Schöffengericht beweist bei Strafmaß viel Fingerspitzengefühl

Weiden. In Weiden stand ein Mann wegen Besitzes von kinderpornografischem Material vor Gericht. Ein Chat beim Messengerdienst "Signal" ließ ihn auffliegen.

20240903 Anklage wegen Besitzes von Kinderpornografie
Strafverteidiger Matthias Haberl mit Angeklagtem und Staatsanwältin Carolin Ammon. Foto: Martin Stangl

Der Besitz und die Verbreitung von Kinderpornografie ist kein zu verharmlosendes und entschuldigendes Delikt und wird deshalb von deutschen Gerichten mit aller Härte bestraft. Das Schöffengericht Weiden hatte nun einen solchen Fall nach Paragraf 184 StGB zu behandeln. Trotz klarer Beweislage stellte sich die Findung einer tat- und schuld angemessenen Bestrafung nicht so einfach dar. Das Gericht unter Vorsitz von Hans Jürgen Schnappauf bewies trotz vieler Bauchschmerzen viel Fingerspitzengefühl bei der Strafzumessung.

Ein Hinweis aus Hessen ließ den Täter auffliegen

Der in den Zeugenstand gerufene Kommissar der Kriminalpolizei Weiden berichtete von einem Hinweis von Internetfahndern aus Hessen. Dort fiel beim Messenger-Dienst ‘Signal’ eine Adresse auf, die in Zusammenhang mit Kinderpornografie stand. Der Durchsuchungsbeschluss der Wohnung des Verdächtigen in Weiden konnte zunächst nicht durchgeführt werden, weil der Mann die Wohnung nicht öffnete. Der Erfahrung der Beamten war es zu verdanken, dass sie in der Wohnung verdächtige Geräusche vernahmen, die trotzdem auf die Anwesenheit des Bewohners hinwiesen. Die Folge war eine “pragmatische Türöffnung”. In der Folge wurden Handy, PC und eine Festplatte sichergestellt, auf der Spezialisten tatsächlich kinderpornografisches Material fanden.

Vollumfängliches Geständnis

Staatsanwältin Carolin Ammon legte dem Mann in ihrer Anklageschrift eine Straftat zur Last, die im Strafgesetzbuch als ‘Verbreitung pornografischer Inhalte’ überschrieben ist. Über seinen Strafverteidiger Matthias Haberl ließ der Angeklagte die Taten einräumen und bestätigte diese selbst auch durch sein persönliches Schuldeingeständnis. Sein Anwalt ergänzte das Geständnis durch mehrere Schriftstücke, die dem Mann eine Erkrankung in Form einer ‘sozialen Phobie’ bescheinigten. Diese äußere sich durch Zurückgezogenheit, Sexsucht und vermehrtem Konsum von Kinderpornografie.

Psychische Störung des Angeklagten durch traumatische Erlebnisse

Richter Hans Jürgen Schnappauf machte sich mit seinen beiden Schöffen auf die akribische Suche nach Gründen für die psychische Störung des Mannes und förderte eine leidvolle KIndheit und Jugend des Angeklagten zu Tage. Sein zwischenzeitlich verstorbener Vater war schwerer Alkoholiker. Die Mutter war aufgrund eines Unfalles körperlich und psychisch beeinträchtigt und ergötzte sich daran, dass das damalige Kind von Onkel und Opa verprügelt wurde. Darüber hinaus musste der Junge einschlägige Videos und sexuelle Handlungen mit ansehen. Nach mehreren Aufenthalten in Kindereinrichtungen zog der damalige Jugendliche in ein Heim. Die Schule verließ der perspektivlose junge Mann ohne Abschluss. An eine Ausbildung oder eine geregelte Arbeit war deshalb nicht zu denken.
Seit dieser Zeit lebte er, ohne straffällig zu werden, in seiner Wohnung von Arbeitslosengeld. Weder Gewalt- noch Drogen- noch Eigentumsdelikte sind in seinem Strafregister zu finden. Allerdings wurde er 2018 wegen Besitzes von Kinderpornografie zu zwei Geldstrafen verurteilt.

Gutachten schließt Pädophilie aus

Sehr ernüchternd war das Gutachten von Landgerichtsarzt Dr. Bruno Rieder, das auszugsweise vorgelesen wurde. Dieses stimmte im Wesentlichen mit der Einschätzung der behandelnden Psychotherapeutin überein. Beide gehen nämlich davon aus, dass der Mann aufgrund der ‘hochgradig verstörenden Kindheit’ von seinem familiären Umfeld ‘sozial verkrüppelt’ wurde. Daraus wurde im Erwachsenenalter eine soziale Phobie. Der Besitz der Kinderpornografie war nach Ansicht der beiden Experten nicht pädophil motiviert, sondern ausschließlich dem übersteigerten Sexualdrang geschuldet. Weiter gingen die Sachverständigen davon aus, dass ein realer Kindesmissbrauch nahezu auszuschließen sei. Dies untermauerten sie mit der Tatsache, dass bisher keine dahingehende Tat zum Konflikt mit dem Gesetz führte.

Sechsmonatige Bewährungsstrafe

Nicht leicht machte sich das Gericht die Urteilsfindung. Es schloss sich den Anträgen der Staatsanwaltschaft und Strafverteidigung an und verhängte eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten, die zur Bewährung auf drei Jahre ausgesetzt wurde.
Verteidiger Matthias Haberl bat vor allem, die jahrelangen und glaubwürdigen Bestrebungen des Angeklagten, sein Fehlverhalten aus eigenem Antrieb zu bekämpfen, zu würdigen. Dabei sei, neben den lokalen Hilfsangeboten auch das Präventionsnetzwerk ‘Kein Täter werden’ in Regensburg kontaktiert worden.

Klare Ansage in der Urteilsbegründung

In seiner ausführlichen Urteilsbegründung verdeutlichte Richter Hans Jürgen Schnappauf die Beweggründe des Gerichtes, dem Angeklagten eine letztmalige Chance zu geben: “Zunächst einmal sind sie ein ‘Armer Hund’. Das, was Sie in ihrer Kindheit und Jugend erleben mussten, ist furchtbar und hat ursächlich zu ihrem heutigen Leben beigetragen.”
Als positiven Ansatz wertete das Gericht die glaubhafte Entschuldigung und den Wunsch des Angeklagten: “Ich möchte endlich ein normales Leben führen!” Auch die wiederholte Inanspruchnahme von psychologischer Hilfe in Wöllershof und bei einer Weidener fachärztlichen Anlaufstelle war für das Gericht ein guter Ansatz. Hans Jürgen Schnappauf: “Wenn wir Sie jetzt ins Gefängnis schicken würden, wäre das weder der Gesellschaft noch Ihnen dienlich. Sollten Sie jedoch in diesem Sitzungssaal wieder wegen eines kinderpornografischen oder anderen Deliktes angeklagt sein, werden Sie mit Sicherheit keine Gnade mehr finden.”

Der Angeklagte nickte sichtbar erleichtert und nahm mit seinem Verteidiger noch im Gerichtssaal das Urteil an.

Präventionsnetzwerk „Kein Täter werden“

„Kein Täter werden“ richtet sich an Personen mit sexuellem Interesse an Kindern. Wir bieten Vertraulichkeit, einen geschützten Rahmen und ein auf Akzeptanz basierendes Konzept. Mit unseren Klienten erarbeiten wir Wege zu einem gesetzeskonformen und zufriedenen Leben.

Unser Angebot richtet sich an

Personen, die ein sexuelles Interesse an Kindern haben

  • die deshalb niedergeschlagen und beeinträchtigt sind,
  • die bislang keine Straftaten begangen haben, aber befürchten, diese in der Zukunft zu begehen,
  • die bereits Straftaten begangen haben, aber den Strafverfolgungsbehörden nicht bekannt sind,
  • die bereits Straftaten begangen haben und dafür angezeigt und/oder rechtskräftig verurteilt wurden, sofern sie ihre Strafe vollständig verbüßt haben, nicht mehr unter Aufsicht durch die Justiz stehen und somit alle rechtlichen Angelegenheiten abgeschlossen sind.

www.kein-taeter-werden.de

Telefon: +49 941 85 08 93 95 (Dienstag 08:00 bis 09:00 Uhr und Donnerstag 17:00 bis 18:00 Uhr)
E-Mail: rgb-praevention@med.uni-muenchen.de im IVS – Institut für Verhaltenstherapie, Verhaltensmedizin und Sexuologie, Straußgäßchen 2, 93047 Regensburg

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