Regensburger Polen-Experte Matthias Kneip über die polnische Solidarität mit der Ukraine

Der Regensburger Wissenschaftler und Autor im Gespräch über den Krieg in Europa und die besondere Rolle Polens

Regensburg. Matthias Kneip zählt zu den bekanntesten Experten, wenn es um Polen geht. Seit Jahrzehnten engagiert sich der Regensburger Journalist im deutsch-polnischen Kulturaustausch, organisiert Reisen, hält Vorträge und Lesungen. Im Gespräch mit OberpfalzECHO spricht er über den Krieg in der Ukraine und die besondere Rolle, die Polen dabei spielt.

Der Regensburger Journalist und Polen-Kenner Matthias Kneip (rechts oben) beschreibt die Solidarität in unserem Nachbarland mit den Menschen in der Ukraine. Montage: jrh

Sie haben vor kurzem dazu eingeladen, trotz der schwierigen Lage in Europa, Urlaub in Polen zu machen. Eine etwas gewagte Einladung, oder? 

Matthias Kneip: Gewagt nur auf den ersten Blick. Viele Hotels und Reisebüros in Polen unterstützen im Moment Flüchtlinge aus der Ukraine. Sie können diese Hilfe nur dann leisten, wenn sie selbst Einkommen durch Touristen haben. Es ist also genau umgekehrt. Wer nach Polen fährt, unterstützt das Land und die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, indem er diejenigen Einrichtungen unterstützt, die helfen. Diesen Blickwinkel sollte man nicht aus den Augen verlieren. Ein Sicherheitsrisiko, nach Polen zu fahren, sehe ich im Moment jedenfalls noch nicht. 

Polen ist ja als unmittelbarer Nachbar vom Angriffskrieg auf die Ukraine betroffen. Hat Sie die überwältigende Hilfsbereitschaft der polnischen Bürger überrascht? 

Matthias Kneip: Von der Sache her nicht. Vom Ausmaß her schon. Es war klar, dass die Polen zu den Ukrainern ein ganz anderes positives emotionales Verhältnis haben als damals zu den Flüchtlingen aus teil islamischen Ländern. Damals gab es große Vorbehalte, ob Flüchtlinge aus Syrien überhaupt nach Polen wollen. Die Sprache war anders, die Kultur. Das entschuldigt freilich nicht die damalige sehr restriktive Haltung der polnischen Regierung. Jetzt ist die Situation eine andere. Die Ukraine verbindet mit Polen eine enge historische Beziehung, im Guten wie im Schlechten. Lemberg war bis 1945 eine polnische Stadt. Außerdem arbeiteten bereits vor dem aktuellen Krieg über 2 Millionen Ukrainer in Polen. Es gibt viele Verbindungen zu polnischen Familien, die jetzt eben auch alle helfen. Ein großer Teil der Flüchtlingshilfe in Polen basiert auf privatem Engagement. Aber auch der Staat hilft spontan und unbürokratisch. Ukrainische Kinder werden schnell eingeschult, Aufenthaltsgenehmigungen schnell erteilt usw. 

Mit dem Besuch des polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Mirawiecki – zusammen mit den Regierungschefs von Tschechien und Slowenien – wurde ein deutliches Zeichen der Solidarität mit der Ukraine gesetzt. Wie wichtig scheint für Sie dieser Besuch? 

Matthias Kneip: Der Besuch ist in symbolischer Hinsicht von großer Bedeutung, vor allem, weil er nicht auf eigene Faust geschah, sondern in Absprache mit der EU. Die Solidarität gerade innerhalb der ostmitteleuropäischen Länder hat in den letzten Jahren immer wieder gelitten. So ein Krieg schafft auch Einheit und Einigkeit durch neu entstehende Fronten. Das gilt im Prinzip für alle Länder Europas. Für die Ukraine ist dieser Schulterschluss vor allem auch mit diesen drei MOE-Ländern wichtig. 

Sie haben ja viele Freunde und Kontakte in Polen? Wie wird dieser Angriffskrieg dort gesehen? 

Matthias Kneip: Das Entsetzen ist groß. Noch größer als in Deutschland. Denn nun hat Polen ein unmittelbares Nachbarland, das sich im Krieg mit Russland befindet. Die Angst, das nächste Angriffsziel zu sein ist riesig. Vor allem, weil man in Polen gegenüber Putin immer viel skeptischer war als in Westeuropa. Das Vertrauen ihm gegenüber ging immer gegen Null. Deshalb wurde auch Nordstream 2 immer kritisch gesehen von Polen, die immer ein strategisches Projekt Putins darin sahen, kein rein wirtschaftliches, als das es in Deutschland verkauft wurde. 

Was können der Westen und die an die Ukraine angrenzenden Staaten machen, um den Krieg zu beenden? 

Matthias Kneip: Wenn ich die Lösung hätte, würde ich sie hier gerne anbieten. Aber ich habe sie nicht. Es ist und bleibt ein Tanz auf der Rasierklinge. Die einen sagen Luftraumsperren, Waffen liefern und noch mehr Sanktionen. Die anderen sagen, ein Putin in der Ecke ist noch gefährlicher und unberechenbarer als er eh schon ist und ein Eingriff von Nato-Ländern birgt das Risiko eines Dritten Weltkriegs. Diejenigen, die am Ende Recht behalten, werden sich feiern lassen für ihren Weitblick. Die anderen werden sich schämen. Leider weiß ich aber nicht, wer wer sein wird. Ich persönlich finde, dass Besonnenheit weiter wichtig bleibt und nicht mit Feigheit verwechselt werden sollte – obwohl die Situation eine humane Katastrophe ist. 

Ist diese Solidarität auch eine endgültige Abkehr vom einst „großen Bruder“? 

Matthias Kneip: Die Polen würden sagen: Brüder kann man sich nicht aussuchen. Die Angst vor Russland liegt den Polen genetisch im Blut aufgrund historischer Erfahrungen. Die Abkehr ist zugleich Versicherung der Zugehörigkeit zum Lager der Nato und der EU. Ich fürchte, es wird wieder eine Zweiteilung der politischen Welt geben. Mit China als großer Unbekannter.  

Auch das polnische Militär ist in Alarmbereitschaft. Wie wird sich die Lage in den nächsten Wochen entwickeln? 

Matthias Kneip: Ich habe schon so oft vergeblich irgendetwas gehofft, was dann nicht eintrat, so dass ich vorsichtig mit Prognosen geworden bin. Klar ist, dass es am Ende nicht um das polnische Militär gehen wird. Sondern um das Eingreifen der Nato. Die Einschläge sind bereits extrem nahe an der Grenze zu Polen. Ich glaube immer noch nicht, dass Putin diese Linie überschreiten wird. Aber es reicht ja eine fehlgeleitete Rakete. Für diesen Fall wurde meines Wissens sogar eine Art heißer Draht zwischen Nato und russischem Militär hergestellt, um eine versehentliche Eskalation zu verhindern. Aber wir wissen alle, wie schnell so etwas gehen kann. Und trotzdem: Ich bleibe optimistisch, dass Polen und die Nato nicht in den Konflikt involviert werden. 

Kann es – unter der Regentschaft von Putin – je wieder normale Beziehungen auf politischer, wirtschaftlicher und kultureller Ebene mit Russland geben?  

Matthias Kneip: Das ist für mich im Moment schwer vorstellbar. Ich denke, es gibt drei Szenarien: Putin wird selbst diesen Konflikt politisch nicht überstehen, dann werden die Karten neu gemischt. Putin bleibt an der Macht, aber isoliert. Dann ist es eine Frage der Zeit, wann sein Volk aufgibt, wenn die Sanktionen nicht gelockert werden. Oder Putin lenkt ein, rettet was noch zu retten ist, und der Westen versucht, durch Gesichtswahrung den Krieg mit Russland zu beenden. Dann wird es weiterhin politische Beziehungen geben, aber mit Sicherheit unter gänzlich anderen Bedingungen. 

Zurück zur beruflichen Realität: Sie sind ja bundesweit mit Vorträgen und Lesungen unterwegs. Wie sind Sie durch die Corona-Zeit gekommen? 

Matthias Kneip: Natürlich war auch meine Arbeit von den Corona-Maßnahmen betroffen. Einige Lesungen an Schule, aber auch die eine oder andere Autorenreisen nach Polen konnte nicht stattfinden. Viele Lesungen konnte ich aber Online durchführen und meine Arbeit am Deutschen Polen-Institut gab ja auch etwas Rückhalt. Alles in allem will ich nicht klagen, freue mich aber, dass wieder viele Schullesungen und öffentliche Veranstaltungen angefragt werden und auch meine Reisen mit dem Berliner Tagesspiegel oder der Mittelbayerischen Zeitung nach Polen – hoffentlich – wieder stattfinden können. Ende Juli biete ich für letztere eine Reise nach Krakau, Breslau und Tschenstochau an ab Regensburg. 

Sie sind vor kurzem in Österreich mit einem Preis ausgezeichnet worden? Wofür haben Sie ihn erhalten und wie wichtig sind solche Ehrungen? 

Matthias Kneip: Ich habe die „Goldene Eule“ erhalten von der österreichischen Polonia-Zeitung Jupiter. Der Preis, den eigentlich vor allem Polen bekommen, wurde mir zugesprochen für mein Engagement für die polnische Kultur und Sprache in Europa. Diese Ehrungen, noch dazu, wenn sie im Ausland erteilt werden, sind immer eine wichtige Motivation, meine Arbeit weiterzumachen. Sie zeigen mir, dass meine Arbeit wahrgenommen wird, auch in anderen Ländern, und dass sie ihr Ziel, Polen, insbesondere in Deutschland, bekannter zu machen, erreicht. Ich habe mich sehr darüber gefreut und werde den Preis in Wien entgegennehmen.

Zum Autor

  • Matthias Kneip, 1969 in Regensburg geboren, studierte Germanistik, Ostslawistik und Politologie an der Universität Regensburg.  
  • Er ist Mitglied im deutschen P.E.N.-Zentrum und im Verband deutscher Schriftsteller. Seine Reportagen über Polen erscheinen u.a. bei Spiegel-Online.
  • Für sein Schaffen erhielt Kneip, der zu den bekanntesten Mittlern polnischer Kultur in Deutschland zählt, zahlreiche Auszeichnungen, so unter anderem 2011 den Kulturpreis Schlesien des Landes Niedersachsen und 2012 das Verdienstkreuz der Republik Polen, sowie die Goldene Eule 2022.
  • Zuletzt erschienen seine Bücher „111 Gründe, Polen zu lieben“ (Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf) und „Polen in Augenblicken“ (Pustet-Verlag, Regensburg). 
  • Homepage: www.matthiaskneip.de

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