Schobers Rock-Kolumne: Viel Blues auch posthum, Tennis-Pop und eine abhebende Norwegerin
Parkstein. Er hat sie alle geholt: Konzertveranstalter Hubert Schober brachte Rio Reiser oder Manfred Man nach Weiden. Der gelernte Sozialpädagoge veranstaltete international erfolgreiche Shows wie die Circus-Produktion Mother Africa. Für OberpfalzECHO rezensiert er musikalische Neuerscheinungen und Evergreens.
S.O.S. ist nicht nur das internationale Seenotsignal, „Save Our Souls“ steht auch für ein Benefiz-Projekt von Marc Broussard, einem Blues-Musiker aus Mississippi, der auf „S.O.S. 4: Blues For Your Soul“ (RTD) Geld für die Keeping the Blues Alive Foundation sammelt, um die Rehabilitation von Jugendlichen durch Musik zu fördern. Das ist ein hehres Ziel, es verdient der Unterstützung, zumal man dabei ja in den Genuss einer ganzen Reihe feinster Blues- & Soul-Perlen kommt.
Bis auf einen Song handelt es sich hier nämlich um ein Cover Album, das u.a. Son House‘ „Empire State Express“, Johnny „Guitar“ Watsons „Cuttin‘ In“, Bobby Blue Blands „Dreamer“, John Lee Hookers „Looked Up In Jail“ , B.B. Kings „I Like To Live The Love“ oder Howlin‘ Wolfs „I Asked for Water“ bereit hält. Da Joe Bonamassa nicht nur produziert hat, sondernd auch diverse Blues-Licks beisteuert, andere Altvordere wie Joe Smith, Roddie Romero, Bobby Junior, JJ Grey, Eric Krasno und sein alten Freund Calvin Turner Gastrollen übernehmen, gilt es einen echten Blues-Leckerbissen zu genießen. Mahlzeit!
Yacht-Pop vom Tennis-Pärchen
Wer ein paar Monate Zeit hat, um auf einer Segelyacht durch die Karibik zu schippern, hat schon mal vieles richtig gemacht. Gestandene Blues-Männer machen das nicht, das Ehepaar Alaina Moore und Patrick Riley schon. Unter dem Namen Tennis veröffentlichen die Beiden schon seit einer Weile Keyboard-lastigen Indie Pop, der seine Zuhörer fand, irgendjemand muss den Trip ja bezahlt haben. Beim Segeln hat man Zeit, weiß ich aus eigener Erfahrung, man kann alle Fünfe gerade sein lassen – und dann kann es auch schon mal ein wenig langweilig werden.
Die Muße wurde beim Paar aus Minnesota genutzt, um radio-freundliche Pop-Melodien mit Soul und Serventis-Appeal am Stück zu entwerfen, die man auch Yacht-Pop (haha) nennen könnte. Das klingt schon ob der reizenden, ein wenig an Stevie Nicks erinnernden Jungmädchen-Stimme von Alaina ziemlich nett und wohltemperiert, die feschen, leider aber ein wenig stromlinienförmigen Melodien von Ehemann und Produzenten Patrick passen da schon fast zu gut ins Gesamtbild von „Pollen“ (Thirty Tigers).
Wakemans Nachtmusik meets Nibelungendämmerung
Mit Keyboard-Melodien, überhaupt mit allem was mit Tasten zu tun hat, kennt sich noch ein anderer, fescher Langhaarträger aus. Einst und auch jetzt immer mal wieder für einen Großteil des Bombasts bei Yes verantwortlich, hat Rick Wakeman ein „English Rock Ensemble“ um sich geschart, um eine Art Konzept-Album einzuspielen. Keine „Pictures At The Exhibition“ wie einst die Prog-Rock-Kollegen von ELP (Emerson, Lake and Palmer). „A Gallery Of The Imagination“ (Madfish) heißt das Album und nimmt Bezug auf die Musiklehrerin des kleinen Wakeman, die dem kleinen Wunderkind einst auf dem Weg geben hatte, dass Musik zu komponieren wie Malen (nach Zahlen?) sei.
Der studierte Pianist tobt sich hier gründlich am Mellotron (dem er ja in den 70ern den raschen Einstieg ins Instrumentarium der populären Musik geebnet hatte), aber auch am akustischen Flügel sowie einem ganzen Musikalienladen an Keyboards und Synthesizern mehr aus. Aus dem Ensemble sticht vor allem die liebreizende Sängerin Hayley Sanderson heraus. Unterm Strich ein wenig Muzark, ein wenig kleine Nachtmusik, ein wenig Nibelungendämmerung – Rick Wakeman halt.
Brit-Pop mit neuen Facetten
Schwermütige Moll-Akkorde auf dem Klavier eröffnen auch das neue Solo-Werk, „Turn The Car Around“ (Virgin) des Supergrass-Musikers Gaz Coombes. Das ist aber auch alles, was er mit seinem Landsmann gemein hat. Wobei: Auch hier wird ordentlich auf Pathos und Bombast gemacht, es hat fette Drums und Gitarren-, Keyboard- und Chorpassagen, die sich gewaschen haben. Das endet dann aber eben nicht in hundertmal erzähltem Prog-Rock, sondernd haucht der alten Dirne Brit-Pop ganz neue Facetten ein.
„Feel Loop“ hat eine tolle Blues-Funk-Coda, „Not The Only Things” will zunächst ein CSN&Y-Gedächtnis-Klampfer sein, um sich dann als ein üppig orchestral strahlender Bowie-Song zu entpuppen. „Sonny The Strong“ schlägt in eine ähnliche Kerbe, beginnt akustisch auf dem Klavier, speist dann ein paar Field-Recordings ein und entwickelt sich zu einem veritablen Brit-Popper mit ordentlich Drive. Der Rausschmeißer „Dance On“ macht das ganz zart mit einer Akustischen im Zentrum, man dreht sich dazu nochmals langsam im Kreis und gratuliert beim Hinausgehen dem „World’s Strongest Man“ zu dieser formidablen Platte.
R.I.P., Blues-Held Brown!
Gratuliert hätte man auch gerne Kim Simmonds. Nicht nur zu seiner – man glaubt es kaum – 42. Platte seit Bestehen von Savoy Brown, nein, auch zur guten Genesung. Dazu ist es leider nicht gekommen, Simmonds verstarb im letzten Dezember an seinem Krebsleiden. „Blues All Around“ (Bertus) darf somit als das Vermächtnis eines der stilprägendsten weißen Blues-Musiker angesehen werden.
Das Album hätte auch zwischen den Savoy Brown-Meilensteinen aus den späten 60ern und frühen 70ern, wie „Blue Matter“, „A Step Further” oder „Street Corner Talking” entstanden sein können. Simmons hat auch im gereifteren Alter – und schon von der Krankheit gezeichnet – nichts an Elan verloren. Ob Boggie, Shuffle, oder Blues-Rock, ob Verweise Richtung John Lee Hooker oder Steve Ray Vaughn – Kim Simmonds ist und bleibt einer der Helden des Blues. R.I.P.
Norwegerin verliert Bodenhaftung
Noch viele Jahrzehnte kreativer Schaffenskraft wünschen wir der Norwegerin Signe Marie Rustard, die auf dem aktuellen Werk, „Particles Of Faith“ (Backseat) völlig Blues-befreit und daher schwerelos in der Tradition einer Laura Nyro, Joni Mitchell, Carol King oder auch Julie Driscoll musiziert. Wunderschön zuzuhören, wenn sie wie in „I Love You From Before“ völlig die Bodenhaftung verliert, um sich in luziden Soundspähren aufzulösen.
Wunderbar aber auch, wenn die Künstlerin wieder auf diese herrliche Erde zurückfindet und die große Tradition des Laurel Canyon-Folks wie in „Hello It´s Me“ pflegt. Diese Sounds flirren in der warmen Frühlingssonne Kaliforniens, konventionelle Folk-Arrangements werden mit Saxophon oder Klarinette gebrochen, es dominiert jedoch die Akustik-Gitarre und das Klavier. „Fragile, handle with care!“, sollte als Sticker auf dieser Platte stehen.
Schobers unglaubliches Lexikon hochtrabender
Rock-Pop-Punk-Begriffe
Art-Pop: Hat seine Ursprünge nicht etwa im dritten Studioalbum von Lady Gaga. Als in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Grenzen zwischen Kunst und Popmusik verschwimmen, und John Lennon, Syd Barrett, Pete Townshend, Brian Eno und Bryan Ferry beginnen, sich von ihrem früheren Kunstschulstudium inspirieren zu lassen, ist eine Ausprägung des Art-Pop geboren. In den USA wird er von Bob Dylan und der Beat Generation beeinflusst und durch die Singer-Songwriter-Bewegung auch literarisch überformt. Die psychedelische Bewegung der 1960er Jahre bringt Kunst und Kommerz zusammen und stellt die Frage, was es bedeutet, Künstler in einem Massenmedium zu sein. In den frühen 1970er Jahre wird Progressive/Art Rock der kommerziell erfolgreichste Sound Großbritanniens.
Bossa Nova: Stilrichtung in der brasilianischen Musik und ein Tanzstil. Ursprünglich der Name einer Bewegung, die in den späten 1950er Jahren in Brasilien entstand. Als Geburtsort gilt Beco das Garrafas an der Copacabana. In einem sehr modernen gesellschaftlichen Klima wurde in der gebildeten Mittelschicht mit neuen Formen und Ausdrucksweisen in Musik und Film experimentiert. Als erster Bossa-Nova-Song gilt Chega de Saudade, geschrieben von Antônio Carlos Jobim (Musik) und Vinícius de Moraes (Text) und bekannt geworden in der Interpretation von João Gilberto (Single 1958 und anschließend gleichnamiges Album). Den weltweiten Durchbruch erzielte die Musik mit der Verfilmung Orfeu Negro von Marcel Camus (1958-59). Die Orpheus-Sage findet dort vor dem Hintergrund des brasilianischen Karnevals statt. Im Soundtrack kontrastiert eine Mischung aus schnellen Sambarhythmen neben sparsam arrangierten Gitarrenstücken von Luiz Bonfá und Antônio Carlos Jobim.
Call and Response: Ein musikalisches Muster, das auf dem Ruf (Call) eines Vorsängers und der darauf folgenden Antwort (Response) des Chors basiert. Dieses kurzphasige Responsorium gilt in weiten Teilen der musikwissenschaftlichen Literatur als ein charakteristisches musikalisches Merkmal traditioneller afrikanischer Musik und gehört zudem „als formbildendes Prinzip zu den elementaren Gestaltungsmitteln afro-amerikanischer Musik.“ Dieses Prinzip wurde in Nord- und Lateinamerika in verschiedenen afroamerikanischen Musikgenres von der vokalen auf die Instrumentalmusik übertragen, etwa auf Trommeln in der brasilianischen Musik.
DIY-Szene: Do it yourself, abgekürzt DIY, ist eine Phrase aus dem Englischen und bedeutet übersetzt Mach es selbst. Im musischen Sinn versteht man darunter das Konzept eines Sets von ästhetisch-ethischen Grundsätzen alternativer Musik.
Dub-Reggae: Ursprüngliche Reggae-Songs werden als Rohmaterial verwendet und mit Effekten versehen neu abgemischt. Eine Machart, die bereits in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren auf Jamaika entstand. Erlebt eine Wiedergeburt im Bereich elektronischer Tanzmusik.
Elektro-Boogie: Auch Electric Boogaloo, nicht zu verwechseln mit Onkel Martins Boogie-Woogie auf der Hammond-Orgel, ist eine um 1975 in Fresno (Kalifornien) entwickelte Tanzrichtung, die unabhängig in New York Blüten treibt und ein Element des Funk und des Streetdance ist. Die Old School des Hip-Hop-Tanzes, wird auf Robot reduziert, weil das Imitieren eines Roboters Teil der Performance ist. Eng verwandt ist der Electric Boogie mit Popping, weist aber auch signifikante eigene Bewegungen auf, wie etwa die Illusion von Wellen, die durch den Körper fließen (was häufig mit Popping gemischt wurde, um den „Electric Boogaloo“-Effekt zu verstärken).
Garagen-Psychedelic: Unterabteilung des Garage-Rock, Garage Punk oder Sixties Punk. Mit den letzteren wird ein nachträglicher Bezug zum Punkrock der 1970er Jahre hergestellt. Weitere alternative Bezeichnungen sind Freakbeat für überwiegend britische Bands sowie Acid Rock für die psychedelische Phase.
Garagen-Trash: Sind keineswegs die alten, verrosteten Benzinkanister, die im Zeitalter der E-Mobilität überflüssig sind, und die vergessenen Reste von Entfroster fürs Kühlwasser, also das Sammelsurium, das so in der Garage rumliegt, sondern ein Musikstil abgefuckter Punks, die keinen besseren Übungsraum als die Garage des Redneck-Dads am Stadtrand von Sydney finden, wo sich beispielsweise die Hard-Ons gründeten. The Trashwomen aus San Francisco beweisen, dass auch Frauen zu infernalischen Punk-Kakophonien in der Lage sind.
Glam-Rock: Ein weiteres Subgenre der Rockmusik, bei der sowohl die Musik als auch der Bühnenauftritt sehr opulent ausfallen. Glam Rock ist Anfang der 1970er Jahre besonders in Great Britain sehr populär – als Kontrapunkt zum Artrock von Pink Floyd, King Crimson, Yes oder Genesis. Erlebt in den 1980ern als Glam Metal eine Renaissance.
Grunge: Rockmusik-Genre und Subkultur, die klingt, wie sie heißt – zu deutsch „Schmuddel“, „Dreck“. Hervorgebracht durch die US-Undergroundbewegung in den 1990er-Jahren. Grunge, auch als Seattle-Sound, wird als Vermischung von Punkrock, Underground-Garagenrock und Hardrock beschrieben. Die frühe Grunge-Bewegung drehte sich um Seattles unabhängiges Plattenlabel Sub Pop und die Underground-Musikszene der Region.
Post-Punk: Taucht erstmals 1977 in dem britischen Musikmagazin Sounds auf, um die schrägen Töne von Siouxsie and the Banshees zu beschreiben. 1980 beschreibt der Kritiker Greil Marcus in einem Rolling-Stone-Artikel Bands wie Gang of Four, The Raincoats oder Essential Logic als „britische Postpunk Pop-Avantgarde“. Post-Punk gilt als experimentierfreudig und bunte Mischung aus Krautrock, des Dub, Disco und elektronischer Musik.
Proto-Punk: Adelstitel für die Wegbereiter des Punk und Erfinder minimalistischer Gitarren-Riffs wie The Velvet Underground, MC5, The Dictators, The Stooges, die New York Dolls, The Monks, Mott the Hoople oder The Sonics – bereits in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre.
Sleaze-Rock: „Sleazy“ heißt so viel wie „schäbig“ assoziiert auch mit Abschaum. Sleaze Rock leitet sich vom Image der Sleaze-Rock-Bands ab, die eine rebellische Underdog-Mentalität pflegen und sich mit Tätowierungen, abgerissenen Lederjacken, zerrissenen Jeans und Netzhemdenvom Glam Metal abgrenzen. Dem Sleazerock wird vorgeworfen, altes Bier in neuen Fässern zu sein. Bands wie Guns N’ Roses, L.A. Guns oder Faster Pussycat vermischen Hardrock mit Elementen des Bluesrock, Metal, Garage Rock und Punkrock.
Wave: Kurzwort für New Wave, eine Dachbezeichnung für mehrere, mit der New Wave zusammenhängende Teilgebiete der Musik, die bspw. als Cold Wave, Dark Wave, Doom Wave, Electro Wave, Ethereal Wave und Gothic Wave bezeichnet werden. Seit der zweiten Hälfte der 1980er wird von der Musikpresse der Ausdruck „Post-Wave“ genutzt. Dieser bezeichnet das musikalische Output und die kulturellen Neuerungen nach dem Ausklingen der Wave-Ära. Da sich die Wave-Bewegung allerdings in verschiedene Strömungen und chronologisch voneinander abweichende Etappen gliedert (z. B. New Wave, Electro Wave, Cold Wave und Neue Deutsche Welle), erweist es sich häufig als schwierig, Post-Wave zeitlich zu erfassen. Grob umrissen wird dabei jedoch die Zeit ab den späten 1980ern mit dem Aufleben von Musikrichtungen wie Madchester, Shoegazing, Acid House, Techno, Grunge oder Britpop in Europa.
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