Nach Tod des Ehemanns zeigt sich: Pflegebedürftige lebte in Messie-Wohnung

Altenstadt/WN. Ein Fall in Altenstadt/WN wirft Fragen über Vernachlässigung bei häuslicher Pflege auf. Eine bettlägerige Frau (70) lebte dort in einer völlig verwahrlosten Wohnung. Die Vermieterin schlug jahrelang Alarm – ungehört.

Foto: privat

Wie konnte es so weit kommen? Als im Februar 2023 der Ehemann stirbt, kommt die Frau (70) in ein Seniorenheim. Sie ist bettlägerig und kann nicht sprechen. Kurz darauf kann die Vermieterin erstmals die Wohnung betreten. Sie fällt aus allen Wolken. Müll, Gestank, aufgebrochene Türen, Ungeziefer, Schimmel. Mittendrin: das Pflegebett. Der Schutzbezug ist durchgelegen.

Die Schäden sind enorm, mindestens 70.000 Euro wird die Renovierung der 65-Quadratmeter-Wohnung in dem Mehrfamilienhaus kosten. Aber um das geht es der Vermieterin nach eigenem Bekunden nur zweitrangig. Sie sagt: „Ein Mensch, seit Jahren bettlägerig, hat ein Leben unter diesen Umständen nicht verdient.“

Mehrere Schreiben an Berufsbetreuer

Die Frau erhebt Vorwürfe gegen den Berufsbetreuer. „Er hätte es nicht so weit kommen lassen dürfen.“ Sie habe den Sozialpädagogen aus dem Landkreis Neustadt/WN mehrfach auf „unzumutbare Zustände“ hingewiesen, die sie erstmals 2018 bei einem Handwerkerbesuch festgestellt habe.

Zitat aus dem Brief von Ende 2018: „Frau X. schläft im Kinderzimmer, die Wände sind teilweise richtig verdreckt. Das Schlafzimmer ist kaum betretbar, vollgestopft mit Müll und Gesammeltem. Es stinkt und ist nicht bewohnbar. Im Wohnzimmer hängen die Spinnweben fast bis mittig auf Raumhöhe. Die Türen sind eingetreten und beschädigt. Im Bad ist alles versifft, der Heizkörper angerostet.“ Die Vermieterin schreibt: „Frau X. in einer so verwahrlosten Wohnung leben zu lassen, ist meines Erachtens nicht in Ordnung.“

Drogentoter in der Wohnung

Es gibt mehrere solcher Briefe an den Betreuer, unter anderem von 2020. Darin schreibt die Vermieterin auch, dass es Probleme mit dem erwachsenen Sohn gibt, der sich seit einigen Monaten einquartiert hat. Er hat ein Drogenproblem. Auf dem Balkon liegen Spritzen. Der Sohn benutze den von den anderen Mietern gepflegten Vorgarten als „Sprungschanze“, um über das Fenster in die Wohnung zu steigen.

Die Situation eskaliert im Dezember 2022. Wie die Kriminalpolizei bestätigt, wird am 17. Dezember 2022 ein Drogentoter in der kleinen Wohnung gefunden. Es handelt sich um einen Bekannten des Sohnes. Die Kriminalpolizei ermittelt. Todesursache: „Intoxikation durch Rauschgift und Ausweichdrogen (Medikamente).“

Berufsberater wehrt sich: „Es ging ihr gut“

Der Berufsbetreuer wehrt sich auf Anfrage von OberpfalzECHO gegen die Vorwürfe. Es habe drei Betreuer für die Frau gegeben: zwei Angehörige und ihn. Sein Aufgabenkreis sei auf die Vertretung gegenüber Behörden beschränkt gewesen. Er habe die Vermieterin daher auf seine „Nichtverantwortlichkeit“ hingewiesen. Dennoch habe er Kontakt zum Hausarzt aufgenommen, der ihm bestätigte, dass die Patientin trotz jahrelanger Bettlägerigkeit nicht wundgelegen sei. Dieser habe auch den Haushalt gekannt und keine Bedenken geäußert. Zudem sei regelmäßig ein ambulanter Pflegedienst ins Haus gekommen.

Die Frau sei von ihrem Ehemann rührend gepflegt worden. „Er hätte sie nie in ein Pflegeheim gegeben.“ Auf solche Ansinnen habe der Senior immer sehr aufgebracht reagiert. Der Berufsbetreuer räumt ein, dass die Lage mit „zunehmendem Alter und Abbau des Ehemanns immer schwieriger“ geworden sei.

Am Wichtigsten ist jedoch aus seiner Sicht, dass die Pflegebedürftige trotz ihrer schweren Erkrankung „immer guter Dinge“ gewesen sei. „Es ging ihr gut“, betont der Sozialpädagoge. Zum Thema „verwahrloste Wohnungen“ urteile die Rechtsprechung regelmäßig nach dem Prinzip „Jeder kann leben, wie er will“.

Kontrollbesuch durch Amtsgericht 2018 ohne Auffälligkeiten

Das Amtsgericht Weiden hat den Berufsbetreuer 2011 für die Frau bestellt. Amtsgerichtsdirektor Rainer Lehner kann sich zum Einzelfall nicht äußern. Generell gelte, dass ein Betreuer einmal jährlich oder auf Anforderung Bericht an das Amtsgericht Weiden erstatten muss. Lehner hat sich die Akte X. angesehen. „So viel kann ich sagen: Da ist nichts Auffälliges.“

Die Überprüfung der Betreuung durch das Amtsgericht erfolgt spätestens nach 7 Jahren, das wäre in diesem Fall 2018 gewesen. Dazu fährt ein Richter des Amtsgerichts persönlich in den Haushalt des Betreuten, was auch hier geschehen ist. Eine weitere Überprüfung in den Folgejahren wäre möglich gewesen, sagt Lehner: „Aber das Gericht muss etwas wissen, um tätig zu werden. Wer solche Bedenken hat, soll sich melden: Wir gehen jedem Hinweis nach.“

Messie-Wohnungen kein Einzelfall

Tatsächlich kennt Lehner auch „mehrere Betreute, die in Messiewohnungen leben“. Die Hürden, diese gegen ihren Willen aus ihren Wohnungen zu holen, seien hoch. Es gibt die Möglichkeit einer beschützenden Unterbringung. Aber da es sich hierbei um eine freiheitsentziehende Maßnahme handelt, müsse eine massive Gefährdung vorlegen, die gutachterlich bestätigt sei.

Rund 2.000 Betreute gibt es im Amtsgerichtsbezirk Weiden, „und täglich kommen welche dazu“. Drei Richterstellen teilen sich die Arbeit. Das Bezirkskrankenhaus Wöllershof liegt im Einzugsbereich mit vielen geschlossenen Unterbringungen. „Das BKH hat vier geschlossene Stationen und führt eine Warteliste dafür.“ Jeder Fall ist mit einem Verfahren verbunden. Lehner hat Wochen, da fährt er täglich nach Wöllershof.

Zurück nach Altenstadt/WN. Für die Vermieterin ist der Schlamassel noch nicht vorbei. Der Betreuer hat die Wohnung, in der seither der Sohn lebt, inzwischen gekündigt. Demnächst ist Übergabe. Die Räumung erfolgt wegen fehlender Mittel des Sohnes auf Gerichtskosten.

Keine Kontrolle: Pflegeeinsätze seit Corona per Telefon

Ein wichtiges Kontrollelement bei häuslicher Pflege ist seit 2020 ausgehebelt.

Das Gesetz sieht eigentlich vor, dass häusliche Pflege kontrolliert wird. Je nach Pflegestufe kommt alle drei bzw. sechs Monate ein Pflegedienst zur „Pflegeberatung“ ins Haus. Die Teilnahme ist Pflicht, sonst zahlt die Pflegekasse kein Pflegegeld (§ 37.3 Sozialgesetzbuch XI).

Diese Einsätze wurden in der Corona-Pandemie ausgesetzt. Ab März 2020 galt eine Ausnahmeregelung, dass die Beratung telefonisch stattfindet. Das Bundesgesundheitsministerium hat diese Regelung bis September 2022 immer wieder verlängert.

Auch nach der Pandemie ist man nicht wieder zum alten Modell zurückgekehrt: Seit 1. Juli 2022 genügen Videocalls. Der Paragraph 37.3 wurde entsprechend ergänzt.

Es gibt damit Haushalte mit Pflegebedürftigen, in die seit 2020 kein Externer einen Fuß gesetzt hat.

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