Schobers Rock-Kolumne: Von Aufzugsmusik über Yacht-Pop bis düsterer Indie-Folk

Parkstein. Konzertveranstalter Hubert Schober brachte Rio Reiser oder Manfred Mann nach Weiden. Der gelernte Sozialpädagoge veranstaltete international erfolgreiche Shows wie die Circus-Produktion Mother Africa. Für OberpfalzECHO rezensiert er musikalische Neuerscheinungen und Evergreens.

„Afrika! Afrika!“-Produzent Hubert Schober (rechts) mit dem Leiter Winston Ruddle in Kapstadt (Südafrika) bei einem Casting für die Zirkusshow. Foto: Schober

Die Flaming Lips sind gegen Superorganism ein braves, diszipliniertes Kammerorchester. Was die japanische Sängerin Orono, Harry, Tucan, B und Soul plus einer illustren Schar an Gästen (u.a. Stephen Malkmus, Dylan Cartlidge und CHAI) auf „World Wide Pop“ (Domino) zusammenmischen ist als Motto zu verstehen. Alles geht, alles ist erlaubt, Hauptsache es macht Spaß.

Der collagenartige, kaleidoskopische Maximum-Pop dieses Kollektives ist bunter, lustiger und abgefahrenes als die Gorillaz je sein werden – eine Art Blaupause 4.0 der Nürnberger Knall-Truppe von Throw That Beat In The Garbage Can, um einen regionalen Vergleich zu bemühen. Das nächste Album könnte vielleicht „Sack Of Fleas Pop“ heißen.

So aufregend wie ein VW Golf

Den „perfekten“ Kontrast bietet der Montrealer DJ und Remixer, Patrick Holland. Auf seinem Album, „You’re The Boss“ (Cargo) erklingt zwar kein House, aber sein Indie- oder besser schon Yacht-Pop plätschert extrem wohlgeordnet vor sich hin. War bei Superorganism das Chaos das dominierende Element, ist es hier die wohltemperierte Ordnung.

Musik für den Fahrstuhl, zum täglichen Abwasch oder auch zum relaxten Chillen am Pool. Tut nicht weh, wärmt die Seele auch bei Minusgraden, ist aber so aufregend wie ein VW Golf.

Oktett versprüht sommerliche Lebensfreude

Das Oktett Kokoroko aus London hat sich zwar auch der eher chilligen Musik verschrieben, nur darf man sich hier auf ein quirliges Zusammenspiel von Jazz, Afro-Beats, Funk und Soul freuen. Das Instrumental-Album, „Could We Be More“ (Brownwood) hat feine, präzise Bläsersätze, karibisch anmutendes Perkussion-Geklöppel und versprüht sommerliche Lebensfreude.

In ihrer kurzen Karriere haben sie gerade einmal 7 Tracks (1x EP und 3x Singles) veröffentlicht und mit über 60 Millionen Spotify-Streams und dem Meisterwerk „Abusey Junction“ aus dem Jahr 2018, schnell eine riesige Fangemeinde aufgebaut. Die sollte jetzt noch weiter anwachsen.

Weiblicher Counterpart zu Al Jarreau

Die Reihe, „Jazz Is Dead“ sollte Liebhaber des Genres geläufig sein. Auf der 12. Veröffentlichung stellen Ali Shaheed Muhammad & Adrian Younge die Stimmakrobatin Jean Carne in den Mittelpunkt des Geschehens. Der weibliche Counterpart zu Al Jarreau tänzelt souverän zwischen Spiritual Jazz, Philly Soul, R&B, Afro-Jazz und Improvisation.

Carne hat in der Vergangenheit schon mit Größen wie Azar Lawrence, Phyllis Hyman, Michael Jackson, Lonnie Liston Smith und Earth, Wind & Fire gearbeitet und weckt mit ihren schwelgerischen Improvisationen Erinnerungen an Sarah Vaughn. Wohltemperiert und musikalisch ein wahrer (anspruchsvoller) Leckerbissen.

82-Jähriger wie junger Zeisig

Nicht der Jazz wie bei Jean Carne dominiert auf „Dancing Dimensions“ (PIAS), irgendjemand hat den alten Soul-Shouter Ural Thomas und seine passend betitelte Band, The Pain, wieder ausgegraben. Der wurde in den 60ern zu Recht mit Größen wie Otis Redding, James Brown, Etta James oder auch Stevie Wonder gehandelt, mangelndes Interesse der Musikindustrie verhinderte aber vor bald 60 Jahren eine ähnlich geartete Karriere – and that’s very painful.

Genau, der Knabe ist stolze 82 Jahre alt, hat aber bereits in den Sechzigern aufgehört Musik zu veröffentlichen. Wie er es geschafft hat, aktuell wie ein junger Zeisig zu klingen, soll das Geheimnis des Künstlers bleiben, der Bläser-gesättigte, mal soulful-warme, mal flott-funky Vintage-Soul dieses Grandpa’s ist es auf alle Fälle wert, auch jetzt noch entdeckt und hoffentlich endlich anständig gewürdigt zu werden. Spaßfaktor 10.

Verstörende Geschichten

Nach all den tollen Soul- und Funk-Scheiben, die geeignet waren, die Beinmuskulatur zu stärken (Superorganism sprachen sogar die komplette Muskulatur an), ein versöhnlich-elegischer Ausklang mit der Waliserin Sarah Howells aka Bryde.

In der Vergangenheit als Teil der Paper Aeroplanes zu Gange, erzählt sie ihre düsteren, verstörenden Geschichten auf „Still“ (Ferryhouse) zu einem melancholischen, semi-akustischen Indie-Folk-Pop der sich zwischen Tori Amos (allerdings dominiert hier die Gitarre) und Cat Power recht gut eingerichtet hat. Ein fragiles, nachdenkliches Werk mit einer starken Stimme im Zentrum.

Schobers unglaubliches Lexikon hochtrabender
Rock-Pop-Punk-Begriffe

Art-Pop: Hat seine Ursprünge nicht etwa im dritten Studioalbum von Lady Gaga. Als in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Grenzen zwischen Kunst und Popmusik verschwimmen, und John Lennon, Syd Barrett, Pete Townshend, Brian Eno und Bryan Ferry beginnen, sich von ihrem früheren Kunstschulstudium inspirieren zu lassen, ist eine Ausprägung des Art-Pop geboren. In den USA wird er von Bob Dylan und der Beat Generation beeinflusst und durch die Singer-Songwriter-Bewegung auch literarisch überformt. Die psychedelische Bewegung der 1960er Jahre bringt Kunst und Kommerz zusammen und stellt die Frage, was es bedeutet, Künstler in einem Massenmedium zu sein. In den frühen 1970er Jahre wird Progressive/Art Rock der kommerziell erfolgreichste Sound Großbritanniens.

Bossa Nova: Stilrichtung in der brasilianischen Musik und ein Tanzstil. Ursprünglich der Name einer Bewegung, die in den späten 1950er Jahren in Brasilien entstand. Als Geburtsort gilt Beco das Garrafas an der Copacabana. In einem sehr modernen gesellschaftlichen Klima wurde in der gebildeten Mittelschicht mit neuen Formen und Ausdrucksweisen in Musik und Film experimentiert. Als erster Bossa-Nova-Song gilt Chega de Saudade, geschrieben von Antônio Carlos Jobim (Musik) und Vinícius de Moraes (Text) und bekannt geworden in der Interpretation von João Gilberto (Single 1958 und anschließend gleichnamiges Album). Den weltweiten Durchbruch erzielte die Musik mit der Verfilmung Orfeu Negro von Marcel Camus (1958-59). Die Orpheus-Sage findet dort vor dem Hintergrund des brasilianischen Karnevals statt. Im Soundtrack kontrastiert eine Mischung aus schnellen Sambarhythmen neben sparsam arrangierten Gitarrenstücken von Luiz Bonfá und Antônio Carlos Jobim.

Call and Response: Ein musikalisches Muster, das auf dem Ruf (Call) eines Vorsängers und der darauf folgenden Antwort (Response) des Chors basiert. Dieses kurzphasige Responsorium gilt in weiten Teilen der musikwissenschaftlichen Literatur als ein charakteristisches musikalisches Merkmal traditioneller afrikanischer Musik und gehört zudem „als formbildendes Prinzip zu den elementaren Gestaltungsmitteln afro-amerikanischer Musik.“ Dieses Prinzip wurde in Nord- und Lateinamerika in verschiedenen afroamerikanischen Musikgenres von der vokalen auf die Instrumentalmusik übertragen, etwa auf Trommeln in der brasilianischen Musik.

DIY-Szene: Do it yourself, abgekürzt DIY, ist eine Phrase aus dem Englischen und bedeutet übersetzt Mach es selbst. Im musischen Sinn versteht man darunter das Konzept eines Sets von ästhetisch-ethischen Grundsätzen alternativer Musik.

Dub-Reggae: Ursprüngliche Reggae-Songs werden als Rohmaterial verwendet und mit Effekten versehen, neu abgemischt. Eine Machart, die bereits in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren auf Jamaika entstand. Erlebt eine Wiedergeburt im Bereich elektronischer Tanzmusik.

Elektro-Boogie: Auch Electric Boogaloo, nicht zu verwechseln mit Onkel Martins Boogie-Woogie auf der Hammond-Orgel, ist eine um 1975 in Fresno (Kalifornien) entwickelte Tanzrichtung, die unabhängig in New York Blüten treibt und ein Element des Funk und des Streetdance ist. Die Old School des Hip-Hop-Tanzes, wird auf Robot reduziert, weil das Imitieren eines Roboters Teil der Performance ist. Eng verwandt ist der Electric Boogie mit Popping, weist aber auch signifikante eigene Bewegungen auf, wie etwa die Illusion von Wellen, die durch den Körper fließen (was häufig mit Popping gemischt wurde, um den „Electric Boogaloo“-Effekt zu verstärken).

Garagen-Psychedelic: Unterabteilung des Garage-Rock, Garage Punk oder Sixties Punk. Mit den letzteren wird ein nachträglicher Bezug zum Punkrock der 1970er Jahre hergestellt. Weitere alternative Bezeichnungen sind Freakbeat für überwiegend britische Bands sowie Acid Rock für die psychedelische Phase.

Garagen-Trash: Sind keineswegs die alten, verrosteten Benzinkanister, die im Zeitalter der E-Mobilität überflüssig sind, und die vergessenen Reste von Entfroster fürs Kühlwasser, also das Sammelsurium, das so in der Garage rumliegt, sondern ein Musikstil abgefuckter Punks, die keinen besseren Übungsraum als die Garage des Redneck-Dads am Stadtrand von Sydney finden, wo sich beispielsweise die Hard-Ons gründeten. The Trashwomen aus San Francisco beweisen, dass auch Frauen zu infernalischen Punk-Kakophonien in der Lage sind.

Glam-Rock: Ein weiteres Subgenre der Rockmusik, bei der sowohl die Musik als auch der Bühnenauftritt sehr opulent ausfallen. Glam Rock ist Anfang der 1970er Jahre besonders in Great Britain sehr populär – als Kontrapunkt zum Artrock von Pink Floyd, King Crimson, Yes oder Genesis. Erlebt in den 1980ern als Glam Metal eine Renaissance.

Grunge: Rockmusik-Genre und Subkultur, die klingt, wie sie heißt – zu deutsch „Schmuddel“, „Dreck“. Hervorgebracht durch die US-Undergroundbewegung in den 1990er-Jahren. Grunge, auch als Seattle-Sound, wird als Vermischung von Punkrock, Underground-Garagenrock und Hardrock beschrieben. Die frühe Grunge-Bewegung drehte sich um Seattles unabhängiges Plattenlabel Sub Pop und die Underground-Musikszene der Region.

Post-Punk: Taucht erstmals 1977 in dem britischen Musikmagazin Sounds auf, um die schrägen Töne von Siouxsie and the Banshees zu beschreiben. 1980 beschreibt der Kritiker Greil Marcus in einem Rolling-Stone-Artikel Bands wie Gang of FourThe Raincoats oder Essential Logic als „britische Postpunk Pop-Avantgarde“. Post-Punk gilt als experimentierfreudig und bunte Mischung aus Krautrock, des Dub, Disco und elektronischer Musik.

Proto-Punk: Adelstitel für die Wegbereiter des Punk und Erfinder minimalistischer Gitarren-Riffs wie The Velvet UndergroundMC5The DictatorsThe Stooges, die New York DollsThe MonksMott the Hoople oder The Sonics – bereits in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre.

Sleaze-Rock: „Sleazy“ heißt so viel wie „schäbig“ assoziiert auch mit Abschaum. Sleaze Rock leitet sich vom Image der Sleaze-Rock-Bands ab, die eine rebellische Underdog-Mentalität pflegen und sich mit Tätowierungen, abgerissenen Lederjacken, zerrissenen Jeans und Netzhemdenvom Glam Metal abgrenzen. Dem Sleazerock wird vorgeworfen, altes Bier in neuen Fässern zu sein. Bands wie Guns N’ Roses, L.A. Guns oder Faster Pussycat vermischen Hardrock mit Elementen des Bluesrock, Metal, Garage Rock und Punkrock.

Wave: Kurzwort für New Wave, eine Dachbezeichnung für mehrere, mit der New Wave zusammenhängende Teilgebiete der Musik, die bspw. als Cold Wave, Dark Wave, Doom Wave, Electro Wave, Ethereal Wave und Gothic Wave bezeichnet werden. Seit der zweiten Hälfte der 1980er wird von der Musikpresse der Ausdruck „Post-Wave“ genutzt. Dieser bezeichnet das musikalische Output und die kulturellen Neuerungen nach dem Ausklingen der Wave-Ära. Da sich die Wave-Bewegung allerdings in verschiedene Strömungen und chronologisch voneinander abweichende Etappen gliedert (z. B. New Wave, Electro Wave, Cold Wave und Neue Deutsche Welle), erweist es sich häufig als schwierig, Post-Wave zeitlich zu erfassen. Grob umrissen wird dabei jedoch die Zeit ab den späten 1980ern mit dem Aufleben von Musikrichtungen wie Madchester, Shoegazing, Acid House, Techno, Grunge oder Britpop in Europa.

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