Respekt vor Leistung des Wöllershof-Personals und der Polizei – Gefährlicher Patient bleibt
Weiden/Wöllershof. Der Patient (41), der seit 20 Jahren in der Psychiatrie und seit 2019 in einem Hochsicherheitstrakt in Wöllershof lebt, bleibt hier eingesperrt. Das entschied am Dienstag die Strafkammer am Landgericht Weiden. Anerkennung gab es im Prozess für die Leistung der Medbo und ihrer Mitarbeiter sowie der Polizei.

Das Gericht entsprach damit der klaren Empfehlung des psychiatrischen Gutachters Dr. Joachim Nitschke (BKH Straubing). Knifflig war der juristische Hintergrund: Die Strafkammer verhängte Paragraf 63 (Unterbringung auf unbefristete Zeit), aber auf “Bewährung mit Auflagen”. Damit kann der 41-Jährige in Wöllershof bleiben, im für ihn errichteten Anbau an das Haus 11 (psychiatrisches Pflegeheim). Er muss nicht in die Forensik nach Regensburg, wo man ihn 24-Stunden-Dauerfixieren müsste. Die Forensik kommt quasi “ambulant” ins Haus: Einmal pro Woche ist künftig die forensische Nachsorge aus Regensburg vor Ort.
So ähnlich hatte man es schon 2024 gehandhabt, als die “vorläufige Unterbringung” angeordnet war. Die Forensik Regensburg übernahm damals für vier Monate den Spezial-Patienten: Mitarbeiter aus Regensburg arbeiteten in Wöllershof. Auch die Chefärztin Dr. Kirsten Lange war im Einsatz. Sie sei zunächst “euphorisch an die Sache rangegangen” (“Da muss man doch was machen können, ein so lange untergebrachter Mensch”). Am Ende habe sie Wöllershof “demütig” wieder verlassen, bekennt die Medizinerin vor Gericht. “Wir waren sehr beeindruckt, was das Personal vor Ort da leistet.”
Als Kind von Arzt-Ehepaar adoptiert
Sie berichtet vom Background des Patienten, der im Grundschulalter von einem Ärztepaar aus dem Bayerischen Wald adoptiert worden war. Der damals Neunjährige stammte aus ärmsten Verhältnissen in Brasilien, einer kinderreichen Familie mit gewalttätigem Vater. Die Adoption endete nach wenigen Wochen im Fiasko: Der Junge war von Beginn an aufsässig, es kam zu wechselseitigen Körperverletzungen. Das Jugendamt brachte ihn in mehreren Heimen unter, zuletzt in einer WG in Regensburg. Schon als Jugendlicher wurde er straffällig, stahl, schlug, fuhr schwarz. Das erste Mal in U-Haft griff er einen Mithäftling mit einem Besteck an.
Das Jugendschöffengericht verhängte 2004 eine Haftstrafe von 2,5 Jahren und die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Acht Jahre verbrachte er in geschlossenen Einrichtungen, abwechselnd in Straubing und Regensburg, wo es zum Übergriff auf einen Krankenpfleger kam.
Das Maßregelvollzug – damals noch “sehr restriktiv” – machte ihn nicht besser. Der bekannte Psychiater Dr. Norbert Nedopil schrieb 2013: “Er ist als kranker Mensch und gefährlich gekommen und ist zu einem sehr kranken Menschen geworden, der sehr gefährlich ist.” In der Psychiatrie wurde aus der Persönlichkeitsstörung eine paranoide Schizophrenie, die inzwischen “chronifiziert” ist.
Letztlich musste auch ich zur Einschätzung kommen: Diese Bedingungen sind für einen 41-jährigen, noch so jungen Mann, nicht schön, aber es sind die optimalen für ihn. Chefärztin Dr. Kirsten Lange, Leiterin der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie in Regensburg, die 2024 nach Wöllershof abgeordnet war
Das Tragische: Nichts hilft. Der 41-Jährige gilt als austherapiert. Den Ärzten bleibt nur, seine paranoiden Schübe mit Depot-Medikamenten zu lindern. Für die Gabe dieser Spritzen ist immer die Polizei Neustadt/WN und Weiden in Wöllershof vor Ort. Bis zu acht Polizeibeamte dringen mit Schilden und Helm in die Räume des 41-Jährigen ein.
Kurz vor den verhandelten Straftaten war der 41-Jährige auf eine Drei-Monats-Spritze umgestellt worden. Die Klinik erhoffte sich Entlastung für alle Beteiligten. Das Medikament schlug aber wesentlich schlechter an. Beinahe täglich war die Polizei im Haus. Im Juni 2023 kam es erst zur Attacke mit einer Kugelschreibermine auf einen Security-Mann. Fünf Tage später gab es den massiven Angriff auf die Polizei.
300 Liegestütze – mit einem Arm
Der 41-Jährige hatte sich mit einem scharfkantigen Teil aus dem Lüftungsgitter von seiner Decke bewaffnet. Eigentlich unerklärlich: Die Decken sind drei Meter hoch. Es gibt kein Möbel, auf das man steigen könnte, um zu dem Gitter zu gelangen. “Die Not macht erfinderisch, wenn man 24 Stunden Zeit hat”, meint ein Neustädter Polizist. “Es schien, als ob er sich auf einen Kampf vorbereite.” Der 41-Jährige machte damals 300 bis 400 Liegestütze am Tag – teilweise mit einem Arm. Die Polizei setzte zur Entwaffnung einen DIK ein, einen Taser, der Pfeile mit Widerhaken abschießt. Der Patient wird unter Strom gesetzt.
Arzneimittel-Lieferengpass trifft Psychiatrie
Nicht einfacher machen die Situation die bekannten Lieferengpässe bei Arzneimitteln. So hatte die Klinik den Patienten zuletzt auf “ZypAdhera” umgestellt. “Das war sehr gut”, berichtet der Arzt. Nur: “Auch dieses Medikament ist leider vor einem Vierteljahr aus dem Handel gekommen.” Man graste sämtliche Apotheken ab, um an die letzten Vorräte zu kommen. Jetzt ist alles verbraucht, es musste wieder umgestiegen werden. “Wir müssen dann irgendwie wechseln, ob das für den Patienten verträglicher ist oder nicht.”
Der 41-Jährige bekam in der Verhandlung durchaus menschliche Züge. Eine Pflegerin weiß: “Er mag keine Blondinen mit blauen Augen.” Sie ist brünett. In lichten Momenten redet er mir ihr, beispielsweise übers Fernsehprogramm. Sie weiß, dass er Melonen mag und als Kind gern Fußball gespielt hat. Die Leitung genehmigte ihm eine Gitarre, die er gut spielte – bis er sie in einer schlechten Phase zerschlug.
Richter bei Besuch übel beschimpft
Seine unkontrollierbare Wut ist sein Verhängnis. Das hat auch das Gericht erlebt. Vorsitzender Richter Peter Werner fuhr mit Staatsanwalt Andreas Falk und Verteidiger Marc Steinsdörfer nach Wöllershof, um eine Befragung durchzuführen. Der 41-Jährige beschimpfte ihn durch den Zaun seines Gartens wüst, schrie und spuckte. Die Vernehmung wurde nach kürzester Zeit auf Anraten des Deeskalationsassistenten abgebrochen.
In den Plädoyers fordert Staatsanwalt Falk – letztlich vergeblich – die Unterbringung nach Paragraf 63. Er hält eine Art “Umwidmung” des Anbaus in eine Forensik für möglich. “Eigentlich sollte dieser Komplex mit dem Käfig in Regensburg stehen.” Die zivilrechtliche Unterbringung mit Bewährung ist aus seiner Sicht nicht ausreichend, weil die Entscheidung dann letztlich beim Betreuer liege.
Verteidiger Steinsdörfer, der sich sehr dafür einsetzte, den 41-Jährigen als Mensch wahrzunehmen, weist das als abwegig zurück: “Der Betreuer ist weit davon entfernt, aus Jux und Tollerei die Unterbringung zu beenden.” Selbst wenn, greife das Bayerische Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz. Bei einer neuen Straftat könnte die Bewährung ohnehin widerrufen werden: “Vor welchem Problem man dann steht, kann man jetzt nicht beantworten.”
Psychiatrischer Gutachter: Kenne nur drei Fälle
Prof. Dr. Joachim Nitschke, Ärztlicher Direktor des BKH Straubing, kennt aus seiner Berufskarriere nur zwei weitere Fälle, die dem des 41-Jährigen ähneln. Beide Männer waren in der Forensik untergebracht, ohne die baulichen Möglichkeiten wie in Wöllershof. “Sie beiden wurden 23 Stunden pro Tag in Weichräumen, also Gummizellen, isoliert, teilweise wochenlang fixiert.” Ein Hofgang sei nur mit Bauchgurt, Hand- und Fußfesseln und Helm als Spuckschutz möglich gewesen.
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