Schobers-Rock-Kolumne: Von sanft bis hart – von verspielt bis kompakt

Nordoberpfalz. Auch in Sachen Musik dürfen wir in dieser Ausgabe auf gleich zwei leuchtende und „bunte“ Meisterwerke blicken.

Ein vertontes Sittengemälde Londons des 18. Jahrhundert

Die Welt steht vor gewaltigen Umbrüchen. Kriege in der Ukraine und dem Sudan, ein entfesselter Oligarch der aus einer der ältesten Demokratien eine Kleptokratie machen möchte, die komplette Irritation der Weltwirtschaft -die Menschlichkeit hat sich eh schon lange zu Gunsten von wirtschaftlichen Interessen weltweit verabschiedet.

Und da biegt dann ein Jon Allen um die Ecke und besingt die Zustände im Stadtteil Covent Garden im London des 18. Jahrhunderts, wo Armut, Zwietracht, Mord und Totschlag regierten. Er widmet sich dem Proletariat, der untersten Schicht der Gesellschaft zu und sieht deren Leben als Symbol für unsere aktuelle, so runtergekommene und dysfunktionale, ungerechte Gesellschaft. Er erzählt aber auch vom Zusammenhalt der Gestrandeten und dass es ein Licht am Horizont gibt. Seine raue aber einfühlsame Stimme (die irgendwo zwischen einem Joe Cocker und Chris Rea angesiedelt ist) und der Mix aus erdigem Blues-Rock, ein wenig Folk und Soul bietet auf „Seven Dials“ (Bertus) die perfekte und glaubhafte musikalische Basis für seine Geschichten.

Stimmakrobatik trifft auf kaleidoskopischen Pop

Die Kapelle, oder besser das Projekt Tune-Yards von Sängerin Merrill Garbus und Partner Nate Brenner nimmt nicht den Umweg des 18. Jahrhunderts, sondernd bezieht explizit im hier und jetzt Stellung zu Antifaschismus, Befreiung und Anderssein. Und das Beste: man kann dazu auch noch prima tanzen! Die beiden formen aus digitalen Beats, Klicks, Samples, Loops, Dubs, fetten Bässen und was der elektronische Spielwarenladen noch so alles hergibt, flotte Rhythmen und Melodien.

Bis dann „Suspended“ erklingt. Da haben wir es plötzlich auch mit Folk-informiertem Trip-Hop zu tun und am Ende grätscht auch noch ein schräges Saxophon in diese Nicht-Melodie. In „How Big Is The Rainbow“ flirten Afro-Beats mit den Talking Heads. „Limelight“ ist bester Street-Funk in George Clinton Manier, bevor Garbus im Art-Pop von „Get Through“ mit mehrfach gesampelten Stimmen ihre ganze vokale Präsenz und Raffinesse ausbreitet, die sich selbst vor einer Annie Lennox nicht zu verstecken bräuchte. „Better Dreaming“ (4AD) ist ein ganz feines, sehr abwechslungsreiches, zwischen diversen Stühlen oszillierendes Album geworden, dass durch diese außergewöhnliche Stimme zusammengehalten wird.

Die derzeitigen Jam-Weltmeister mit neuen Wundertaten

Wenden wir uns jetzt mal etwas mehr der Musik als den Inhalten zu. Da gibt es seit 2016 eine ganz außergewöhnliche Kapelle aus den USA, die hierzulande leider völlig unterbewertet wird. Sie hört auf den einfachen Namen Goose, macht aber alles andere als einfache Musik. Rick Mitarotonda (Vocals, Guitar), Peter Anspach (Vocals, Keys, Guitar), Trevor Weekz (Bass), Jeff Arevalo (Vocals, Percussion, Drums) und Cotter Ellis (Drums) sind eine ausgesprochene Jam-Band, die sich dem weiten Feld des Americana widmen und dabei wundersam wunderbare Melodien aus dem Ärmel schütteln.

Connaisseur werden schon bei der Besetzung aufmerksam geworden sein: genau, zwei Schlagwerker verdingen sich hier und sofort schießen Namen wie Grateful Dead, Little Feat oder die Allman Brothers in den Sinn. Addiert man noch Phish, War On Drugs, My Morning Jacket, die Rose City Band, Dawes und Bruce Hornsby hinzu, vereinen sich Indie-Rock, Jazz, Funk, R&B und Blues mit Pop. „Everything Must Go“ (Cargo) ist dabei „nur“ eine Art Best-Of-Album mit einigen Live-Favoriten aber auch neuen Songs. Absolutes Must-Have!

Berührendes aus Skandinavien

Nach diesem Feuerwerk der gekonnten Arrangements mag sich das geforderte Ohr eine Auszeit gönnen und der zarten Stimme von Sophie Zelmanie aus Schweden lauschen. Auf „Lake Genova“ (Oh Dear Recordings) hat sie ihre Schreibblockade überwunden und präsentiert zehn klar strukturierte Lieder über Mitmenschlichkeit, Beziehungen und ganz private Dinge. Einmal mehr mit dabei Produzent und Gitarrist Lars Halapi, der sämtlichen Liedern mit seinem gefühlvollen Spiel, sei es nun die E- oder Akustische Gitarre seinen Stempel aufdrückt.

Und auch wenn unausweichlich Wörter wie „Trauer“ und „Kummer“ immer wieder auftauchen, klingt dieses neu Album schon fast fröhlich. Das liegt auch an den Streichern oder den Bläsern und dem Männerchor der Johanneskirche in „The Painting“. Ein anderer Song heißt „By The Fire“ aber das ist nicht der einzige Grund, warum man immer wieder an den großen Leonard Cohen denken muss.

Eine traurige wie ungewöhnliche Geschichte

In einer ganz anderen Liga spielt, b.z.w. spielte Nell Smith aus Kanada. Die Singer/Songwriterin absolvierte gerade mal die erste Session im Studio, dann verstarb sie mit 17 Jahren (ist wirklich war) bei einem Autounfall. Ihr Vermächtnis liegt nun unter dem Titel, „Anxious“ (Bella Union) vor und enthält zehn selbstverfasste Songs. Es sind Skizzen, die u.a. von Jack und Lily Wolter von Penelope Isles und der kanadischen Folk-Kapelle Shred Kelly vollendet wurden. Wane Coyne hat wohl auch seine Finger mit im Spiel gehabt, Ihm ist auch das famose „Boy In A Bubble“ (Konzertgänger wissen was gemeint ist) gewidmet.

Mit dessen Flaming Lips nahm die damals erst 15-jährige bereits das Nick Cave-Tribut Album, „Where The Viaduct Looms“ auf -und wurde Übernacht zum Überraschungs-Star. Wie schon dort klingen viele dieser Lieder ein wenig nach dem Bedroom-Pop im Stile der frühen Billie Eilish, aber Nell Smith packt ihre juvenilen Geschichten über Teenage Angst, über Liebe, Reisen, Dankbarkeit, Ehrgeiz und Trauer auch mal in etwas kantigeren Indie-Rock oder -ganz Flaming Lips-mäßig- in psychedelischen Dream-Pop. Ein nicht nur wegen der dahinter liegenden Tragik berührendes Werk einer viel zu früh verstorbenen Künstlerin.

Bestes Rock-Handwerk eines beständigen Kapelle

Von den Ängsten eines Teenagers wusste auch Jim James und seine Band, The Morning Jacket zu beginn ihrer Karriere Ende der 90er zu berichten. Auf dem zehnten Album, schlicht mit „Is“ (PIAS) betitelt, widmet er sich vorwiegend der Liebe. Das können -by the way- andere Lyriker etwas eloquenter und besser, seiner schmeichelnden Stimme erliegt man aber alleine wegen des Klangs. Für den ist dieses Mal erstmalig ein außenstehender Produzent, nämlich Groß-Meister Brendan O’Brien (u.a. Bruce Springsteen, Pearl Jam) zuständig.

Hört man aber nicht, James, der den Posten ansonsten inne hatte. machte einen ebenso guten Job. Was gibt`s also auf die Ohren?! Die Kapelle eröffnet mit einem quirligen, euphorischen Folk-Rocker, der auf eine wiederkehrende Klavier-Figur aufbaut. „Half A Lifetime“ verstört ein wenig durch seinen stolpernden Stop-And-Go-Rhythmus über den sich dann ein schönes Gitarren-Solo und die gut geölte Stimme James legt. Die Coda im Yacht-Pop von „Everything Magic“ könnte von 10cc stammen, „I Can Hear Your Love“ schunkelt gemütlich im Rumba-Modus, „Time Waited“ betont nochmals das Klavier. „Beginning From The Ending“ startet als Schrammel-Folk schwingt sich am Ende aber in fast Prog-Rock-artige Wucht auf, „Lemme Know“ ist flotter Power-Pop, während „Squid Ink“ auf Hard-Rock baut. Durch das stampfende „Die For It“ flirren Synthi-Schwaden, bevor die „River Road“ -der wohl beste Song- die 70er auflegen lässt. Nicht Ihr bestes Album, aber doch ein recht gutes.

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