Prozess nach Vergewaltigung: Was passierte in der Disco-Nacht? [Update]
Weiden. Zwei Welten trafen in einer Nacht im Oktober im Max-Reger-Park aufeinander. Eine hübsche junge Frau, zum Feiern aufgelegt und angeheitert. Die arglose 22-Jährige traf auf einen 33-Jährigen, der sie vergewaltigte.
Seit Dienstag läuft vor der 1. Strafkammer am Landgericht Weiden der Prozess gegen den syrischen Staatsangehörigen. Er hat die Tat gestanden. Das Gericht stellte ein Strafmaß zwischen sechs und sieben Jahren Haft in Aussicht. Zeugen gaben am Dienstag Auskunft zu den Umständen und Hintergründen der Gewalttat.
Auslöser: soziokulturell bedingte Fehleinschätzung
Landgerichtsarzt Dr. Bruno Rieder hat den Angeklagten in Haft besucht. Der Sachverständige sollte die Schuldfähigkeit des 34-Jährigen bewerten. Ergebnis: voll schuldfähig. Zwar hatte der Syrer mindestens 1,5 Promille und ist nicht trinkgewohnt. In seiner Heimat hat er ein einziges Bier getrunken, seit er in Deutschland ist, sind es ein bis zwei Halbe pro Woche.
Aber eine alkoholbedingte Enthemmung führt für Rieder nicht zu einer Einschränkung des Steuerungsvermögens. Ursache für die Tat ist aus seiner Sicht vielmehr eine „soziokulturell bedingte Fehleinschätzung“.
Familie lebt in Flüchtlingslager in Jordanien
Der Syrer ist in der Provinzhauptstadt Dara im Süden Syriens geboren und mit sieben Geschwistern in einem nahe gelegenen Dorf aufgewachsen. In Dara entzündete sich 2011 der Bürgerkrieg. Im gleichen Jahr wurde der Angeklagte zum Wehrdienst eingezogen. Noch heute hat er laut Rieder Narben einer selbst beigefügten Schnittverletzung, mit der er eine Versetzung in der Armee hatte erreichen wollen.
Nach seinem Wehrdienst habe sein Vater, ein Lebensmittelhändler, die Entscheidung zur Flucht ins Ausland getroffen. Die Familie siedelte ins benachbarte Jordanien in ein Flüchtlingslager über. Dort lebte der Angeklagte bis zu seiner Abreise nach Europa 2022. Er betrieb dort einen Textilhandel.
Mit russischem „Studentenvisum“ über Belarus eingereist
Der Angeklagte – er hat einen Hauptschulabschluss – kam mit einem russischen Studentenvisum nach Europa. Das Phänomen ist seit 2022 bekannt. Russland nutzt illegale Migration als Druckmittel. Migranten können mit kurzzeitigen Visa großzügig nach St. Petersburg und Moskau fliegen. Dann werden sie durch Belarus nach Europa durchgewunken.
In Deutschland lebte er seither in verschiedenen Asylbewerberunterkünften in Berlin, Gießen, Regensburg und zuletzt im Landkreis Neustadt/WN. Für einen Deutschkurs ist er angemeldet, Arbeit hat er nicht. Wenn ihm langweilig ist, besucht er einen Freund in Weiden. So kam es auch zum Discobesuch am 7. Oktober 2023, seinem ersten überhaupt.
Mit Frauen hat er keine großen Erfahrungen. In Syrien war er 2018 verlobt. Nach einem Jahr bekam die Verlobte ein Visum für Großbritannien. Die Familienzusammenführung wurde nicht genehmigt. Außerdem sei die Frau in Europa „hochnäsig“ geworden und habe von ihm nichts mehr wissen wollen, hat der Angeklagte dem Gutachter erklärt.
Mit Freundin zum Feiern in die Disco
Gegenüber Gerichtsarzt Rieder beschrieb er die Tat als „einvernehmlichen Austausch von Zärtlichkeiten“. Das glaubt ihm niemand, auch er selbst nicht mehr. Am ersten Prozesstag hat der 34-Jährige die Anklage vollumfänglich gestanden. Demnach rang er die ihm vorher unbekannte 22-Jährige zu Boden, zerriss ihre Kleider und vergewaltigte sie auf dem Laub des Parks.
Die 22-Jährige hatte einen fröhlichen Abend erleben wollen. Sie war – wie so oft – mit einer Freundin (26) aus Weiden unterwegs. Die beiden Frauen hatten schon einiges an Alkohol intus, ehe sie gegen 23 Uhr in der Disco eintrafen. Vier Stamperl „Jägermeister“ zuhause, „Havana Cola“ von Edeka und noch „irgendwas“ von der OMV-Tankstelle, erzählt die Freundin freimütig.
Im „Hashtag“ handhabte man es wie immer: „Wir haben gefeiert. Wir trennen uns da meistens und begegnen uns nur ab und zu beim Rauchen draußen.“ Bei der letzten gemeinsamen Zigarette sei die Geschädigte angetrunken gewesen: „Sie war lustig drauf.“ Später verlor man sich aus den Augen. Aus Vernehmungen weiß man, dass die 22-Jährige gegen 4/4.15 Uhr vor der Disco auf den damals 33-Jährigen traf und mit ihm auf eine Zigarette in den Park ging. Als sie danach zurückwollte, ließ er sie nicht gehen.
Clique fand das Opfer
Parallel feierte eine vierköpfige Clique aus Weiden in der Diskothek. Die Vier hatten eine Flasche Hochprozentiges an einer Bank am Eingang des Max-Reger-Parks deponiert, um zwischendrin dort zu trinken. Um 4 Uhr machte man sich zur endgültigen Leerung des Schnapsvorrats auf den Weg, ehe man nach Schließung des Clubs um 5 Uhr den Heimweg antreten wollte.
Eine 23-jährige Bäckerin war die erste, die auf jener Bank die Geschädigte sitzen sah. Die Frauen kannten sich. „Sie hatte ganz viele Blätter im Haar. Das T-Shirt und ihr Rock waren gerissen.“ Die 22-Jährige erzählte weinend, gerade eben vergewaltigt worden zu sein. Neben ihr auf dem Boden lag ein Smartphone, das der Täter verloren hatte.
Smartphone führt zum Täter
Dieses Handy führte die Clique zufällig auf die Spur des Mannes. Der Syrer hatte sich mit Freunden auf die Suche nach dem Smartphone gemacht. Genau in dem Moment, als sie einen Testanruf starteten, kamen die Drei an der Parkbank vorbei. Die Bäckerin ging ran – und zeitgleich der Freund des Täters. Der Täter lief davon, die Clique hinterher. Die Verfolgungsjagd endete in einer Gasse. Dort brachten die Weidener den Mann zu Boden und riefen die Polizei.
Vor Gericht behauptet eine Frau aus der Clique, der Syrer habe gesagt, in seiner Heimat sei das normal. Bei der Polizei hatte sie etwas ganz anderes ausgesagt. Zitat aus ihrer damaligen Vernehmung: „Er sagte nichts, was ich wirklich verstanden habe. Help, help und bestimmt 20 Mal Entschuldigung.“ Letztlich tut es nichts zur Sache.
Sechs bis sieben Jahre Haft erwartet
Und heute? Die Freundin habe sich schon verändert, sagt die junge Frau, die damals mit ihr zum Feiern unterwegs war. Man sei seither nicht mehr miteinander ausgegangen. „Wir sehen uns nicht mehr so oft.“ Sie wisse von Angstzuständen und psychotherapeutischer Behandlung der Geschädigten, die beruflich im Pflegebereich tätig ist. Eine Aussage bleibt der 22-Jährigen aufgrund des Geständnisses erspart.
Plädoyers und Urteil werden am Donnerstag erwartet, Beginn 9 Uhr.
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