Oberpfälzer Künstlerporträts: Jürgen Hubers politisches Werk jenseits der Propaganda [mit Video]

Schönsee. Jürgen Hubers unkonventionelle Kunst-Karriere führt ihn über Berlin, Mailand, London und Berlin bis ins Regensburger Rathaus: als Grünen Bürgermeister der turbulenten Wolbergs-Ära. Zurück zu den Kunst-Wurzeln: In Hans Eibauers Schönsee, wo der Sohn eines Altenstädter Glasschleifers Popkultur genoss, schließt sich der Kreis.

Ein kämpferischer Jürgen Huber vor seinem Gemälde “Der General”. Im Auge dieses Betrachters auch ein Porträt Putins. Bild: Jürgen Herda

Was haben Jürgen Huber, seine Ackerbürgerscheune und Schönsee gemeinsam? Von außen betrachtet reinstes Oberpfälzer Understatement. Auf den zweiten Blick: überraschender kultureller Reichtum. Der gebürtige Altenstädter ist nach dem turbulenten Ausflug in die Regensburger Machtzentrale eigentlich auf der Suche nach einem Lager für seine Werke. Gefunden hat er einen neuen Wohnsitz für sich und seine Bilder.

Was von außen unscheinbar wirkt, entpuppt sich innen als ein Museum der Huberschen Rock-Art. Hinter dem Esstisch leuchtet die ganze Wand mit einer doppelt gehängten Ahnengalerie farbenfroher Comicporträts. Fröhliche Teufel, ein fliegender feuerspuckeder Baumanzünder, neandertaleske doof aus der nicht vorhandenen Wäsche Gucker – es wird viel gezündelt und gebombt in diesem hinterkünftigen Panoptikum. Es ist auch eine Rückkehr in seine 68er-Jugend. „Als Jugendliche waren wir ständig in Hans Eibauers Red Egg“, schwärmt Huber von den wilden 70ern, in denen der umtriebige Eibauer die Hippies aus der ganzen Oberpfalz in seine Disco nahe des Eisernen Vorhangs lockte.

Bilderwand mit einer doppelt gehängten Ahnengalerie farbenfroher Comicporträts. Bild: David Trott

Schönsee: Hubers Woodstock der Oberpfalz

„Bei seinem Open-Air-Festival auf Gut Dietersberg war musikalisch aus der ganzen Republik alles da, was Rang und Namen hatte“, freut er sich schelmisch über die Empörung der braven Schönseer wegen des röhrenden Rocks und fallender Hüllen. „Der Hans hat für Schönsee wahnsinnig viel erreicht“, zieht Huber den Hut vor seinem ehemaligen Bürgermeister-Kollegen, „so eine intellektuelle Herangehensweise findet man in so einem kleinen Ort selten.“

Eibauers Denkmal, das CEBB, vom Tirschenreuther Stararchitekten-Duo Brückner & Brückner veredelt, steht nur einen Steinwurf entfernt. „Eine echte Preziose, wie ihre anderen großartigen Museumsbauten“, schwärmt der Künstler von dem architektonisch in ein bayerisch-böhmisches Begegnungszentrum verwandelten ehemaligen Kommunbrauhaus. Stilvoller und süffiger kann bayerisch-böhmische Begegnung nicht in Stein, Glas und Holz gekleidet werden.

Altenstädter Glasschleifer-Milieu

Die karge nördliche Oberpfalz ist Teil von Hubers DNA. Das sozialdemokratische Elternhaus, das Glasschleifer-Milieu des Vaters, der Stolz der harten Arbeit: „Es gibt ein altes Foto, auf dem mein Vater mit seinen Kumpeln in Gummischürzen sitzt“, beschreibt er die Haltung von Männern, die im Akkord arbeiten und sich gegenseitig die Peitsche geben, um genug zum Leben zu verdienen. „Sie schauen selbstbewusst direkt in die Kamera.“

Es ist das Gegenteil des „kleinbürgerlichen Neidhammeltums, der ewig zu kurz Gekommenen“. Denn obwohl Huber Senior nur vier Jahre zur Schule geht, ist er „dennoch ein gescheiter Mensch, der seine Bildung aus Büchern und Zeitungen bezieht“. Die Einrichtung hätten seine Eltern mühsam abgestottert. „Aber ein Tag ohne Zeitung war nicht denkbar.“ Sozialisiert und geschliffen im Altenstädter Arbeitermilieu, aber ohne Scheuklappen.

Jürgen Hubers beeindruckendes Bilderbuch: reinste Oberpfälzer Handarbeit. Bild: Jürgen Herda

Künstlerisches Erweckungserlebnis in Waldsassen

„Die Eltern haben mich auf Ausflüge mitgenommen“, erzählt der 67-Jährige von seinem künstlerischen Erweckungserlebnis: „In der Bibliothek des Waldsassener Klosters gibt es Schnitzereien von Kyriatiden und Atlanten des Meisters Karl Stilp aus Eger, die den umlaufenden Balkon tragen – da kriege ich heute noch Gänsehaut, wenn ich reingehe.“ Dieses Erlebnis, die Kunsterzieher in der Schule und das Woodstock-Feeling von Schönsee haben den Künstler Huber geprägt.

Oder wie er es nennt, ihn zur „Selbstermächtigung“ befähigt: Als sozialer Aufsteiger saugt er die Einflüsse der modernen Klassiker auf: Picasso, der sich selbst permanent neu erfindet, Malewitsch, den radikalsten Reduzierer, die Gruppen Spur und CoBrA mit Asger Jorn, der als kommunistischer Untergrundkämpfer Flugblätter gegen die Nazis druckt. Im Sinne Jean-Luc Godards will er keine politische Kunst, wie den prototypischen sowjetischen Arbeiter. „Das ist Propaganda.“ Huber will die Kunst politisch machen.

Kunst gegen den Krieg

Das beeindruckendste Beispiel: Piccassos Guernica, ein kubistisches Meisterwerk, dessen Sprengkraft sogar von den Nazis verstanden wird. „Ein Wehrmachtsoffizier, der auf der Ausstellung das Bild mit den Opfern der bombardierten baskischen Stadt sieht, soll empört ausgerufen haben: ,Wer hat das gemacht?’ Picasso, der in der Nähe steht, soll gesagt haben: „Sie! Sie haben das gemacht!“ Politische Kunst auf höchstem Niveau, ohne platt die brutale Wirklichkeit abzubilden. Was Picasso, der schon als 15-Jähriger begnadet wie Velázquez malen kann, zweifellos gekonnt hätte.

Apropos Bomben: Die Brutalität von Putins Krieg gegen die Ukraine beschäftigt natürlich auch Jürgen Huber. Im Keller überarbeitet er immer wieder den „General“, der sich wie die meisten seiner Motive selbst auf die Leinwand geschlichen hat. Unablässig sucht das menschliche Auge nach bekannten Mustern. In einer Farbstruktur erkennt es die Umrisse eines Gesichts, die Huber dann herausarbeitet. Und dort, ist das nicht ein Arm? Schon gesellt sich eine weiße Kontur dazu, die an eine napoleonische Uniform erinnert.

Jürgen Huber und sein Werk haben in dem Schönseer Ackerbürgerhaus eine neue Heimat gefunden. Bild: Jürgen Herda

Mein Bild des Ukraine-Desasters

In der Wahrnehmung des Künstlers ist der General kein blutrünstiger Tyrann der Gegenwart. Eher ein Soldat alter Schule ausgebildet in der Kaderschmiede eines Carl von Clausewitz. Mit den Bildern des bombardierten Mariupols im Kopf formt mein Verstand daraus die hässliche Fratze des Krieges in Reinformat. Das dort auf dem fast mannshohen Gemälde vor Van-Gogh-nachtblauem Himmel ist jener Vladimir Putin, dem die Gestalt der Freiheit links im Bild sterbend die Maske vom Gesicht gerissen hat.

Vlad, der Pfähler, der in dem kleinen Mann mit der Großmannssucht steckt. Oder noch viel Grundsätzlicher: Das Monster, das in der menschlichen Natur lauert und biedere Bürger zu sadistischen KZ-Wärtern, vergewaltigenden und mordenden Soldaten werden lässt, wenn die bürgerlichen Konventionen nicht mehr gelten. Das gehässige kleine Ungeheuer rechts vom General, das die Untaten des Feldherrn erst möglich macht. Zu viel der Interpretation? Jürgen Huber würde sagen: „Der Betrachter malt das Bild zu Ende.“ Der General ist jetzt mein Bild des Ukraine-Desasters.

Stationen eines politischen Künstlerlebens

1954: Das Wunder von Altenstadt/Waldnaab ist ein „Weltmeisterjahrgang“.

Kindheit: Das freudig begrüßte Arbeiterkind ist geprägt vom Glashütten-Milieu seines Vaters. Im Kindergarten Premiere als Schauspieler, Begeisterung für Theater und Kunst erwacht.

Schule: Krumme Schullaufbahn über Keplergymnasium Weiden, BOS Regensburg bis zum FOS-Abitur im Bereich Gestaltung.

Sozialer Unternehmer: Der Gründer des legendären Kartenhauskollektivs in Regensburg leitet als Primus inter Pares den Verlag mit Druckerei von 1979 bis 1986.

Ausbruch: Nach halbjährigem London-Aufenthalt 1986 ist er als freiberuflicher Künstler unterwegs.

Über 100 Ausstellungen: Unter anderem in New York, Addis Abeba, Italien, Finnland, Polen und Tschechien.

Galerien: Seine Werke hängen in renommierten Galerien, wie Rudi Pospieszczyk in Regensburg, Axel Holm in Ulm, Otto van de Loo in München, Galerie Räber in Zürich, Galerie Slama in Klagenfurt oder Galerie Deschler in der Berliner Auguststrasse.

Messen: Ausstellungen auf Kunstmessen in Köln, Karlsruhe und Wien.

Museumsausstellungen: Als Solist, mit seinem Künstlerfreund Jan Pruski (Olsztyn, Masuren), als Mitglied der Künstlergruppe „Warum Vögel fliegen“ und dem Kunstverein GRAZ.

Veröffentlichungen: Herausgeber von mehr als einem Dutzend „Bilder-Lese-Büchern“ und Verfasser des fantastischen Debütromans Hiobertus, der in seiner zunehmend surrealen Flucht an Carl Einsteins kubistischen Roman „Bebuquin oder die Dilettanten des Wunders“ erinnert.

Politik: 12 Jahre Regensburger Stadtrat von 2008 bis 2020, sechs Jahre Umwelt-Bürgermeister in der Ära Wolbergs, den Huber als „schlampiges Genie“ in Schutz nimmt, „der Regensburg von bleierner gesellschaftlicher Lähmung“ befreit habe.

Heimat und Fremde: Nach einem längeren Aufenthalt in Mailand und langjährigem Zweitwohnsitz in Berlin lebt Huber heute in Schönsee (Landkreis Schwandorf) an der tschechischen Grenze. Kunstphilosophie von Karl Valentin inspiriert: „Kunst ist schön, macht aber Arbeit.“ Was er an seinem Genre liebt: „Man erfindet dabei die Welt – im Auge des Betrachters erst ganz und gar.“

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