Papst Leo XIV.: Der Mann zwischen den Mächten

Rom/Regensburg. Jetzt also ein neuer Leo auf dem Stuhl Petri: Sollte der neue Papst Robert Francis Prevost mit seiner Namenswahl als Leo XIV. einen Fingerzeig im Sinn haben? Sein namentlicher Vorgänger Leo XIII gilt bei Historikern als der „letzte große Sozialpapst des 19. Jahrhunderts“.

Papst Leo XIV. zwischen Hoffen und Bangen. Grafik: jrh/Gipi

Der weiße Rauch ist verklungen, der Jubel auf dem Petersplatz verhallt, und schon wieder haben wir es mit einer paradoxen Figur an der Spitze der Weltkirche zu tun: Ein US-Amerikaner mit lateinamerikanischer Prägung, ein Ordensmann mit vatikanischer Karriere, ein Reformer, der bloß nicht zu revolutionär sein darf.

Der neue Papst Leo XIV., bürgerlich Robert Francis Prevost, tritt ein schweres Erbe an – und könnte dennoch der Mann sein, der Franziskus’ vorsichtigen Umbau der katholischen Kirche stabilisiert. Oder im vatikanischen Dickicht zerrieben wird.

Es ging dieses Mal verhältnismäßig schnell. Jedenfalls, verglichen mit der ersten Marathon-Papstwahl der Kirchengeschichte. Das längste Konklave aller Zeiten fand im 13. Jahrhundert statt – und dauerte 1005 Tage – von November 1268 in Viterbo nach dem Tod von Papst Clemens IV. bis September 1271 mit der Wahl von Papst Gregor X..

Warum so lang?

  • Die Kardinäle waren zutiefst zerstritten – insbesondere zwischen französischen und italienischen Lagern.
  • Es gab keine festgelegten Wahlregeln wie heute; kein conclave im Sinne des heutigen „Einschlusses“.
  • Erst als die Bürger von Viterbo die Geduld verloren, die Kardinäle einsperrten, ihnen das Dach abdeckten und die Essensrationen kürzten, kam Bewegung in die Sache.

Als Kompromiss wurde schließlich statt eines Kardinals, der außerhalb des Konklaves befindliche Theologe Tebaldo Visconti gewählt – der spätere Gregor X. Dieses historische Desaster war der Grund, warum Papst Gregor X. 1274 beim Konzil von Lyon das Konklave-Verfahren reformierte: Einschluss, Reduktionsdiät und die berühmten Worte „Extra omnes!“ – alle raus, Türen zu.

Papst Leo XIV. in schwerer See. Grafik: jrh/Gipi

Lob aus Bayern und Berlin

Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, bezeichnet Leo XIV. als „Mann des Ausgleichs“ und lobt dessen Betonung des Friedens in der ersten Ansprache. Bundeskanzler Friedrich Merz gratuliert dem neuen Papst und betont, dass er in Zeiten großer Herausforderungen Millionen Gläubigen weltweit Hoffnung und Orientierung gebe. Auch die Reformbewegung „Wir sind Kirche“ gratuliert Kardinal Robert Francis Prevost zu seiner Wahl als Nachfolger von Papst Franziskus.

„Wir hoffen und wünschen, dass der gewählte Bischof von Rom, den von Papst Franziskus begonnenen Weg der Erneuerung der Kirche tatkräftig fortsetzen wird, und wir appellieren an ihn, dies im synodalen Geist zu tun.“ Die Zukunft der christlichen Kirche sollte unter der geistlichen Führung des Papstes von allen Gläubigen gestaltet werden, heißt es in einer Pressemitteilung. Es sei nicht nur die Aufgabe des Vatikans, der Kardinäle und Bischöfe, sondern aller Mitglieder der Kirche, die Botschaft Jesu von der Liebe und Gleichheit aller Menschen in unsere Zeit zu übersetzen.

Dabei gilt es, den gemeinsamen Glauben zu bewahren und gleichzeitig die Unterschiede in den Kulturen und Lebensbedingungen zu berücksichtigen. Einheit in Vielfalt, nicht Uniformität, sind die Zeichen der Zeit! Ein besonderes Anliegen für Deutschland bleibt die Ökumene. Reformbewegung „Wir sind Kirche“

Der Papst als Pragmatiker im Habitus eines Mittlers

Prevosts Wahl ist kein Paukenschlag – sondern ein taktischer Zug. Wer den 69-jährigen Augustiner aus Chicago zum Papst kürte, wollte keine Richtungsentscheidung, sondern einen Pontifex im ursprünglichen Sinne: Einen Brückenbauer zwischen den zunehmend unvereinbaren kirchlichen Strömungen. Zwischen Kurienkardinälen mit dogmatischem Schließreflex und progressiven Bischofskonferenzen, die längst in der Gegenwart angekommen sind.

Leo XIV. ist der Papst des Dazwischen: zu römisch, um als Amerikaner angreifbar zu sein, zu peruanisch geprägt, um als Imperialist zu gelten, zu zurückhaltend, um die Ultrakonservativen gleich auf die Barrikaden zu treiben. Ein Mann des Dialogs, kein Tribun. Ein Verwalter mit weltkirchlichem Blick.

Das Erbe Franziskus’: Synodalität als Prüfstein

Franziskus, der Papst mit pastoraler Demut, hatte den Wandel eingeleitet: geduldete Synodalität, Teilhabe, Ökologie, weltkirchliche Perspektiven. Doch sein Pontifikat blieb eine Skizze. Leo XIV. muss nun entscheiden, ob er aus ihr ein Fresko macht – oder ein Diptychon, bei dem die zweite Hälfte unvollendet bleibt.

Realistische Reformfelder unter Leo XIV.:

  • Weiterführung des Synodalen Weges – unter dem Deckmantel vatikanischer Mäßigung.
  • Stärkung der Laien – vor allem in beratender Funktion.
  • Fortsetzung der ökologischen Agenda – „Laudato si’“ wird zum grünen Band zwischen zwei Pontifikaten.
  • Mehr Transparenz bei Bischofsernennungen – dank Prevosts Vorgeschichte als Personalchef des Vatikans ein glaubwürdiger Anspruch.
Papst Leo XIV. in schwerer See. Grafik: jrh/Gipi

Wo der Wind schärfer bläst

Doch Reform ist keine Einbahnstraße. Und Leo XIV. hat Gegner:

  • Die Ultramontanen – von den US-Bischöfen à la Cordileone über die konservativen Kräfte in Polen und Afrika bis hin zu jenen Kurienkardinälen, die Franziskus’ Synodalität für einen schleichenden Protestantismus hielten.
  • Die Unzufriedenen von links – für die schon Franziskus nicht weit genug ging: keine Frauenordination, keine Öffnung für gleichgeschlechtliche Partnerschaften, keine ernsthaften Schritte bei der Zölibatsfrage. Leo XIV. wird auch von dieser Seite unter Druck geraten, wenn er in gewohnter römischer Langsamkeit agiert.
  • Die Öffentlichkeit – oder genauer: ein säkularer Zeitgeist, der sich nicht mehr damit begnügt, dass ein Papst „guten Willens“ ist, sondern Ergebnisse verlangt. Und Konsequenz – etwa in Fragen des Missbrauchsskandals. Hier hat Prevost in seiner Zeit als Bischof in Chiclayo und später in Chicago keine makellose Bilanz vorzuweisen. Die Beobachtung wird schärfer, das Gedächtnis digital.
Bischof Gerhard Ludwig Müller als Gegen-Steuermann. Grafik: jrh/Gipi

Der synodale Schachzug: Einheit statt Uniformität?

Leo XIV. selbst sagt in seiner ersten Botschaft, er wolle eine Kirche, die „hinhört“. Ein Begriff, der mehr verspricht, als ein Papst allein leisten kann. Doch im Zusammenspiel mit synodalen Akteuren weltweit könnte Leo XIV. derjenige sein, der Franziskus’ Generalversammlung 2028 zur echten Wegscheide macht. Wenn – ja, wenn – er bereit ist, Einheit als Vielfalt zu denken, und nicht als vatikanisch lizensierte Homogenität.

Ein Schluss ohne Pointe – aber mit Hoffnung

Prevost ist nicht der „amerikanische Papst“, wie manche Medien kursorisch titeln. Er ist ein Papst mit amerikanischer Biografie, peruanischer Sozialisation und römischer Nüchternheit. Und das macht ihn – bei allen Spannungen – zu einer Figur der Hoffnung. Nicht auf Wunder. Aber auf kluge Führung.

Die Kirche hat mit Franziskus gelernt, dass der Papst kein Monarch mehr ist. Mit Leo XIV. wird sie lernen müssen, dass Führung nicht mit Lautstärke beginnt – sondern mit Zuhören. Und vielleicht, ganz leise, schimmert in diesem Übergang ein Moment von Fortschritt durch: Nicht durch Sprung – sondern durch Schrittmaß. Im Takt der Menschlichkeit. Und in der Hoffnung, dass irgendwann auch die Brücke zur Aufklärung nicht mehr als Sonderweg gilt.

Infokasten: Papst Leo XIV. alias Robert Francis Prevost

  • Geburtsdatum: 14. September 1955
  • Geburtsort: Chicago, Illinois, USA
  • Ordenszugehörigkeit: Augustinerorden
  • Priesterweihe: 1982 in Rom
  • Promotion: Kirchenrecht
  • Missionarische Tätigkeit: Peru
  • Leitungsfunktionen:
    • Prior General des Augustinerordens (2002–2013)
    • Bischof von Chiclayo, Peru
    • Präfekt des Dikasteriums für die Bischöfe
  • Papstwahl: 8. Mai 2025
  • Papstname: Leo XIV.

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