt gibt es bei jeder Mannschaft, sogar beim späteren Meister, Phasen, in denen man nicht punktet.

Aber selten verläuft eine Serie in der Hinrunde so positiv und anschließend so negativ …

Klar, nach so einer Hinrunde, ärgert es mich natürlich auch, dass sich die Ergebnisse so unterscheiden. Wir haben aber auch einige Spiele mit guter Leistung verloren – Darmstadt war ein typisches 0:0, das muss man nicht verlieren. Gegen Bremen waren wir richtig gut, auf Schalke vielleicht sogar besser als beim Heimsieg, gegen Kiel sehr ordentlich. St. Pauli haben wir nach schlechtem Auftakt in der zweiten Halbzeit eingeschnürt, aber den Ausgleich nicht mehr geschafft.

Dann hast du plötzlich eine Negativserie, die Spieler fangen an, sich zu hinterfragen: Warum klappt das nicht mehr? Dann sind die einfachsten Dinge plötzlich nicht mehr einfach und dann hast du leider auch schwächere Leistungen wie in Aue oder gegen Düsseldorf. Wir sind eine Mannschaft, die immer alles investieren muss. Wir können so nicht durch eine komplette Saison marschieren. Wir dürfen nie vergessen, dass das Ziel, die Klasse zu halten, auf realistischen Annahmen basiert.

Was bedeutet das für die Zukunft – man kann an solchen Verläufen wenig ändern?

Fazit ist, diese Liga ist brutal fordernd, das merken auch die ganz großen Vereine. Wir sind gerade mal 7 Punkte hinter dem HSV. Man hat zurzeit so ein wenig den Eindruck, bei uns läuft gefühlt alles schlecht. Wenn man das mit anderen vergleicht, finde ich, so schrecklich ist die Lage eigentlich nicht. Logisch, wenn du die Vorrunde als Maßstab nimmst, musst du bei 50 Punkten sein und stehst deutlich besser da. Aber so stabil sind wir noch nicht.

Uns würden gerade ja schon 40 reichen …

Ich habe ein wenig die Befürchtung, dass viele die zweite Bundesliga inzwischen als selbstverständlich erachten. Gefühlt ist man nicht mehr so scharf darauf, in dieser Liga zu bleiben, wie noch zu Beginn. Wir freuen uns nicht mehr auf die normalen Zweitliga-Gegner, sondern nur noch auf die ganz großen Namen. Aber wir dürfen nie vergessen, woher wir kommen. Ich glaube nicht, dass es viele Vereine gibt, die sich in allen Bereichen – infrastrukturell, wirtschaftlich, sportlich – in kurzer Zeit so entwickelt haben wie der Jahn.

Wir spielen aber in einem Konzert mit den ganz Großen. Und da sind wir immer noch, was beispielsweise die wirtschaftlichen Möglichkeiten angeht, unter dem Durchschnitt. Ich sehe die große Gefahr, wenn wir die zweite Bundesliga als zu selbstverständlich nehmen, werden wir schneller im Mittelmaß und der 3. Liga versinken, als wir denken. Deshalb liegt mir das so am Herzen, dass wir am Boden bleiben.

Ich hab mit Christian Keller immer wieder mal darüber diskutiert, wie groß der Anteil nicht planbaren Dusels im Sport ist. Wenn man sich das Spiel gegen Ingolstadt anschaut, das Bayern-Spiel gegen Villareal, die bringen eine verunglückte Flanke oder einen Konter im ganzen Spiel durch und dann analysieren alle anschließend wie effektiv die waren – aber das ist doch reiner Zufall, ob so eine Gurke ins Tor fällt, oder ob die Kugel dreimal an die Latte kracht?

Das sehe ich auch so, ich nenne es nur lieber das Momentum. Eine Flanke, die nicht ankommt, sondern abgefälscht ins Tor geht, verändert das ganze Gefüge. Eine Mannschaft, die nur verteidigt, Spielpausen clever nutzt, während der Platz unter Wasser steht und man Schwierigkeiten hat, genaue Pässe zu spielen, liegt plötzlich in Führung. Das Bayern-Spiel vom Dienstag ist ein gutes Beispiel. Die Spanier stehen zu zehnt hinten drin, da ist es nicht leicht durchzubrechen, selbst wenn du Weltklassespieler hast, die normalerweise immer eine Lösung mit dem Ball haben.

Und dann hat Villareal diesen einen Moment, den sie kurz vor dem Schlusspfiff nutzen. Und wir verschießen zum Beispiel gegen Kiel einen Elfmeter und bekommen postwendend nach einem ärgerlichen Fehler das 1:2. Auf Schalke treffen wir bei 1:0-Führung die Unterkante der Latte und bekommen im Gegenzug den Ausgleich nach einem einfachen Einwurf. Das ist dieses Momentum, das sich nicht immer erzwingen lässt. Aber richtig ist auch, du musst die ganze Zeit den vollen Fokus und die Konzentration hochhalten, weil kleine Fehler sofort bestraft werden.

Wie geht man mit dem Zufall um, kann man Glück erzwingen – warum schafft es eine Mannschaft manchmal, den Eindruck zu erwecken, da ist eine wilde Büffelherde unterwegs, die alles niedertrampelt, und dann wieder harmlose ängstliche Lämmer – wie machst du die Jungs heiß?

Klar, das ist die Aufgabe des Trainers, auch wenn sie nicht immer machbar ist. Da spielen viele Faktoren eine Rolle: Wie der Gegner eingestellt ist, wie das Stadion mitgeht – ob zu Hause mit uns oder auswärts gegen uns. Die größte Herausforderung ist es aber, das 34-mal auf den Platz zu bekommen.. Nehmen wir das Beispiel Bayern gegen Augsburg. Normalerweise muss das von ihren Möglichkeiten – sie führen die Tabelle mit zehn Punkten Vorsprung an – ein 5:0 sein. Tatsächlich gewinnen sie mit einem Handelfer 1:0. Ich freue mich, dass Fußball so unberechenbar ist, sonst würde der Jahn nicht in der zweiten Bundesliga spielen.

Obwohl der Verein doch inzwischen in vielen Bereichen aufgeholt hat?

Selimbegovic: Das haben wir, aber die anderen schlafen ja auch nicht – und die sind uns um Jahre voraus. Wir sind wirtschaftlich gesehen immer noch unterer Durchschnitt. Ganz zu schweigen von den Großen wie Bremen, Schalke, HSV, St. Pauli, Nürnberg, Düsseldorf, inzwischen auch Heidenheim, auch wenn das viele nicht hören wollen. Auch Dynamo Dresden oder Hansa Rostock sind große Traditionsvereine mit riesiger Fanbasis. Und wir stehen dann mit Vereinen wie Aue und dem ein oder anderen Aufsteiger auf Augenhöhe. Das ist genau der Punkt, der mir Sorgen macht. Wenn wir uns nicht mehr bewusst sind, dass die zweite Liga weiterhin eine große Geschichte für uns ist, wird’s gefährlich. Wir müssen immer alles aus uns herausholen, um die Klasse zu halten. Dann können wir in ein paar Jahren einmal, wenn alles passt, wenn Weihnachten und Ostern an einen Tag fallen, auch einmal oben mitspielen. Bis dahin müssen wir aber in jedes Spiel vor allem giftig und gallig hineingehen, um zu bestehen.

Als es die vergangenen Wochen nicht so gut lief, hast du wiederholt das Herz- und Hirn-Thema angesprochen: Wenn der Kopf nicht frei ist, muss man zumindest mit ganzem Herzen bei der Sache sein. Wie schafft man es laienpsychologisch einen Spieler, der gehemmt oder verunsichert ist, Sicherheit zurückzugeben und wie individuell gehst du dabei vor?

Das gehört dazu, den Spielern Mut einzureden. Die Herangehensweise ist da natürlich unterschiedlich und individuell angepasst – mal im Team und auch in Einzelgesprächen. Aber das Wichtigste ist immer das Erfolgserlebnis auf dem Platz. Gegen Paderborn verlief das Spiel bis zum 1:0 sehr zäh. Danach haben wir wieder Bälle gespielt, die lange nicht mehr geklappt haben. Wir waren näher am 2:0, als Paderborn am Ausgleich. Das ist das Phänomen Fußball.

Jahn-Trainer Mersad Selimbegovic dirigiert an der Seitenlinie. Bild: Jürgen Herda

Was hältst du von statistischen und mathematischen Methoden, für die Alexander Blessin, der neue Trainer von Genua, bekannt ist, um dem Erfolg auf die Sprünge zu helfen?

Mir sind immer noch das Auge, das Gefühl, der Mensch wichtiger – dann erst kommen Statistik und Tabellen. Die muss man auch betrachten. Aber dann kommt es natürlich auch auf viele Details an: Wie lange und genau wurde die Statistik geführt? Wenn ein Spieler einem Team in der Regionalliga mit seinen Toren alles gewinnt, muss man auch das Tempo, das dort gespielt wird, die Gegenspieler, die Mitspieler in Betracht ziehen. Die stehen aber in keiner Tabelle. Man kann den Erfolg nicht ausrechnen, sonst würden das alle längst machen.

Was weißt du über Schalke 04 – und die Karrieren von Jahn-Trainern, die abgeworben wurden?

Über Schalke weiß ich sehr viel, weil wir zweimal gegen sie gespielt haben. Aber gerade interessiert es mich nicht, weil wir nicht mehr gegen sie spielen müssen.

Aber du hast mitbekommen, dass sie sich für dich interessieren sollen?

Ja, aus der Zeitung.

Nur aus der Zeitung, nicht von denen selbst?

Nein, nur aus der Zeitung.

Dann hoffen wir, dass du dabei auch an die Trainer denkst, die höher hinaus wollten …

(lacht) Ich habe keinen Grund, nach irgendetwas Ausschau zu halten. Ich bin mit mir im Reinen und hier in Regensburg sehr zufrieden.

Das Wir schreibt Jahn-Trainer Mersad Selimbegovic groß und meint damit die gesamte Jahn-Familie inklusive den Fans. Bild: Jürgen Herda

Hast du umgekehrt die kritischen Stimmen mitbekommen in den Sozialen Medien – trifft dich das?

So etwas erlebe ich im Stadion gar nicht. Ich empfinde das Verhältnis zwischen Fans und Mannschaft sowie Trainerteam als sehr gut. Ohne den Nutzern in den Sozialen Medien zu nahe treten zu wollen: Mir ist das teilweise zu oberflächlich, wenn jemand meint, ohne Hintergründe zu kennen, etwas Kritisches zu schreiben. Ich mache einen öffentlichen Job, deshalb kann auch jeder seine Meinung sagen. Wenn es den Leuten dann besser geht, bin ich keinem böse. Aber man muss auch ehrlich sein, Ziele definieren und verfolgen. Und daran gemessen glaube ich nicht, dass hier schlecht gearbeitet wird, wenn wir immer wieder mit wenig Mitteln in der Liga bleiben.

Ich nehme an, du wirst es ständig gefragt, vielleicht nervt es dich, aber geht dir aufgrund deiner Biografie – du bist als Jugendlicher mit deiner Familie vor den Kriegsgräuel in Bosnien geflohen – dieser fürchterliche Krieg in der Ukraine näher als anderen?

Ja, das ist eine Sache, die mich sehr beschäftigt, und die mich in manchen Momenten richtig traurig macht. Wir haben versagt …

Was meinst du mit wir, der Westen?

… wir Menschen. Wir alle. Wir schützen nicht das Wertvollste, das wir haben, den Frieden. Wir lernen einfach nicht aus unseren Fehlern. Das macht mich traurig.

Dann hoffen wir, dass wir wenigstens aus der Jahn-Geschichte lernen und daraus das Beste machen …

Das machen wir. Und wir erleben ja gerade den besten Jahn seiner Geschichte. Wir schaffen jedes Jahr einen neuen Rekord, wie vergangene Saison das Viertelfinale im DFB-Pokal. Diesen Erfolg müssen wir mit aller Macht verteidigen …

Wir?

Ja, wir, die ganze Jahn Familie, nicht nur die Spieler, das Trainer-Team, die Funktionäre auch die Fans. Wir brauchen die Energie, die unsere Anhänger entfachen, die ist für die Mannschaft unheimlich wichtig. Es ist ja kein Geheimnis, dass wir vor jeder Saison von den Experten auf Platz 17 oder 18 abgestempelt werden. Da braucht es immer einen Kraftakt, um am Schluss viel weiter vorne zu stehen.

Auch auf Jahn-Kapitän Bene Gimber (links) wird es am Ostersonntag ankommen, ob der SSV Jahn im hansa-Hexenkessel bestehen kann. Bild: Jürgen Herda

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