Marienbader Gespräche: Bayerisch-böhmisches Gipfeltreffen des Handwerks

Regensburg/Marienbad. Von wegen nur bodenständig: Gerade das Handwerk und der ländliche Raum profitieren von Digitalisierung und grenzübergreifendem Austausch. Dies vermittelten Vertreter der Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz und Professor Dr. Wolfgang Dorner mit seinem Impulsvortrag: „Was wir aus dem Silicon Valley lernen können.“

Marienbader Gespräche als Video-Konferenz: Professor Wolfgang Dorner von der Technischen Hochschule Deggendorf (links) und HWK-Hauptgeschäftsführer Jürgen Kilger. Screenshot: Jürgen Herda

Die 13. Auflage der „Marienbader Gespräche“ stand unter dem Vorzeichen der Pandemie: „Auch wenn uns der persönliche Austausch leider verwehrt wird“, sagte Handwerkskammerpräsident Dr. Georg Haber, „möchten wir heute dennoch ein digitales Lebenszeichen senden.“

Der grenzübergreifende Austausch und die gemeinsame Zusammenarbeit seien noch wichtiger geworden. An die 100 Vertreter des Handwerks aus der Grenzregion Tschechien, Österreich und Ostbayern diskutierten über neue Visionen für das grenzüberschreitende Arbeiten und Wirtschaften.

Pilsen als digitaler Vorreiterstandort

„Der Ausbau des 5G-Netzwerkes und des 5G-Korridors zwischen München und Prag wird die digitale Transformation grenzüberschreitend vorantreiben“, ist sich HWK-Hauptgeschäftsführer Jürgen Kilger sicher. Nicht in den Ballungsräumen brauche man innovative Startups, am Land sei man besonders darauf angewiesen, um Effekte wie den demografischen Wandel auszugleichen: „Wir haben einen riesigen Markt, der allerdings sehr fragmentiert ist.“

Pilsen sei ein Vorreiterstandort, der die Digitalisierung mit Wirkung aufs Umland vorwärtsgetrieben habe: „5G ist auf der Ebene von Kommunen und Landkreisen relevant“, sagt Kilger. Man müsse aber in Plattformen denken: „Wir brauchen nicht in jedem Dorf eine eigene App, wichtig ist der Zugang zur Plattform.“ Dadurch ließen sich Kosten auf viele verteilen: „Wir sind nur erfolgreich, wenn wir sie flächendeckend ausrollen.“

Vorteile gegenüber dem Sillicon Valley

Und wenn dann doch einmal ein Kirchturm erfolgreich eine App auf den Markt bringe, müssten sich andere dranhängen, bevor die US-Konzerne kommen. „Wir brauchen Unternehmer und Handwerker, die solche Themen aufgreifen“, fordert Kilger, „das ist gerade unsere Chance in der Grenzregion mit unseren vielen Mittelständlern – und der Vorteil gegenüber dem Sillicon Valley, dem es an der Expertise des Marktes, des Gewerbes fehlt.“

In seinem Impulsvortrag verglich Professor Wolfgang Dorner von der Technischen Hochschule Deggendorf dann auch die Digitalisierung Ostbayerns mit dem Silicon Valley: „Mit zunehmender Digitalisierung werden exzellente Grundbedingungen geschaffen, um in den Betrieben neue Technologien einzusetzen und grenzübergreifende Wertschöpfungsketten neu zu gestalten“, sagt Dorner.

Forschungsprojekt 5G im Handwerk

5G sei dabei viel mehr als ein G obendrauf: „Es ermöglicht Handwerksbetrieben neue Kommunikationsmöglichkeiten, eine digital vernetzte Produktion, digitale Services, die Echtzeitfähigkeit und damit eine neue Zuverlässigkeit, Flexibilität und Variabilität. Dorner leitet dazu ein vom Bayerischen Wirtschaftsministerium gefördertes Forschungsprojekt mit Fokus auf der Integration von 5G-Kommunikationstechnologie in typische Produkte des Handwerks wie Maschinen und Anlagen.

Ein wichtiger Erfolgsgarant dabei: Der von der bayerischen Staatsregierung und der tschechischen Regierung geplante 5G-Korridor München-Prag: „Das ist die Grundlage für digitale grenzüberschreitende Kooperationen.“ Tschechien habe sich längst von der verlängerten Werkbank zum Hightech-Standort weiterentwickelt: „Die Unterschiede werden immer geringer, zusammen können wir wirtschaftlich erfolgreicher sein.“

Apples Erfolgsgeheimnis

Eine flächendeckende Breitbandversorgung sowie die digitale Erreichbarkeit und Sichtbarkeit der Unternehmen setzt der Mitbegründer des Bayerwald Hackathons voraus. Die Einführung digitaler Geschäftsprozesse seien mehr als die Vernetzung der Produktion, die Überwachung von Maschinen und die Vorhersage von Wartungsintervallen. „Die höchste Stufe ist die Plattformstrategie“, verweist Dorner auf die Internet Giganten Apple und Co.

„Was ist das Erfolgsgeheimnis von Steve Jobs’ iPhone? Es ist eine Schnittstelle zu einer gigantischen Plattform für Musik, Filme und Informationen.“ Mehrwert sei die Reduzierung von Kosten, ein Wachstum im Quadrat, aber auch ein erhöhtes Risiko, das jedoch mit entsprechenden Strategien beherrschbar sei.

Amazons Netzwerk-Logik

Eine Plattform sei qualitativ mehr als eine Internet Seite: „Dahinter stecken besondere Mechanismen, die den Kern digitaler Lösungen darstellen“, verweist der Professor auf das Geschäftsmodell von Amazon. „Die verkauften zunächst Bücher, profitierten von der Größe des Markts.“

Aber das sei nicht der Clou: „Der entscheidende Schritt war, nicht nur einen Markt zu erschließen, sondern im Widerspruch zur Logik des Buchhandels andere Händler einzuladen, Bücher mitzuverkaufen.“ Das habe zum entscheidenden Wachstumsschub geführt: „Es geht nicht um Abgrenzung, sondern um die Nutzung von Netzwerkeffekten.“ Inzwischen verkaufe Amazon alles, was sich übers Internet frei handeln lässt.

Deggendorfer Start-up

Amazon ziehe aber auch Nutzen aus dem Netzwerk zwischen den Nutzern – durch die Sternbewertungen und persönlichen Empfehlungen. „Deshalb war es noch nie so einfach, einen Online-Store zu eröffnen“, erklärt Dorner. „Mit der Einrichtung eines Shops hat man gleich auch einen Wettbewerbsvergleich.“ Dieses Denken lasse sich auch auf mittelständische Unternehmen der Region übertragen.

Paradebeispiel dafür: das Startup Easy2Parts, ein niederbayerischer Senkrechtstarter. Auf der eigenen Plattform vernetzt das Deggendorfer Unternehmen rund 250 Lieferanten maßgeschneiderter Bauteile automatisiert mit etwa 40 Kunden aus Bayern, Baden-Württemberg und Österreich. Dazu zählen große Autohersteller, deren Zulieferbetriebe, aber auch kleine Manufakturen. Easy2Parts kümmert sich um Teile, die die Firmen für ihre Werkzeuge, die Produktionsabläufe, den Vorrichtungsbau und die Instandhaltung brauchen – Bauteile, die in kleinen Stückzahlen von einem bis zu maximal 10.000 gefräst werden.

Ideenschmiede aller grenzübergreifenden Akteure

Die Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz bietet mit den „Marienbader Gesprächen“ seit mehr als zehn Jahren eine Plattform für den fachlichen Austausch von Experten aus Institutionen, Politik und Wirtschaft.

„Die Marienbader Gespräche sind ein Gipfeltreffen und eine Ideenschmiede aller grenzübergreifenden Akteure“, sagte Bayerns Europaministerin Melanie Huml in ihrem virtuellen Grußwort.

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