Behandelnder Arzt: Hoffnung für 20-jährige Patientin – aber erst in einigen Jahren

Weiden. Wie geht es weiter für eine 20-Jährige, die im Bezirkskrankenhaus Wöllershof zwei Mitpatientinnen erdrosseln wollte? Es gibt tatsächlich minimale Lichtblicke. In der Forensik in Taufkirchen, wo sie sich seit Oktober 2024 befindet, kam es zu keiner Fremdaggression mehr. Die 20-Jährige verletzte sich "nur" noch selbst.

Das Justizgebäude in Weiden. Foto: OberpfalzECHO

Sie wird dort bleiben. Das Landgericht Weiden hat am Donnerstag die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (Paragraph 63 Strafgesetzbuch). Der behandelnde Oberarzt aus der Forensik Taufkirchen rechnet mit fünf bis sechs Jahren Behandlungsdauer, bis man beispielsweise über betreutes Wohnen nachdenken kann.

Der Facharzt für Psychiatrie berichtet auch aus Taufkirchen von bizarren Selbstverletzungen: “Sowas habe ich in meiner Karriere selten gesehen.” Einmal würgte die kindliche Frau eine Socke hinunter. Es gelang ihr zudem, sich selbst acht Zähne aus dem Unterkiefer zu ziehen, die sie vorher mit Gewalt gelockert habe. “Für mein Behandlungsteam war es nicht leicht.” Als die 20-Jährige angekommen war, sei es täglich zu solch “besonderen Vorkommnis” gekommen. Das sei deutlich seltener geworden.

Vor sechs Wochen biss sie beim Blutabnehmen die Nadel ab und schluckte sie. Auch in Taufkirchen ist sie Dauergast in der benachbarten Allgemeinklinik. Aber: Zumindest richtet sich die Gewalt (fast) nicht mehr gegen andere. Ein einziges Mal habe sie versucht, bei einer Fixierung nach einem Mitarbeiter zu beißen. Einmal gab’s Goethes Götz-Zitat. Mehr nicht.

Off-label-Behandlungsversuche

Die junge Frau muss in Taufkirchen auch nicht ständig fixiert werden. Die Kriseninterventionsstation der Frauen-Forensik ist – anders als die Allgemeinpsychiatrie – genau auf solche Patienten spezialisiert. Auf 16 Frauen kommt ein hoher Personalschlüssel. “Wir sind deutschlandweit eine der höchst gesicherten Stationen”, sagt der Oberarzt. So viel Sicherheit gibt mehr Freiheit.

Die 20-Jährige zeige zudem Behandlungswillen. Ihre Medikamente nimmt sie bereitwillig ein. Die Forensik versucht eine Off-label-Behandlung mit Clozapin. Dieses Medikament kommt normalerweise bei therapieresistenter Schizophrenie zum Einsatz. Bei der 20-Jährigen geht man von einer Borderline-Störung aus. Das Krankheitsbild weise auf eine Traumatisierung im Kindesalter hin.

Die 20-Jährige erfüllt laut Arzt auch ihren Therapieplan. “Sie geht gern in die Sporthalle, singt zu Musik.” Zu zwei Therapeutinnen habe sie eine Beziehung aufgebaut. Sie unterhält sich mit ihnen auch über ihre Zukunft.

30. Lebensjahr als magische Grenze

Hat sie denn eine Zukunft? Der psychiatrische Sachverständige Dr. Johannes Schwerdtner nennt das 30. Lebensjahr als Grenze. Gelinge es, sie bis dahin vom Suizid abzuhalten, könne zu 75 Prozent mit einer gewissen Beruhigung der psychischen Störung gerechnet werden. Schon allein deshalb muss sie in der Forensik bleiben. Da sind sich beide Psychiater einig. Schwerdtner warnt auch vor einem Wechsel in ein lockereres Setting. Er hält es für nicht ausgeschlossen, “dass sie von jetzt auf gleich einen Gegenstand nimmt und tötet”.

Vorsitzender Richter Peter Werner hat die 20-Jährige, geboren in Eritrea, letzte Woche besucht. Er äußert sich verblüfft. “Ich bin einer völlig aufgeräumten, ruhigen Patientin gegenüber gesessen, die sich artig mit mir unterhalten hat.” Typisch, meint der behandelnde Oberarzt. Die bizarren Zustandsbilder kämen plötzlich. Und wechseln sich ab “mit der süßen, kleinen 20-jährigen Patientin”, die reflektiert an einem Gespräch teilnimmt.

Plädoyers: “eine bedauernswerte Person”

Das Landgericht folgt dem Antrag von Oberstaatsanwalt Peter Frischholz auf Unterbringung. Er spricht in seinem Plädoyer von einem “sehr tragischen Fall”, “einer Person, die in höchstem Maße zu bedauern ist”. Nach wie vor gehe von ihr Gefahr aus. Frischholz zitiert den psychiatrischen Gutachter: “Wir sind von dunkelrot auf hellrot heruntergegangen. Aber noch längst nicht im grünen Bereich.”

Für Verteidiger Rouven Colbatz schlagen “zwei Herzen in meiner Brust”. Zum einen wisse er, dass die Frau in der Forensik bestmögliche Hilfe erfahre. Ehrlicherweise müsse man aber zugeben, dass eine der Voraussetzungen für Paragraf 63 jetzt fehle: die Gefährlichkeit für die Allgemeinheit. “Seit neun Monaten ist nichts passiert, sie hat ausschließlich sich selbst verletzt.” Er plädiert gegen den “63er”.

Gegen die Entscheidung des Landgerichts ist Revision zum Bundesgerichtshof möglich. Anwalt Colbatz hat nach einem Sicherungsverfahren schon einmal erfolgreich eine Aufhebung erreicht. 2021 war eine Mutter, die in Weiden ihre Kinder unter Verfolgungswahn aus dem Fenster geworfen hatte, untergebracht worden. Der BGH hob die Entscheidung auf. Bei der Neuverhandlung 2023 hatte die Behandlung schon so gut angeschlagen, dass keine Gefährlichkeit mehr bestand. Das Landgericht setzte sie auf freien Fuß.

* Diese Felder sind erforderlich.