Patient gewinnt Kampf gegen Krebs – und gegen die Krankenkasse
Tirschenreuth/Regensburg. Ein Mann aus Tirschenreuth hat sich vor dem Sozialgericht Regensburg eine Krebstherapie mit "Keytruda" erstritten. Die Krankenkasse wollte nicht zahlen.
Vorab: Die Sache geht gut aus. Seit drei Jahren leidet ein recht junger Tirschenreuther an Krebs in der Magengegend. 43 Jahre alt war er zum Zeitpunkt der Diagnose. Jetzt ist er 46. Dass er dieses Alter überhaupt erreicht hat, ist ein kleines Wunder. Sein inoperables Karzinom mit Metastasierung galt als „infaust“, als tödlich.
Ärzte der Universitätsklinik Regensburg versuchten es ab Mai 2021 mit der Standardtherapie, einer Kombi von Chemo mit Trastuzumab. Als diese nicht anschlug, empfahlen sie im August 2021 die kombinierte Gabe mit dem Medikament Prembrolizumab (Markenname „Keytruda“).
Kosten: alle drei Wochen 5.850 Euro
Als der Tirschenreuther erkrankte, lief die Zulassungsphase. Einzelne Bundesländer zahlten damals schon. In Amerika war die Kombi schon Standard. Seit Herbst 2023 ist sie das auch in Europa und Deutschland. Das Medikament ist teuer. Die Anwendung erfolgt im Intervall von drei Wochen. Eine Dosis kostet 5.850 Euro.
Die AOK Bayern, Direktion Nordoberpfalz, lehnte ab. Die Kasse berief sich auf den Medizinischen Dienst. Es stehe eine Standardtherapie zur Verfügung. Es fehlten „Daten bezüglich des Gesamtüberlebens“. Ein Verwandter wandte sich an Anwalt Dr. Burkhard Schulze, der für die Familie Widerspruch einlegte und schließlich Klage erhob.
An der Uniklinik Regensburg startete die Therapie – trotz ungeklärter Kostenfrage, auf privates Risiko. Der 43-Jährige erhielt bis Oktober 2021 die ersten vier Dosen „Keytruda“. 23.400 Euro liefen auf. Parallel gab es erste Erfolgsmeldungen aus der Universitätsklinik: „Komplette Remission. Exzellentes Ansprechen. Unbedingt Fortführen.“ Unterschrieben haben sieben Ärzte.
Sozialgericht Regensburg: „Ein Grundrecht auf Leben“
In einer Eilentscheidung entschied das Sozialgericht Regensburg im November 2021, dass die AOK vorläufig zahlen muss – bis zur Entscheidung in der Hauptsache. Der Patient habe ein „Grundrecht auf Leben“. Das Risiko der Krankenkasse auf finanziellen Verlust müsse dahinter zurücktreten.
Diese Hauptsache-Entscheidung des Sozialgerichts ist nun, drei Jahre später, gefallen. Warum das so lange dauerte? Ein erster Gutachter – ein Onkologie-Professor aus der Oberpfalz – folgte 2022 der Argumentation des medizinischen Dienstes. Es bestehe „keine wissenschaftlich belastbare Evidenz für ein längeres Überleben“.
Zweites Gutachten: Ohrfeige für die Krankenkasse
Auf Antrag von Dr. Schulze wurde dann noch ein zweites Gutachten erstellt. Im Juli 2023 beauftragte das Sozialgericht Dr. Markus Möhler, den Leiter der gastroenterologisch-onkologischen Ambulanz an der Klinik, der Gutenberg-Universtität Mainz.
Seine Expertise liegt seit Juni 2024 vor – und sie hat es jetzt in sich. Das Gutachten ist ein Hoch auf die Uniklinik Regensburg und eine Ohrfeige für die Krankenkasse.
„Patient wäre längst tot“
Ohne die mutige Behandlung wäre der Patient aus Tirschenreuth nach Einschätzung von Dr. Möhler schon tot. „Diese brillante Kombination war für den Patienten lebensrettend. Mit der ,alten‘ zugelassenen Therapie wäre der Patient längst verstorben.“
Der Gutachter übt harsche Kritik an der AOK. Er stelle sich die „moralisch-ethische Frage“, warum eine Krankenkasse „nicht verantwortungsvoll“ genug sei, für einen Patienten eine Kombination von Medikamenten zu erlauben, für welche die Datenlage schon 2021 sehr gut gewesen sein. Die Medikamente waren bereits getrennt zugelassen. Ihre gemeinsame Wirkung sei wissenschaftlich belegt gewesen. Möhler ist überzeugt, dass „wir in Zukunft immer mehr Patienten sehen“, die durch die Kombination sogar geheilt werden können.
Diese brillante Kombination war für den Patienten lebensrettend. Mit der ,alten‘ zugelassenen Therapie wäre der Patient längst verstorben. Dr. Markus Möhler, Leiter der gastroenterologisch-onkologischen Ambulanz an der Klinik, der Gutenberg-Universtität Mainz.
Die AOK Bayern, Direktion Nordoberpfalz, erkennt die Ansprüche jetzt vollumfänglich an. Dies bestätigt Richter Rainer Teuschl, Pressesprecher des Sozialgerichts Regensburg. Sprich: Die bisherige und auch die künftige Behandlung ist gesichert. Die Vorwürfe, verantwortungslos gehandelt zu haben, weist die Krankenkasse entschieden zurück. Die damalige Entscheidung habe auf dem Medizinischen Dienst Bayern und dem Gutachten eines erfahrenen Onkologie-Professors beruht: „Nicht auf Verantwortungslosigkeit.“
Und wie geht es dem Patienten? Er ist in einem guten Allgemeinzustand. Der Tumor befindet sich in kompletter Remission. Seit drei Jahren besteht „dauerhafte Tumorkontrolle“: Die Tumorzellen sind zerstört, es hat sich kein neuer Tumor gebildet. Es läuft eine Erhaltungstherapie mit der Kombi Prembrolizumab und Trastuzumab – den Medikamenten, die sich der 46-Jährige so geduldig erstritten hat.
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2 Kommentare
Dieser erste Onkologie-Professor aus der Oberpfalz hat laut dem Artikel behauptet, dass es keine wissenschaftlich belastbare Evidenz für ein längeres Überleben gegeben hätte. Nun frage ich mich, ob dieser Professor den medizinischen Fortschritt nicht kennt, oder ob er in seinem Gutachten, sein Wissen um den medizinischen Fortschritt nicht zum Ausdruck gebracht hat. Beides würde ich für schlimm empfinden, denn es ging hier um ein Menschenleben, über das dieser Professor sein Gutachten abgegeben hatte.
Leistungen zur Erhalt von Gesundheit verbunden mit Lebensqualität abzulehnen, gehört zum „täglichen Brot“ eine<r Krankenkasse.