Schobers Rock-Kolumne: Songs für Krimi-Mimis, von House-Päpsten und Volksheiligen

Parkstein. Er hat sie alle geholt: Konzertveranstalter Hubert Schober brachte Rio Reiser oder Manfred Man nach Weiden. Der gelernte Sozialpädagoge veranstaltete international erfolgreiche Shows wie die Circus-Produktion Mother Africa. Für OberpfalzECHO rezensiert er musikalische Neuerscheinungen und Evergreens.

Schobers Musik-Tipps für April: Von gerockten Krimis bis afrikanischen Volksheiligen. Collage: jrh

Das Freisinger Prog-Rock-Kollektiv, RPWL macht mal wieder das, was Kapellen des Genres gerne tun: Sie schreiben ein Konzept-Album. Keine Fabelwesen oder Science-Fiction Abenteuer, die derzeit bei vielen Musikern en vogue sind, die Jungs haben sich ganz zeitgemäß, von den vielen Crime-Podcasts inspirieren lassen und handeln in den sechs bis zu zwölf Minuten langen Songs echte Kriminalfälle ab.

Ist inhaltlich gesehen ein Novum, musikalisch greift man wie immer tief in die Prog-Rock-Schubladen und wildert eklektisch zwischen Yes, King Crimson, Eloy und Pink Floyd, um hier mal die Hauptverdächtigen zu benennen. Dass es die Band mit dieser Mischung zu einem weltweit gefragten Act macht, zeugt von der Qualität ihres Schaffens, sodass man „Crime Scene“ (Soulfood) guten Gewissens im Regal neben genannte Vertreter des Genres einordnen darf, ohne rot zu werden. Perfektes Handwerk paart sich mit überbordendem Ideenreichtum.

Art-Rock vom Radiohead-Drummer

So ein wenig Richtung Prog-Rock zielte einst auch Radiohead, nur nannte man das hier passender Art-Rock. Mit kitschigem und überkandideltem Bombast von Kapellen wie ELP wollte man auf keinen Fall in einen Topf geworfen werden. Als Band übt man sich in vornehmer Zurückhaltung, dafür glänzen die Mitglieder immer wieder mit solistischen Glanztaten. Drummer Philip Selway hat jetzt sein drittes Opus vorgelegt und entpuppt sich dabei einmal mehr als formidabler, wenn auch ultra-sanfter Bänkelsänger.

„Strange Dance“ (PIAS) ist voll von anrührenden, angenehm versponnenen Balladen und Midtempo-Songs. Dass hier ein Schlagwerker Urheber ist, hört man nicht. Keine Polyrhythmik, dafür gegen den Strich gebürstete Streicher, Brüche, wo man sie nicht erwartet, flächig-mäandernde Synties, präparierte Klaviere, viel Moll, auch mal ein Bläser und ein wenig Elektronik erschaffen fließende Art-Pop-Melodien, die ein wenig an Pete Sinfields einziges Werk, „Still“ erinnern – und somit die Klammer zum Prog-Rock-Ansatz schließen.

Mythologisches vom französischen House-Papst

Griechische Sagen und Legenden waren in der Hochphase des Prog-Rock in den 70ern – ihr seht, wir bleiben weiterhin beim Thema – eine gern bespielte Thematik (siehe Aphrodite’s Child). Dass sich dieser jetzt ausgerechnet Thomas Bangalter, die eine Hälfte des French-House-Duos Daft Punk angenommen hat, ist mehr als verwunderlich.

Zusammen mit dem Orchestre National Bordeaux Aquitane unter der Leitung von Romain Dumas setzt er auf „Mythologies“ (Warner Classics) 23 Szenen eines imaginären Balletts in abwechslungsreiche wie farbenfrohe Kompositionen um, die elektronische Einflüsse eher erahnen lassen, als dass man sie wahrnimmt.

Bosnische Experimental-Cellistin

Als Orchester-Cellistin wäre Lana Kostic wahrscheinlich der Punk im Ensemble. Unter dem Pseudonym Lakiko experimentiert die Bosnierin mit ihrem Instrument, koppelt es auch schon mal mit einem EEG-Gerät und lässt so ihre Hirnströme mit in die Komposition einfließen.

Wer wissen will, wie so etwas im Zusammenspiel mit einer kristallklaren, verwehten Feen-Stimme, ein bisschen bosnischer Volksmusik und zeitgenössischer Sprachperformance klingt, sollte bei „What To Do, How To Live“ (Tourbo Music) zugreifen. Deutlich Pop-orientierter würde sich als Alternative das Penguin Cafe Orchestra anbieten.

Filigraner Deathcrash

Wenden wir uns nach all dem filigranem Klassik-Klang erdigeren Tönen zu. Deathcrash, der Name assoziiert sofort wüstesten Brutal-Metal, dabei eröffnet „Pirouette“ so zart wie der Song-Titel klingt, ganz harmonisch mit extrem limitierten und reduzierten Gitarren-Akkorden der Felt-Schule – Sänger und Gitarrist Tiernan Banks flüstert mehr als er singt.

„Empty Heavy“ startet ähnlich und man will es sich schon gemütlich zum Mittagsschläfchen auf der Couch einrichten, bis plötzlich ein kurzes aber heftiges Doom-Donnerwetter einsetzt. Man kann den Jungs einfach nicht trauen, gerade noch slowester Slow Core, schon kommt die Axt geflogen. „Less“ (Cargo) ist eine Kneipp-Kur in Sachen Post-Rock.

Postume Hommage an Afrikas Poplegende

Gedenken wir zum Abschluss noch kurz einem der Volksheiligen und weltweiten Botschafter afrikanischer Pop-Musik. Ali Farka Touré, der „Bluesman of Africa“ und einflussreiche Gitarrist verstarb bereits 2006. Posthum wurde er für sein Album „Ali & Toumani” noch mit einem Grammy ausgezeichnet (was auch nicht alle Tage passiert).

„Voyageur“ (World Circuit Records), um das es hier geht, ist eine einzigartige Sammlung echter Perlen, die zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten innerhalb von Alis glanzvoller Karriere aufgezeichnet wurden. Das von Nick Gold zusammen mit Alis Sohn Vieux Farka Touré produzierte Album enthält unter anderem drei Tracks, auf dem auch die Sängerin und malischer Superstar Oumou Sangaré zu hören ist.

Schobers unglaubliches Lexikon hochtrabender
Rock-Pop-Punk-Begriffe

Art-Pop: Hat seine Ursprünge nicht etwa im dritten Studioalbum von Lady Gaga. Als in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Grenzen zwischen Kunst und Popmusik verschwimmen, und John Lennon, Syd Barrett, Pete Townshend, Brian Eno und Bryan Ferry beginnen, sich von ihrem früheren Kunstschulstudium inspirieren zu lassen, ist eine Ausprägung des Art-Pop geboren. In den USA wird er von Bob Dylan und der Beat Generation beeinflusst und durch die Singer-Songwriter-Bewegung auch literarisch überformt. Die psychedelische Bewegung der 1960er Jahre bringt Kunst und Kommerz zusammen und stellt die Frage, was es bedeutet, Künstler in einem Massenmedium zu sein. In den frühen 1970er Jahre wird Progressive/Art Rock der kommerziell erfolgreichste Sound Großbritanniens.

Bossa Nova: Stilrichtung in der brasilianischen Musik und ein Tanzstil. Ursprünglich der Name einer Bewegung, die in den späten 1950er Jahren in Brasilien entstand. Als Geburtsort gilt Beco das Garrafas an der Copacabana. In einem sehr modernen gesellschaftlichen Klima wurde in der gebildeten Mittelschicht mit neuen Formen und Ausdrucksweisen in Musik und Film experimentiert. Als erster Bossa-Nova-Song gilt Chega de Saudade, geschrieben von Antônio Carlos Jobim (Musik) und Vinícius de Moraes (Text) und bekannt geworden in der Interpretation von João Gilberto (Single 1958 und anschließend gleichnamiges Album). Den weltweiten Durchbruch erzielte die Musik mit der Verfilmung Orfeu Negro von Marcel Camus (1958-59). Die Orpheus-Sage findet dort vor dem Hintergrund des brasilianischen Karnevals statt. Im Soundtrack kontrastiert eine Mischung aus schnellen Sambarhythmen neben sparsam arrangierten Gitarrenstücken von Luiz Bonfá und Antônio Carlos Jobim.

Call and Response: Ein musikalisches Muster, das auf dem Ruf (Call) eines Vorsängers und der darauf folgenden Antwort (Response) des Chors basiert. Dieses kurzphasige Responsorium gilt in weiten Teilen der musikwissenschaftlichen Literatur als ein charakteristisches musikalisches Merkmal traditioneller afrikanischer Musik und gehört zudem „als formbildendes Prinzip zu den elementaren Gestaltungsmitteln afro-amerikanischer Musik.“ Dieses Prinzip wurde in Nord- und Lateinamerika in verschiedenen afroamerikanischen Musikgenres von der vokalen auf die Instrumentalmusik übertragen, etwa auf Trommeln in der brasilianischen Musik.

DIY-Szene: Do it yourself, abgekürzt DIY, ist eine Phrase aus dem Englischen und bedeutet übersetzt Mach es selbst. Im musischen Sinn versteht man darunter das Konzept eines Sets von ästhetisch-ethischen Grundsätzen alternativer Musik.

Dub-Reggae: Ursprüngliche Reggae-Songs werden als Rohmaterial verwendet und mit Effekten versehen neu abgemischt. Eine Machart, die bereits in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren auf Jamaika entstand. Erlebt eine Wiedergeburt im Bereich elektronischer Tanzmusik.

Elektro-Boogie: Auch Electric Boogaloo, nicht zu verwechseln mit Onkel Martins Boogie-Woogie auf der Hammond-Orgel, ist eine um 1975 in Fresno (Kalifornien) entwickelte Tanzrichtung, die unabhängig in New York Blüten treibt und ein Element des Funk und des Streetdance ist. Die Old School des Hip-Hop-Tanzes, wird auf Robot reduziert, weil das Imitieren eines Roboters Teil der Performance ist. Eng verwandt ist der Electric Boogie mit Popping, weist aber auch signifikante eigene Bewegungen auf, wie etwa die Illusion von Wellen, die durch den Körper fließen (was häufig mit Popping gemischt wurde, um den „Electric Boogaloo“-Effekt zu verstärken).

Garagen-Psychedelic: Unterabteilung des Garage-Rock, Garage Punk oder Sixties Punk. Mit den letzteren wird ein nachträglicher Bezug zum Punkrock der 1970er Jahre hergestellt. Weitere alternative Bezeichnungen sind Freakbeat für überwiegend britische Bands sowie Acid Rock für die psychedelische Phase.

Garagen-Trash: Sind keineswegs die alten, verrosteten Benzinkanister, die im Zeitalter der E-Mobilität überflüssig sind, und die vergessenen Reste von Entfroster fürs Kühlwasser, also das Sammelsurium, das so in der Garage rumliegt, sondern ein Musikstil abgefuckter Punks, die keinen besseren Übungsraum als die Garage des Redneck-Dads am Stadtrand von Sydney finden, wo sich beispielsweise die Hard-Ons gründeten. The Trashwomen aus San Francisco beweisen, dass auch Frauen zu infernalischen Punk-Kakophonien in der Lage sind.

Glam-Rock: Ein weiteres Subgenre der Rockmusik, bei der sowohl die Musik als auch der Bühnenauftritt sehr opulent ausfallen. Glam Rock ist Anfang der 1970er Jahre besonders in Great Britain sehr populär – als Kontrapunkt zum Artrock von Pink Floyd, King Crimson, Yes oder Genesis. Erlebt in den 1980ern als Glam Metal eine Renaissance.

Grunge: Rockmusik-Genre und Subkultur, die klingt, wie sie heißt – zu deutsch „Schmuddel“, „Dreck“. Hervorgebracht durch die US-Undergroundbewegung in den 1990er-Jahren. Grunge, auch als Seattle-Sound, wird als Vermischung von Punkrock, Underground-Garagenrock und Hardrock beschrieben. Die frühe Grunge-Bewegung drehte sich um Seattles unabhängiges Plattenlabel Sub Pop und die Underground-Musikszene der Region.

Post-Punk: Taucht erstmals 1977 in dem britischen Musikmagazin Sounds auf, um die schrägen Töne von Siouxsie and the Banshees zu beschreiben. 1980 beschreibt der Kritiker Greil Marcus in einem Rolling-Stone-Artikel Bands wie Gang of FourThe Raincoats oder Essential Logic als „britische Postpunk Pop-Avantgarde“. Post-Punk gilt als experimentierfreudig und bunte Mischung aus Krautrock, des Dub, Disco und elektronischer Musik.

Progressive Rock (auch Prog oder Progrock): Entstand Ende der 1960er Jahre, als Musiker Rockmusik um stilistische Merkmale anderer musikalischer Gattungen ergänzten. Dabei wurden Kompositionsweisen und Harmonik aus der abendländischen Klassik einbezogen. Die Bands griffen auch auf Einflüsse aus Jazz (Jazzrock) und nicht-westlichen Formen zurück (Weltmusik). Der Musiker Keith Emerson beschreibt das von ihm mitgestaltete Genre als durch ein fortschreitendes Spiel mit musikalischen Ideen geprägt: „Es ist Musik, die fortschreitet. Sie nimmt eine Idee und entwickelt sie, statt sie einfach zu wiederholen. Pop-Songs bestehen aus Wiederholung, Riffs und Einfachheit. Progressive Musik nimmt ein Riff, kehrt sein Inneres nach außen, stellt es auf den Kopf, spielt es dann wieder andersherum und erkundet so sein Potenzial.“

Proto-Punk: Adelstitel für die Wegbereiter des Punk und Erfinder minimalistischer Gitarren-Riffs wie The Velvet UndergroundMC5The DictatorsThe Stooges, die New York DollsThe MonksMott the Hoople oder The Sonics – bereits in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre.

Sleaze-Rock: „Sleazy“ heißt so viel wie „schäbig“ assoziiert auch mit Abschaum. Sleaze Rock leitet sich vom Image der Sleaze-Rock-Bands ab, die eine rebellische Underdog-Mentalität pflegen und sich mit Tätowierungen, abgerissenen Lederjacken, zerrissenen Jeans und Netzhemdenvom Glam Metal abgrenzen. Dem Sleazerock wird vorgeworfen, altes Bier in neuen Fässern zu sein. Bands wie Guns N’ Roses, L.A. Guns oder Faster Pussycat vermischen Hardrock mit Elementen des Bluesrock, Metal, Garage Rock und Punkrock.

Wave: Kurzwort für New Wave, eine Dachbezeichnung für mehrere, mit der New Wave zusammenhängende Teilgebiete der Musik, die bspw. als Cold Wave, Dark Wave, Doom Wave, Electro Wave, Ethereal Wave und Gothic Wave bezeichnet werden. Seit der zweiten Hälfte der 1980er wird von der Musikpresse der Ausdruck „Post-Wave“ genutzt. Dieser bezeichnet das musikalische Output und die kulturellen Neuerungen nach dem Ausklingen der Wave-Ära. Da sich die Wave-Bewegung allerdings in verschiedene Strömungen und chronologisch voneinander abweichende Etappen gliedert (z. B. New Wave, Electro Wave, Cold Wave und Neue Deutsche Welle), erweist es sich häufig als schwierig, Post-Wave zeitlich zu erfassen. Grob umrissen wird dabei jedoch die Zeit ab den späten 1980ern mit dem Aufleben von Musikrichtungen wie Madchester, Shoegazing, Acid House, Techno, Grunge oder Britpop in Europa.

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