Nach Christian Keller: Bleibt der SSV Jahn Oberpfalz in der Erfolgsspur?

Regensburg. Sportchef Christian Keller hatte keinen leichten Start: Abstieg in die Regionalliga zeitgleich mit dem Umzug in die neue Arena, die Regensburger Korruptionsaffäre. Doch dann gelingt der Durchmarsch in die Zweite Bundesliga. Bei seinem Abschied vor dem letzten Vorrundenheimspiel am Freitagabend gegen Werder Bremen steht der Jahn auf einem sensationellen Platz 3.

Kölns Sportchef Christian Keller will in Regensburg mit einem Dreier in die Spitzengruppe aufrücken. Bild: Fabian Roßmann/SSV Jahn

Herr Keller, ich hatte erwartet, Sie würden jetzt einen anderen maroden Verein wie den FC Barcelona übernehmen – stattdessen Köln: Um zu zeigen, dass nicht alles, was von Regensburg kommt, scheitern muss?

Keller: (lacht) Mit dem 1. FC Köln ist vereinbart, dass ich mich erst mit Beginn meiner Tätigkeit im April 2022 medial äußern werde. Ich bitte deshalb um Verständnis, dass ich an dieser Stelle noch nichts zu meiner neuen beruflichen Aufgabe sagen kann.

Wie sind Sie zu diesem strikten Zeitplan gekommen, dass Sie schon vor zwei Jahren wussten, genau dann im Oktober 2021 ist Schluss – und wie haben Sie es geschafft, dass wie bei den Ampel-Verhandlungen, nur viel länger, nichts publik wurde?

Von meinem Abschied wussten nur ganz wenige Gremienmitglieder. Es war klar, dass es in dieser Runde geheim bleibt. Eine öffentlich-mediale Diskussion, wie wir sie Ende 2019 erlebten, als es um meine Vertragsverlängerung ging, wollte ich unbedingt vermeiden. Das war total kontraproduktiv nach innen und außen, verunsicherte Mitarbeiter und Sponsoren.

Für mich war damals klar, dass ich gewisse strategische Projekte, von denen der Jahn noch Jahrzehnte profitieren wird, wie zum Beispiel den Umbau des Trainingsgeländes am Kaulbachweg oder die Einführung der Initiative Jahn Vereinspartnerschaften abschließen möchte. Ich war mir dabei sicher, dass wir all diese Projekte bis Herbst 2021 erfolgreich unter Dach und Fach bringen würden. Erfreulicherweise hat auch alles wie geplant funktioniert.

Konnten Sie die Sponsoren davon überzeugen, dass es auch ohne Sie erfolgreich weitergeht?

Wir konnten das gut vermitteln – auch weil zum Zeitpunkt meines Abschiedes für alle deutlich sichtbar war wie sportlich und wirtschaftlich stabil der SSV Jahn dasteht. Ich habe die Top-Sponsoren zudem noch persönlich besucht, mich bedankt und versucht sie vom weiteren Weg zu überzeugen. Ich glaube, dass das Sponsorennetzwerk darauf vertrauen kann, dass ich den Jahn in gute Hände übergeben habe.

Was waren Ihre persönlichen Höhen und Tiefen dieser Epoche von – ich glaube – achteinhalb Jahren?

Ja, von Juni 2013 bis Oktober 2021, eine lange Zeit im Profifußball. Höhepunkte gab es en masse. Was mir am meisten in Erinnerung bleibt, ist die erste Relegation in der Saison 2015/16 gegen den VfL Wolfsburg 2 und hier wiederum allen voran das Rückspiel. Von der Emotionalität habe ich so etwas zuvor noch nie und danach nie wieder erlebt, dass ein Stadion so gebrannt hat. Das war ein Moment, in dem man gemerkt hat, der Jahn kann sich gesellschaftlich wieder verankern.

Der Tiefpunkt? Klar, der Abstieg eine Saison zuvor. Dennoch war jeder Tag in diesen achteinhalb Jahren ein guter Tag, auch wenn nicht immer alles so gelaufen ist, wie man sich das gewünscht hätte. Aber ich bin jeden Tag super gerne zum Arbeiten gegangen, weil ich tolle Mitarbeiter hatte und wir ein fantastisches Team waren.

Wie haben Sie den gesamten Komplex der Regensburger Korruptionsaffäre durchlebt – hatten Sie nie die Befürchtung, dass sich das auf den Jahn negativ auswirken könnte?

Kein einziges Mal, weil ich wusste, dass es juristisch nichts Problematisches gibt. Ich hatte Einblicke aus erster Hand und wusste, dass im Beziehungsgeflecht zwischen Bauteam Tretzel, Stadt Regensburg und SSV Jahn alles stets zu 100 Prozent seriös und rechtschaffen abgelaufen war. Dass das Image des Jahn dennoch beschädigt werden könnte, schwang aber als Risiko mit. Gegenüber unseren Anspruchsgruppen war diese Affäre nicht unproblematisch. Wir haben darauf mit einer sehr transparenten Kommunikation reagiert und unsere Partner sowie die Öffentlichkeit gut mitgenommen.

Wenn man so will, stand der Jahn letztlich fast als Profiteur da, weil es uns im Zuge der Korruptionsaffäre ermöglicht wurde, die vom Bauteam Tretzel gehaltenen Anteile am SSV Jahn zurückzukaufen. Wir hätten das zwar lieber nicht über diesen Weg gemacht, aber letztendlich hat sich für den SSV Jahn alles in Wohlgefallen aufgelöst.

Wie planbar sind Sternstunden wie der Durchmarsch von der Regionalliga in die Zweite Bundesliga? Fußball bleibt ja trotz aller Kommerzialisierung doch auch ein Stück weit ein Glücksspiel. Ob der Ball an den Pfosten oder ein paar Zentimeter weiter innen ins Tor geht, ist letztlich Glückssache.

Meine These ist, dass gutes Management die Wahrscheinlichkeit deutlich erhöht, erfolgreich zu sein. Ob der Ball an den Innenpfosten und dann rein oder raus geht, das lässt sich durch Management aber natürlich nicht beeinflussen. Und das ist auch gut so. Das Spiel ist nicht vorhersehbar, deshalb fasziniert es uns ja auch.

Ich würde aber trotzdem nicht von Glück sprechen, sondern bevorzuge den Begriff Momentum. Wer fleißig ist, hart arbeitet, immer dran bleibt und nie aufgibt, der hat irgendwann auch das Momentum auf seiner Seite. Dass wir uns zweimal in der Relegation durchgesetzt haben, das ist dann eben genau dieses Momentum. Wir haben hart dafür gearbeitet und es dann genau zum richtigen Zeitpunkt bekommen. Dafür bin ich sehr dankbar.

Fußballvereine sind ja nicht so stringent zu führen wie andere Wirtschaftsunternehmen, sie sind weit stärker Stimmungen und öffentlicher Kritik ausgesetzt. Was spricht dafür, dass dieser Erfolg nachhaltig ist?

Es ist eine bewusste Entscheidung, zwei Geschäftsführer einzusetzen. Der SSV Jahn ist inzwischen zu groß geworden, als dass er auf Dauer von nur einem Geschäftsführer alleine geführt werden könnte. Monetär hatten wir vor der Pandemie einen Umsatz von etwa 25 Millionen Euro, rund achtmal mehr als zu Beginn meiner Amtszeit. Um zukünftig noch mehr Schlagkraft zu haben, ist es deshalb die richtige Entscheidung, die Verantwortung auf mehrere Schultern zu verteilen. Und wir haben dafür einen hoch professionellen Auswahlprozess gewählt.

Philipp Hausner ist eine 100-prozentig sehr gute Wahl, er hat den Weg des SSV Jahn seit langen Jahren mitgestaltet, steht für seine Werte und er ist fachlich hochkompetent. Bei der sportlichen Leitung hatten wir keine passende interne Lösung, haben aber mit Roger Stilz den im Auswahlprozess besten Kandidaten für den Jahn gewonnen. Jetzt müssen beide bestätigen, dass sie zu Recht ausgewählt wurden.

Würden Sie mir Recht geben, dass die vergangene Saison nicht so gut gelaufen ist – es fehlte die Monstermentalität und vor allem die Kreativität. Warum läuft’s aktuell so gut?

Die vergangene Saison war nicht so schlecht, wie es der Tabellenplatz suggeriert. Statistisch waren wir sogar in vielen Bereichen vorne mit dabei. Wir waren athletisch sehr gut, hatten zum Beispiel die zweitmeisten Sprints und Tempoläufe der ganzen Liga. Gegen den Ball haben wir die zweitmeisten Zweikämpfe geführt und hatten sogar die meisten Balleroberungen aller Clubs. Zudem konnten wir unseren durchschnittlichen Ballbesitz im zweistelligen Prozentbereich steigern und lagen auch bei den erspielten Torchancen im vorderen Mittelfeld.

In den Ergebnissen spiegelte sich das aber nicht immer wider?

Allerdings waren wir auch die Mannschaft mit der schlechtesten Chancenverwertung sowie den mit meisten Gegentoren nach individuellen Fehlern und Standards. Man kann in Summe also sagen, dass wir zwischen den beiden Strafräumen gute Qualität hatten, in den Strafräumen aber noch nicht. Dafür haben uns noch Reife und Siegermentalität gefehlt. Das war ein Lernprozess. Wir hatten nach den Spielzeiten 2018/19 und 2019/20 jeweils einen gewaltigen personellen Aderlass zu verkraften. Im Sommer 2019 hatten wir 17 Abgänge, im Sommer 2020 haben wir unsere Führungsachse verloren. Die aktuelle Mannschaft hatte ihre Geburtsstunde deshalb bereits vor zwei Jahren im Sommer 2019 und wurde seitdem kontinuierlich entwickelt.

Und was ist diese Saison besser?

Heuer sind die Neuzugänge von damals um Alex Meyer, Bene Gimber, Max Besuschkow, Andreas Albers, Erich Wesseker und andere unsere Achse. Diese Spieler sind auch mental deutlich reifer geworden. Deshalb habe ich vor der laufenden Saison auch gesagt, egal, wie die Zweite Liga sich zusammensetzt, wir werden eine stabile Mannschaft haben, die mit dem Abstieg nichts zu tun hat. Rund um die genannte Achse war es auch für die Neuzugänge leichter sich zu integrieren. Fußball braucht eben einfach auch Zeit – bei einem kleinen Club wie dem SSV Jahn umso mehr.

Welche Auswirkungen hatte Corona bisher auf den Verein?

Wir hatten im ersten Rumpfpandemiejahr 2019/20 einen Gewinn von 5,4 Millionen Euro nach Steuern, in der ganzjährigen Corona-Saison 2020/21 immerhin noch von 2,8 Millionen Euro. Daran, dass wir in beiden Spielzeiten im Gegensatz zu vielen Wettbewerbern ein positives Ergebnis hatten, sehen Sie, dass wir die Pandemie bislang ausgezeichnet gemanagt haben.

Und wie sehen Sie die Diskussionen um ungeimpfte Spieler und gefälschte Impfpässe?

Ich bin pro Impfen, beim Jahn sind 100 Prozent des Kaders geimpft, das ist auch eine Führungsfrage. Wir haben im Profifußball insgesamt eine Impfquote von über 90 Prozent, deshalb ist die Diskussion um ungeimpfte Profifußballer reiner Populismus. Klar ist aber auch, wenn man wie Joshua Kimmich eine Initiative „WeKickCorona“ initiiert, dann sollte man sich auch impfen lassen. Das muss er aber selbst entscheiden. Man sieht daran auch, wie viel Irrationalität in der Pandemie vorherrscht.

Sie haben von Beginn an die Devise ausgegeben, dass der Jahn der Verein für ganz Ostbayern ist. Hat sich diese Vision durchgesetzt?

Als ich kam, hatten wir rund 60 Sponsoren. Heute sind es knapp über 400 aus dem ganzen ostbayerischen Raum von Tirschenreuth bis Cham. Unsere Partner erkennen, dass der SSV Jahn eine Marketing- und Netzwerkplattform bietet, von der sie unternehmerisch profitieren. Auf Seite der Fans spricht die Zuschauerentwicklung eine eindeutige Sprache. Im Schnitt kamen 3.000 ins alte Jahnstadion, im neuen Jahnstadion waren es vor der Pandemie 12.000.

Die Mitgliederzahl hat sich von 500 auf über 4.200 vervielfacht. Wir haben mittlerweile 130 Partnervereine, sind in Schulen und Kindertagesstätten präsent und unterhalten zahlreiche soziale Projekte. Ich denke, man kann zurecht sagen, dass der SSV Jahn in Ostbayern wieder verankert ist – dies im Wissen, dass man sich fortwährend weiterentwickeln muss.

Welche Ziele haben Sie sich für das nächste Jahrzehnt gesetzt – wie zu Beginn gesagt, Barcelona könnte einen Sanierer brauchen?

(lacht) Ich gebe bei der Führung unter anderem viel darauf, mich sprachlich gut ausdrücken zu können, bin andererseits aber nicht sehr fremdsprachen-affin. Ein Engagement im Ausland kommt deshalb perspektivisch wohl eher nicht in Frage. Als ich in Regensburg anfing, wusste ich nicht, wie lange die Sanierung und Neuausrichtung des SSV Jahn gehen würde.

Der Profifußball hat seine eigenen Gesetze. Ich hatte damals auch nicht vor, nach zwei Jahren abzusteigen. Aber ich bin trotzdem auch auf die beiden ersten Jahre stolz, weil wir dort die konzeptionellen und strukturellen Grundlagen für die erfolgreiche Entwicklung des SSV Jahn gelegt haben. Gerade wenn man in Krisenzeiten zusammenhält, kann etwas wachsen. Abgeleitet aus dieser Erfahrung wird man sehen, was für mich persönlich im nächsten Jahrzehnt alles passieren wird. Wichtig sind für mich in jedem Fall eine herausfordernde Aufgabe sowie vertrauensvolle, gute Mitstreiter.

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