Schobers Rock-Kolumne: Musikalische Weltreise vom englischen Zauberwald nach Down Under

Parkstein. Er hat sie alle geholt: Konzertveranstalter Hubert Schober brachte Rio Reiser oder Manfred Man nach Weiden. Der gelernte Sozialpädagoge veranstaltete international erfolgreiche Shows wie die Circus-Produktion Mother Africa. Für OberpfalzECHO rezensiert er musikalische Neuerscheinungen und Evergreens.

Drei seiner neuen Lieblinge: Baltsers, Dawson und Hazlett. Collage: jrh

„Fuck, I Fell In Love“ heißt das erste Lied auf Martin Baltsers neuer Platte, „Pocket Poetry“ (The Orchard) – und handelt (natürlich) davon, wie beschissen sich die Liebe anfühlen kann. Der Künstler aus Århus lebt sein schwules Leben in seinen Songs aus, sammelte Notizen bei Spaziergängen in der dänischen Natur und ließ all dies in seine Prosa einfließen.

Die Musik dazu schwelgt im Indie-Folk eines Bon Iver oder Ben Howard, erinnert in seinen opulenten, orchestrierten Momenten auch an Künstler wie Sufjan Stevens, Woodkid oder Sigur Rós. Mit diesem Werk manifestiert sich der mühelos vom Falsett in den Bariton wechselnde Künstler als einer der Sprachrohre der LGTBQ-Community – und das ganz ohne Agitation, vielmehr in seiner sanften, zurückhaltenden, angenehmen Art.

Magic-Mushroom-Mucke

Viel spazieren geht vielleicht auch Richard Dawson. Vorwiegend wohl in verwunschenen, englischen Wäldern, über weite fette Wiesen wo der Psilocybin-Pilz wächst und gedeiht. Da kann einem schon mal ganz anders werden und ein Eröffnungssong auf über 40-Minuten Länge entfleuchen, man vergisst ja bekanntlich gerne mal die Zeit beim Magic-Mushroom-Dinner.

„The Ruby Chord“ (Domino) ist eine verwunschene Reise in ein Science-Fiction-Parallel-Universum, das der Künstler aus schrägen Barock-Folk-Sedimenten zusammenbaut. Ein sanft-versponnener Catweazle, ein Zauberer von Oz, der die Liedkunst eines Robert Wyatt und Roy Harper mit den überspringenden Ideen von Gentle Giant kreuzt und in seinem eigenen, hermetisch-verträumten Kosmos musiziert.

Erdiges Folk-Rocken und -Poppen

Wer lieber im Hier und Jetzt träumen, aber eben doch auch Träumen möchte, könnte sich mal am Œuvre des Dresdners René Ahlig und seiner Kapelle „No King. No Crown. versuchen. Die Folk-rocken und -poppen zwar auch, aber deutlich erdiger und weniger geistesabwesend und vernebelt wie der Kollege aus Great Britain. Dabei soll es in der sächsischen Schweiz neben Radeberger doch auch das eine oder andere psychoaktive Schwammerl geben.

„We Made Ourselves A Home“ (The Theory Behind) plündert eher in den Gefilden wie erstgenannter Kollege und pflegt den gediegenen, Synthesizer-unterfütterten Folk-Pop mit Geschichten zu Mutter Natur, eigenen Ängsten und Hoffnungen. Kammer-Pop aus Dresden, auch das ist möglich – und im Falle dieses Trios auch richtig gut und international konkurrenzfähig geworden. Chapeau. 

Beatleskes aus Cardiff

Nach drei Leisetretern wenden wir uns doch mal wieder der richtig guten, beschwingten, unbekümmerten, einfach nur geilen Popmusik ohne Wenn und Aber zu. Ein paar Jungs aus Cardiff nennen sich CVC (oder Church Village Collective) und halten die hohe Fahne der Beatles hoch, besser gesagt, bedienen sich derer großen Reihe an Nachfahren und -eiferern, reihen sich nahtlos in diese Armada der Besten ihrer Zunft ein. Unbedingt zu benennen sind in diesem Zusammenhang das Electric Light Orchestra, Supertramp, Harry Nilsson, 10cc, die Beach Boys in ihrer Spätphase und auch die lustigen Split Enz aus Neuseeland.

Melodien zum Verlieben (vorausgesetzt man liebt die 70er Popmusik), clever gesetzte Solos, witzig-intelligente Arrangements, großartige Gesangseinlagen, hier passt einfach alles zusammen. Ein bahnbrechendes Debüt wie einst „Please Please Me“ von den Beatles oder das der Stone Roses, Oasis oder Ocean Colour Scene. Das neue Liverpool heißt jedenfalls Cardiff und wir rufen schon mal ganz selbstbewusst im Jänner die Neuentdeckung des Jahres aus.

Dream-Pop aus Berlin

Ebenfalls ein beachtliches Debüt legt die in Berlin lebende Kosmopolitin Mynolia vor. Die weit gereiste, junge Singer/Songwriterin hat sich die Inspirationen ihres Musikstiles auf Reisen durch diverse Kontinente geholt, ohne daraus gleich ein World Music Cocktail gemixt zu haben. „All Things Heavy“ (PIAS) bewegt sich eher stringent und ohne große Aufreger in psychedelisch angehauchten Dream-Pop- und Folk-Noir-Gewässern.

Würde man Mazzy Star mit Joni Mitchell kreuzen, man hätte zumindest nicht alles falsch gemacht. Und nimmt man dann noch eine Kate Bush unplugged hinzu, wird langsam ein Schuh daraus. Man kann der Platte vorwerfen, etwas eintönig oder einlullend zu sein, aber nicht umsonst haben wir es hier ja mit allerfeinstem, spinnennetzzartem Dream-Pop zu tun.

Leisetreter aus Down Under

Was Frau kann, kann Mann schon lange, nämlich leisetreten. Hazlett nennt sich ein ebenfalls weit gereister Singer/Songwriter, den es von Down Under nach Stockholm verschlagen hat. Auf „Bloom Mountain“ (Nettwerk) pflegt er einen gediegenen, soften Folk-Pop der von Größen seiner Zunft inspiriert (Bonnie Prince Billy, Bon Iver & Konsorten) Richtung hymnischer Schaumschläger wie den Kollegen von Mumford & Sons oder den Fleet Foxes schielt.

Die Vorgänger-Singles konnten damit immerhin Streamingzahlen im mittlerem, einstelligem Millionenbereich generieren, was ob der Unaufgeregtheit dieser Songs doch eine ganze Menge ist. Aber dass ein ehrlicher Simplizissimus seine Früchte trägt hat uns zuletzt ja ein gewisser Ed Sheeran bewiesen.

Schobers unglaubliches Lexikon hochtrabender
Rock-Pop-Punk-Begriffe

Art-Pop: Hat seine Ursprünge nicht etwa im dritten Studioalbum von Lady Gaga. Als in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Grenzen zwischen Kunst und Popmusik verschwimmen, und John Lennon, Syd Barrett, Pete Townshend, Brian Eno und Bryan Ferry beginnen, sich von ihrem früheren Kunstschulstudium inspirieren zu lassen, ist eine Ausprägung des Art-Pop geboren. In den USA wird er von Bob Dylan und der Beat Generation beeinflusst und durch die Singer-Songwriter-Bewegung auch literarisch überformt. Die psychedelische Bewegung der 1960er Jahre bringt Kunst und Kommerz zusammen und stellt die Frage, was es bedeutet, Künstler in einem Massenmedium zu sein. In den frühen 1970er Jahre wird Progressive/Art Rock der kommerziell erfolgreichste Sound Großbritanniens.

Bossa Nova: Stilrichtung in der brasilianischen Musik und ein Tanzstil. Ursprünglich der Name einer Bewegung, die in den späten 1950er Jahren in Brasilien entstand. Als Geburtsort gilt Beco das Garrafas an der Copacabana. In einem sehr modernen gesellschaftlichen Klima wurde in der gebildeten Mittelschicht mit neuen Formen und Ausdrucksweisen in Musik und Film experimentiert. Als erster Bossa-Nova-Song gilt Chega de Saudade, geschrieben von Antônio Carlos Jobim (Musik) und Vinícius de Moraes (Text) und bekannt geworden in der Interpretation von João Gilberto (Single 1958 und anschließend gleichnamiges Album). Den weltweiten Durchbruch erzielte die Musik mit der Verfilmung Orfeu Negro von Marcel Camus (1958-59). Die Orpheus-Sage findet dort vor dem Hintergrund des brasilianischen Karnevals statt. Im Soundtrack kontrastiert eine Mischung aus schnellen Sambarhythmen neben sparsam arrangierten Gitarrenstücken von Luiz Bonfá und Antônio Carlos Jobim.

Call and Response: Ein musikalisches Muster, das auf dem Ruf (Call) eines Vorsängers und der darauf folgenden Antwort (Response) des Chors basiert. Dieses kurzphasige Responsorium gilt in weiten Teilen der musikwissenschaftlichen Literatur als ein charakteristisches musikalisches Merkmal traditioneller afrikanischer Musik und gehört zudem „als formbildendes Prinzip zu den elementaren Gestaltungsmitteln afro-amerikanischer Musik.“ Dieses Prinzip wurde in Nord- und Lateinamerika in verschiedenen afroamerikanischen Musikgenres von der vokalen auf die Instrumentalmusik übertragen, etwa auf Trommeln in der brasilianischen Musik.

DIY-Szene: Do it yourself, abgekürzt DIY, ist eine Phrase aus dem Englischen und bedeutet übersetzt Mach es selbst. Im musischen Sinn versteht man darunter das Konzept eines Sets von ästhetisch-ethischen Grundsätzen alternativer Musik.

Dub-Reggae: Ursprüngliche Reggae-Songs werden als Rohmaterial verwendet und mit Effekten versehen neu abgemischt. Eine Machart, die bereits in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren auf Jamaika entstand. Erlebt eine Wiedergeburt im Bereich elektronischer Tanzmusik.

Elektro-Boogie: Auch Electric Boogaloo, nicht zu verwechseln mit Onkel Martins Boogie-Woogie auf der Hammond-Orgel, ist eine um 1975 in Fresno (Kalifornien) entwickelte Tanzrichtung, die unabhängig in New York Blüten treibt und ein Element des Funk und des Streetdance ist. Die Old School des Hip-Hop-Tanzes, wird auf Robot reduziert, weil das Imitieren eines Roboters Teil der Performance ist. Eng verwandt ist der Electric Boogie mit Popping, weist aber auch signifikante eigene Bewegungen auf, wie etwa die Illusion von Wellen, die durch den Körper fließen (was häufig mit Popping gemischt wurde, um den „Electric Boogaloo“-Effekt zu verstärken).

Garagen-Psychedelic: Unterabteilung des Garage-Rock, Garage Punk oder Sixties Punk. Mit den letzteren wird ein nachträglicher Bezug zum Punkrock der 1970er Jahre hergestellt. Weitere alternative Bezeichnungen sind Freakbeat für überwiegend britische Bands sowie Acid Rock für die psychedelische Phase.

Garagen-Trash: Sind keineswegs die alten, verrosteten Benzinkanister, die im Zeitalter der E-Mobilität überflüssig sind, und die vergessenen Reste von Entfroster fürs Kühlwasser, also das Sammelsurium, das so in der Garage rumliegt, sondern ein Musikstil abgefuckter Punks, die keinen besseren Übungsraum als die Garage des Redneck-Dads am Stadtrand von Sydney finden, wo sich beispielsweise die Hard-Ons gründeten. The Trashwomen aus San Francisco beweisen, dass auch Frauen zu infernalischen Punk-Kakophonien in der Lage sind.

Glam-Rock: Ein weiteres Subgenre der Rockmusik, bei der sowohl die Musik als auch der Bühnenauftritt sehr opulent ausfallen. Glam Rock ist Anfang der 1970er Jahre besonders in Great Britain sehr populär – als Kontrapunkt zum Artrock von Pink Floyd, King Crimson, Yes oder Genesis. Erlebt in den 1980ern als Glam Metal eine Renaissance.

Grunge: Rockmusik-Genre und Subkultur, die klingt, wie sie heißt – zu deutsch „Schmuddel“, „Dreck“. Hervorgebracht durch die US-Undergroundbewegung in den 1990er-Jahren. Grunge, auch als Seattle-Sound, wird als Vermischung von Punkrock, Underground-Garagenrock und Hardrock beschrieben. Die frühe Grunge-Bewegung drehte sich um Seattles unabhängiges Plattenlabel Sub Pop und die Underground-Musikszene der Region.

Post-Punk: Taucht erstmals 1977 in dem britischen Musikmagazin Sounds auf, um die schrägen Töne von Siouxsie and the Banshees zu beschreiben. 1980 beschreibt der Kritiker Greil Marcus in einem Rolling-Stone-Artikel Bands wie Gang of FourThe Raincoats oder Essential Logic als „britische Postpunk Pop-Avantgarde“. Post-Punk gilt als experimentierfreudig und bunte Mischung aus Krautrock, des Dub, Disco und elektronischer Musik.

Proto-Punk: Adelstitel für die Wegbereiter des Punk und Erfinder minimalistischer Gitarren-Riffs wie The Velvet UndergroundMC5The DictatorsThe Stooges, die New York DollsThe MonksMott the Hoople oder The Sonics – bereits in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre.

Sleaze-Rock: „Sleazy“ heißt so viel wie „schäbig“ assoziiert auch mit Abschaum. Sleaze Rock leitet sich vom Image der Sleaze-Rock-Bands ab, die eine rebellische Underdog-Mentalität pflegen und sich mit Tätowierungen, abgerissenen Lederjacken, zerrissenen Jeans und Netzhemdenvom Glam Metal abgrenzen. Dem Sleazerock wird vorgeworfen, altes Bier in neuen Fässern zu sein. Bands wie Guns N’ Roses, L.A. Guns oder Faster Pussycat vermischen Hardrock mit Elementen des Bluesrock, Metal, Garage Rock und Punkrock.

Wave: Kurzwort für New Wave, eine Dachbezeichnung für mehrere, mit der New Wave zusammenhängende Teilgebiete der Musik, die bspw. als Cold Wave, Dark Wave, Doom Wave, Electro Wave, Ethereal Wave und Gothic Wave bezeichnet werden. Seit der zweiten Hälfte der 1980er wird von der Musikpresse der Ausdruck „Post-Wave“ genutzt. Dieser bezeichnet das musikalische Output und die kulturellen Neuerungen nach dem Ausklingen der Wave-Ära. Da sich die Wave-Bewegung allerdings in verschiedene Strömungen und chronologisch voneinander abweichende Etappen gliedert (z. B. New Wave, Electro Wave, Cold Wave und Neue Deutsche Welle), erweist es sich häufig als schwierig, Post-Wave zeitlich zu erfassen. Grob umrissen wird dabei jedoch die Zeit ab den späten 1980ern mit dem Aufleben von Musikrichtungen wie Madchester, Shoegazing, Acid House, Techno, Grunge oder Britpop in Europa.

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