Schobers Rock Kolumne: Unbekümmerte Singdrosseln zum Frühling

Nordoberpfalz. Das große Zaudern & Hadern, der Weltschmerz, die Beziehungskeule, Liebesleid & Seelenqualen sind die wohl am meisten postulierten Themen der Pop-Musik, zur Hochzeit des Frühlings mischen sich aber auch ein paar unbekümmerte Singdrosseln unter den Hieronymus Bosch-Chor.

Fat White Family / Emily Barker / Winona Oak / Oluma/ Iron & Wine / John Smith
Fat White Family / Emily Barker / Winona Oak / Oluma/ Iron Wine / John Smith. Collage: Hubert Schober

Was den Amerikanern die „White Saxon-Anglo Protestants“ sind, sind den Engländern die Fat White Family.

Lustige bis kuriose Bandnamen gibt es ja zuhauf in der Popgeschichte, man denke z.B. an die „Mountain Goats“ oder „I Dont Know How But They Found Me“. Die Fat White Family mag ich nicht nur wegen ihres schrägen Namens, sondernd vor allem wegen ihres Einfallreichtums und dem damit hergehendem Stil-Mix. „Forgiveness Is Yours“ (Domino) heißt das aktuelle Werk und es verwirrt einmal mehr auf angenehmste Weise.

Diverse Holzbläser experimentieren auf „The Archivist“ zu einer Spoken-Word-Performance, durch das drängende, an Wall Of Voodoo erinnernde „Visions Of Pain“ pirscht eine Klarinette, „Today You Become Man“ weckt wegen seines quirligen Rhythmus und den Tribal-Gesängen Erinnerungen an die Kollaboration Brian Eno/David Byrne „My Life in The Bush Of Ghosts“, wogegen das folgende „Religion For One“ eine breit ausgewalzte, mit Chören üppig ausgestattet Ballade ist. Mit Post-Punk hat das nur mehr am Rande zu tun, es ist eher die anarchistische Haltung, die hier transportiert wird, musikalisch bewegt man sich auf einem frei assoziierenden, eklektischen Trip von den 80ern bis ins hier & jetzt.

Verlustmanagement mit sanfter Stimme

Die Sinne geschärft oder vielleicht sogar etwas überstrapaziert, kann man sich wunderbar auf „Fragile As Humans“ (Bertus), das neue Album von Emily Barker einlassen. Ihre sanfte, hohe Stimme wirkt nach der Tour de Force der fetten Familie wie Labsal auf geschundene Ohren. Aufgenommen in den geschichtsträchtigen The Wool Hall Tonstudios in Beckington (u.a. The Smiths, Pretenders, Van Morrison und Joni Mitchell) schüttet die Australierin ein Füllhorn an lieblichen Folk-Melodien aus.

Die können freilich nicht ganz darüber hinwegtäuschen, dass es auf diesem Album auch viel um Verlust geht, hat die Künstlerin doch während der Aufnahmen eine Fehlgeburt erlitten. Emily Barker hat dieses Unglück aber angenommen und daraus Kraft gezogen den Widrigkeiten des Lebens zu trotzen und positiv und zuversichtlich in die Zukunft zu blicken. Produzent Luke Potashnick hat dazu eine gesunde Mischung aus Minimalismus und orchestraler Opulenz gefunden, wobei diese Lieder auch nur mit Stimme und Gitarre funktionieren.

Verlustmanagement mit sanfter Stimme, Teil 2 (aber jetzt in fett)

Von einem Verlust geprägt sich auch die Lieder der schwedischen Singer/Songwriterin Winona Oak, die ihre Mutter viel zu früh verlor, „With Or Without You“ macht das auf schmerzliche Weise deutlich. Doch auch auf ihrem Album, „Void“ (Nettwerk) gibt es (natürlich) Hoffnung, ist ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Wie auch Emily Barker findet die attraktive Skandinavierin eine atmosphärische Balance zwischen zarten, rein akustischen Balladen und üppigeren Arrangements, wo Synthesizer, künstliche Streicher, Chöre und Gitarren ein jubilierendes Fest feiern. Kürzlich hat sie übrigens mit Robin Schulz und Topic den Song „One by One“ aufgenommen, der bereits für ein wenig Furor gesorgt hatte, dieses Album sollte die Musikerin weiterhin fest im Pop-Biz verankern.

Mit einem Kochkurs den Alltag vergessen

So, genug gelitten und Verluste verarbeitet, das Leben ist doch viel zu schön, um immer nur Trübsal zu blasen und Krisen zu bewältigen. Wie wäre es daher mal mit einem Kochkurs?! Da trifft man nette Leute, erweitert seinen Horizont und kann den Alltag wunderbar in die Ecke stellen. Darum heißt das Debüt-Album der Berliner Formation Oluma auch „Cooking Time“ (One World Rec) und gekocht wird auf mittlerer Flamme eine Bouillabaisse aus afrikanischen und südamerikanischen Zutaten, die recht europäisch mit einer Brise Jazz und Pop abgeschmeckt werden. Dabei sind die allzeit präsenten Bläser das berühmte Salz in der Suppe, denn die geben dem ganzen Pfeffer, wohingegen die Tasten gerne improvisierend die grundierende Beilage geben. Gesungen wird nicht, es gibt ja wie gesagt auch nichts, was verarbeitet werden müsste. Die Sprache dieser neunköpfigen Kapelle ist universell und heißt Groove.

Meisterliches aus Eisen & Wein

Ein Groove-Weltmeister ist Sam Beam sicherlich nicht, auch ist sein sanfter, dahingehauchter Gesang nicht angetan das Tanzbein zu krümmen und auf früheren Werken war der Grundton auch recht melancholisch, wurde die dunkle Seite des Mondes behandelt. Inzwischen scheint er vorwiegend den Frieden mit sich selbst gemacht zu haben, „Light Verse“ (Cargo), das neue Album seines Projekts Iron & Wine blickt zuversichtlich in die Zukunft, die wonnigen Melodien tun es auch.

„Anyone’s Game“ ist zum Beispiel so ein sonniger Gute-Laune-Song im mittleren Tempo, der Lust macht, einfach mal über die Frühlingswiesen zu springen. Das Duett mit Fiona Apple auf “All In Good Time“ wird zwar nicht in die Geschichte der berührendsten Duette der Welt eingehen – hier tummeln sich schon Lee Hazelwood & Nancy Sinatra, Nick Cave & Kylie Minogue oder Leonard Cohen & Judy Collins – der Song ist aber trotzdem wunderschön. Sehr gelungen auch die vielen Orchester-Arrangements, aber auch zarte, atmosphärisch dichte Balladen wie „Taken By Surprise“ mit Besen-Schlagzeug und gezupfte Gitarre.

Solides Handwerk eines Unaufgeregten

Noch ein Mensch und Musiker, der Singer/Songwriter und Gitarren virtuose John Smith hat gelernt, das Leben zu schätzen und zu lieben und so ist „The Living Kind“ (Thirty Tigers) ebenso ein lebensbejahendes, positives und euphorisches Werk geworden. Das heißt jetzt nicht, dass Smith einen Schlager nach dem anderen raushaut und mit Pauken & Trompeten die Engel anheult, der Mann ist einer der ruhigen, bedächtigen Töne und darum wurde dieses Album auch an einem Stück unter der umsichtigen wie behutsamen Regie von Joe Henry aufgenommen. Es klingt wie eine Symbiose aus „Spirit of Eden“, dem Talk Talk Klassiker von 1988, John Martyns „Solid Air“ und Joni Mitchells elektro-akustischer Odyssee „Hejira“. Neugierig geworden?

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