Neues Logistikzentrum der BHS Corrugated: Zwei Schritte weiter als Amazon
Weiherhammer. BHS Corrugated und IGZ Falkenberg tüfteln an der Zukunft der Arbeit in der nördlichen Oberpfalz: ein Logistikzentrum wie aus dem Science Fiction. Roboter unterstützen die Mitarbeiter beim Transport von 50.000 Bauteilen – manche werden mit autonomen Zügen oder Flugdrohnen geliefert.
Man kennt die Bilder aus den Werbefilmen eines Online-Handelsriesen: Kleine, fahrende Einheiten düsen durch die Gänge mit den Hochregalen, Roboterarme greifen nach einer Palette Ahornsirup. Palettierroboter erkennen bestellte Produkte auf den Fließbändern und heben sie herunter, um sie zum Versand oder zur Lagerung auf Paletten zu stapeln. Ein Robo-Stow hebt Warenpaletten auf verschiedene Ebenen des Logistikzentrums oder platziert sie auf Transporteinheiten, die sie an ihr nächstes Ziel befördern.
Im Logistikpark der BHS Corrugated, für den im September Politiker und die Vertreter der beteiligter Unternehmen zum Spatensich ausholten, soll am März 2023 die nächste Stufe der Automatisierung gezündet werden. Auf 26.500 Quadratmetern Produktionsfläche arbeiten Menschen und Maschinen künftig Hand in Hand, um jährlich Millionen der 50.000 verschiedenen Bauteile für die BHS-Corrugated-Wellpappen-Anlagen zur internen Fabrikation oder zum Kunden zu bewegen.
Autonomer Zug durch Weiherhammer
Um diesen Prozess möglichst ohne Reibungsverluste zu optimieren, arbeitet die Gemeinde derzeit an einem Konzept für einen autonomen Geleitzug. „Leider fehlt ab und zu auch ein benötigtes Bauteil“, erklärt Christian Engel, Sprecher der BHS-Corrugated-Geschäftsführung, „da können wir nicht jedes Mal einen Laster rumfahren lassen.“ Die Alternative: „Flugdrohnen, mit denen wir die Montagehallen just in time beschicken, um die Maschinen endmontieren zu können.“
Das Logistik-Modell des Online-Milliardärs Jeff Bezos sei dabei keineswegs die Speerspitze der Innovation. „Das neue Logistikzentrum von BHS Corrugated wird sich von Amazon Lägern insofern unterscheiden, dass es mit mehr und anderer automatisierter Lagertechnik ausgestattet wird“, sagt Markus Wenning, stellvertretender Bereichsleiter Verkauf bei der IGZ Falkenberg, die für die SAP-gestützte Lagertechnik- und Software-Ausstattung verantwortlich zeichnet. „In Lägern von Maschinenbauern gelangen Artikel häufig automatisiert zum Kommissionierer, der entnimmt typischerweise nicht nur Ware. Man muss sie verwiegen, labeln, teilweise als Gefahrgut kennzeichnen und den Lieferschein beilegen.“ Kurz gesagt: Man ist da schon zwei Schritte als Amazon.
Die Tücke mit der Feinmotorik
Die Tücke liege im Detail, nennt Christian Engel Beispiele für die Komplexität der Herausforderung: „Ein Würfel lässt sich einfacher greifen als eine zerbrechliche Tasse, ein gut verpacktes Teil leichter, als ein schlecht verpacktes, das herausfällt.“ Tausende solcher Problemstellungen müsse man Schritt für Schritt lösen. „Das ist eine lange Reise“, bestätigt Geschäftsführerkollege Lars Engel. Auf dieser langen Reise von Mensch und Maschine kommt den Mitarbeitern die Rolle des Qualitätssicherers zu.
„Bei 50.000 Bauteilen schauen einige sehr ähnlich aus“, erklärt IGZ-Betriebswirt Wenning. Es sei technologisch höchst anspruchsvoll, den Maschinen beizubringen, um welches Teil es sich jeweils handelt, und wie es am besten zu greifen oder saugen sei. „Es hängt davon ab, wie die Artikel liegen, wie gut erkennbar sie sind, ob sie verpackt sind, gut gesaugt oder gegriffen werden können, ein bestimmtes Gewicht haben.“ Die von IGZ derzeit angebotene Robotik-Lösung eigne sich für behälterfähige Artikel, nicht für Langgut- und Stangenware.
Automatisierung muss sinnvoll sein
„Die IGZ-Robotiklösung – in Verbindung mit der Bilderkennungssoftware und dem SAP-System – ist auch in der Lage zu kommissionieren“, erklärt Wenning. „Die anspruchsvolleren menschlichen Tätigkeiten können dagegen nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand ersetzt werden.“ Automatisierung müsse sinnvoll sein. Um hier den richtigen Mix zu finden, werde man die Prozesse vorher virtuell durchspielen: „Durch die Emulation im Vorfeld kann man auch die Mitarbeiter abholen“, erläutert Wenning das IGZ-„Train the Trainer“-Konzept. „Diese sehen bereits die realistischen Frontend-Oberflächen, können verbuchen, einlagern, kommissionieren, die Qualität der Software und der Prozesse testen.“
Und auch der Kollege Roboter wird in dieser Emulation trainiert: „Der Roboter soll sich selber anlernen“, erklärt der IGZ-Experte. „Er versucht etwas anzusaugen, merkt, dass es nicht funktioniert, versucht es mit einer anderen Position oder verwendet ein anderes Saugwerkzeug.“ Man teste das im eigenen Labor in Falkenberg auch physisch durch: „Wie ist die Oberflächenbeschaffenheit einer Kartonage? Öffnet sich die Lasche leicht oder muss man daran etwas ändern?“
Kollege Roboter übernimmt die Nachtschicht
Ein Arbeitsauftrag auch für die BHS Corrugated: „Wir werden lernen müssen, dass wir das an die Lieferanten zurückspielen“, sagt Christian Engel. „So könnt ihr uns die Teile nicht liefern.“ Das sei eine Interaktion mit dem menschlichen Kommissionierer, ergänzt Lars Engel: „Es wird auch weiter Situationen geben, wo man gemeinsam hinlangen muss.“
Ein Beispiel, bei dem sich der Bio-Angestellte und der Mitarbeiter mit technologischem Migrationshintergrund perfekt ergänzen: „Die meisten Menschen arbeiten nicht gerne in der Nacht“, weiß Christian Engel. „Also übernimmt der Roboter die Nachtschicht, kommissioniert raus, was er kann.“ Und die Frühschicht arbeite dann eben die Liste der Aufgaben ab, die dem Robotoiden nicht so leicht von der Metallhand gehen.
Prime-Standard für Nachhaltigkeit
Der Energiebedarf des neuen Logistikzentrum halte sich erfreulicherweise in Grenzen. „Wir bekommen mehr Photovoltaik drauf, als wir selbst verbrauchen können“, freut sich Christian Engel. „Die Gebäudehülle kommt von der Bielefelder Firma Goldbeck, das ist der Prime-Standard für CO2-neutrale Gebäude – mit DGNB-Nachhaltigkeitszertifizierung in Platin.“ Es gehöre einfach zum guten Ton, sich über Energie, deren Speicherung und den Umgang mit Wasser Gedanken zu machen.
Neben der Produktionshalle wird in Weiherhammer auch ein dreigeschossiges gläsernes Verwaltungsgebäude entstehen. Insgesamt investiert BHS Corrugated rund 38 Millionen Euro in den Heimatstandort, der der Umsatzentwicklung neuen Schwung verleihen soll. „Der neue Logistikpark ermöglicht uns nicht nur, die innerbetriebliche Logistik noch besser aufeinander abzustimmen“, resümiert Christian Engel. „Wir können damit unseren Kunden noch innovativere Logistiklösungen bieten.“ Ein weiterer Meilenstein für die BHS-Corrugated-Mission, die Produktivität von Wellpappenwerke zu maximieren und die Bedeutung dieses nachwachsenden Rohstoff als nachhaltiges Verpackungsmaterial in den Fokus zu rücken.
BHS Corrugated und IGZ Falkenberg
BHS Corrugated ist ein Hersteller von Wellpappenanlagen (englisch Corrugator) mit Hauptsitz in Weiherhammer. BHS Corrugated beschäftigt über 2500 Mitarbeiter in mehr als 20 Ländern und einem geplanten Umsatz im Jahr 2021 von über 600 Millionen Euro.
- 1717: Herzog Theodor Eustach (Pfalz-Sulzbach) lässt ein Hüttenwerk für den Munitionsguss für das Kaiserliche Zeughaus in Wien gründen. 1927 wurde das herzogliche Unternehmen in die – per Landesgesetz – neu gegründete BHS, Bayerische Berg-, Hütten- und Salzwerke, eingegliedert.
- 1960: Erweiterung des Geschäftsbereichs. Neben Gusseisen werden nun auch Wellpappenmaschinen konstruiert und gefertigt. Von da an wächst der Geschäftsbereich stetig weiter.
- 1993: Privatisierung der staatlichen BHS. Seitdem besteht die BHS Corrugated Maschinen- und Anlagenbau in Form einer GmbH.
- Heute: BHS Corrugated ist der zweitgrößte Arbeitgeber im Landkreis Neustadt an der Waldnaab mit Niederlassungen in Tachov (Tschechien, Gründung 1994), Curitiba (Brasilien, Gründung 1998), Shanghai (China, Gründung 2003), Knoxville (USA, Gründung 1971) sowie 26 Vertriebs- und Serviceniederlassungen auf allen Kontinenten (unter anderem in Sydney, Kapstadt, Mexiko-Stadt). Tochterunternehmen der BHS sind Corr24, Function Control, ÜBZO, Youcomp e. V., Five Point Reisebüro und BHS Intralogistics GmbH.
Die IGZ Ingenieurgesellschaft für logistische Informationssysteme mbH mit Sitz in Falkenberg (Landkreis Tirschenreuth) wird 1999 von den beiden Ingenieuren Wolfgang Gropengießer und Johann Zrenner gegründet. Seitdem ist die IGZ Unternehmensgruppe stetig gewachsen und beschäftigt aktuell über 500 hochqualifizierte, festangestellte Mitarbeiter.
- 2020: Die steil wachsende Umsatzkurve durchbrach die Schallmauer von 80 Millionen Euro.
- 18. Mai 2021: Die SAP-Ingenieure der IGZ werden in der Kategorie „Logistics & Infrastructure“ mit dem begehrten German Innovation Award in Gold ausgezeichnet. Der patentierten Pick-by-Robot-Lösung „LUKE2“ wird das Potenzial attestiert, den Markt der vollautomatisierten Einzelteile-Kommissionierung nachhaltig zu verändern.
- Die Automatisierungslösung kann direkt in die Marktführersoftware SAP EWM/MFS als Lösungsbestandteil integriert werden. Der Roboter hat sämtliche Technik und Sensorik an Bord, wird mit nur einem Kabel angeschlossen und ist innerhalb von wenigen Minuten einsatzbereit.
- Im Gegensatz zu herkömmlichen Lösungen sind keine kostenintensiven, aufwändig zu installierenden Robotik-Zellen oder Fördertechnikaufbauten erforderlich. Damit ist der kompakte Kommissionier-Roboter jederzeit einfach nachrüstbar. Sein Platzbedarf entspricht dem Aktionsradius eines Menschen.
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