Nach Attacke mit Kugelschreiber: Landgericht entscheidet über Psychiatrie-Patienten  

Weiden/Wöllershof. Seit fast sieben Jahren ist ein Patient (40) in einer Art Hochsicherheitstrakt in einem psychiatrischen Pflegeheim der medbo in Wöllershof untergebracht. Er gilt als gefährlich. Nach Angriffen auf Sicherheitspersonal und Polizei kommt sein Fall jetzt vor Gericht.

Haus 11 Bezirkskrankenhaus Wöllershof Psychiatrie Psychiatrische Sonderpflegeeinrichtung
Meterhohe Zäune umgeben den Gartenanteil des Sonderpflegeplatzes im Haus 11. Hier ist seit 2018 ein psychisch schwer kranker Mann untergebracht. Foto: Christine Ascherl

Die Staatsanwaltschaft Weiden hat ein Sicherungsverfahren beantragt. Ziel ist es, den Patienten als psychisch kranken Straftäter unbefristet in der Forensik unterzubringen. Paragraf 63 des Strafgesetzbuches gilt als „schärfstes Schwert“ der Strafjustiz.

Auslöser sind drei Angriffe, die sich 2024 im Haus 11 zugetragen haben, dem psychiatrischen Pflegeheim. Der 40-Jährige lebt hier seit 2018 isoliert in einem eigenen Bereich. Mit ihm wird über eine Durchreiche kommuniziert. Zudem hat der Bezirk in seinen Räumen eine bruchsichere Co-Wall installiert (Firma Recornect). Über diese Medienwand können isolierte Patienten betreut werden und sich beschäftigen. Er hat ein eigenes Gartenabteil, das von sechs Meter hohen forensischen Zäunen umgeben ist.

Mit Kugelschreiber durch Durchreiche gestochen

Trotz aller Sicherheitsvorkehrungen kam es zu Angriffen: einmal auf einen Sicherheitsmitarbeiter der medbo, einmal auf Polizeibeamte, die regelmäßig zur Zwangsmedikation dazugeholt werden. Gegenüber dem Security-Mann stieß der Patient Todesdrohungen aus. Er stach ihm durch die Durchreiche mit einer Kugelschreibermine ins Gesicht. Die Mine musste operativ entfernt werden. Nach Auskunft von Landgerichtssprecher Florian Bauer erlitt der Mitarbeiter eine Fraktur der Kieferhöhle.

Um das Sicherungsverfahren gab es in den letzten Monaten ein Tauziehen innerhalb der Weidener Justiz. Aktuell ist der 40-Jährige nicht als Straftäter, sondern auf zivilrechtlicher Basis in Wöllershof untergebracht. Die Entscheidung liegt damit letztlich bei seinem Betreuer, über dessen Antrag der Betreuungsrichter am Amtsgericht entscheidet. Das genügt der Staatsanwaltschaft nicht. „Die Entscheidung über den Verbleib dieses – unstreitig – gefährlichen Beschuldigten sollte nicht einer Privatperson, sondern den staatlichen Behörden obliegen“, begründet Oberstaatsanwalt Christian Härtl.

Keine Gefahr für Bevölkerung

Das Landgericht Weiden lehnte zunächst ab. Auch Verteidiger Marc Steinsdörfer brachte Einwände vor. Die Taten ereigneten sich innerhalb der Klinikmauern; die Sicherheit der Bevölkerung war immer gewährleistet. „Der 40-Jährige ist jetzt schon adäquat untergebracht“, argumentiert Landgerichtssprecher Florian Bauer. Alternative in einer Forensik wäre die 24-Stunden-Fixierung. Die Staatsanwaltschaft hält dagegen, dass der Mann in Wöllershof bleiben könnte. Der kleine Bereich des medbo-Pflegeheims könnte zur Forensik deklariert werden. Eine „sicherlich nicht unlösbare verwaltungsrechtliche Angelegenheit“, meint Härtl.

Letztlich hat jetzt das Oberlandesgericht Nürnberg die Entscheidung gefällt: Es wird ein Sicherungsverfahren geben. Der Beschuldigte muss dazu nicht unbedingt selbst vor Gericht in Weiden erscheinen: Es kann auch ohne seine Anwesenheit verhandelt werden.

Seit 20 Jahren zwangsweise in der Psychiatrie

Die Tragik des Falls zeigt sich bei einem Blick in die Vergangenheit. Seit 20 Jahren befindet sich der Mann zwangsweise in der Psychiatrie. Mit 16 Jahren kassierte er eine Jugendstrafe, unter anderem wegen Körperverletzung und Widerstand. 2004 verurteilte ihn ein Jugendgericht in Regensburg zu Haft, ordnete aber parallel die Unterbringung in der Psychiatrie an. Der inzwischen 20-Jährige hatte zwei Schaffner bei einer Fahrkartenkontrolle geschlagen, einen Zellengenossen mit dem Messer verletzt und eine Staatsanwältin bedroht.

Seither hat er die Psychiatrie nicht mehr verlassen. 2005, 2006, 2007 und 2009 hatten psychiatrische Gutachter eine Entlassung geprüft und abgelehnt. Sie kamen alle zum Ergebnis, dass nach wie vor mit schweren Straftaten zu rechnen sei. Der Patient klagte gegen seine Zwangseinweisung – durch alle Instanzen. Das Verfahren ging bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, der die Klage 2014 abwies.

Die Diagnose lautete zunächst auf eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung, später gingen die Psychiater von Schizophrenie aus. Größtes Hindernis für eine Entlassung war immer mangelnde Einsicht. Der Patient lehnt jede Behandlung ab. Sein Zustand verschlechterte sich mit den Jahren immer weiter. Als er aus der Forensik entlassen wurde, folgte die Einweisung auf Basis des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Nur: Wohin mit ihm?

medbo schuf 2018 „beschützenden Platz“

2018 zog der Mann in Wöllershof ein. Der Bezirk schuf für ihn eine Bleibe im neuen „Haus 11“, einem psychiatrischen Pflegeheim für 22 chronisch kranke Menschen. Die medbo (medizinischen Einrichtungen des Bezirks Oberpfalz) informierten damals über die Entstehung dieses hoch spezialisierten Pflegeplatzes, soweit es der Datenschutz zuließ. Es gab auch eine Bürgerversammlung, nachdem die hohen Zäune für Unruhe gesorgt hatten. Wichtigste Botschaft: Für die Bevölkerung geht keine Gefahr aus.

§ 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, Strafgesetzbuch

Paragraf 63 des Strafgesetzbuchs gilt als „schärfstes Schwert“ im deutschen Strafrecht. Er bedeutet die unbefristete Einweisung in die geschlossene Psychiatrie. Eine Entlassung hängt von regelmäßigen psychiatrischen Gutachten ab, auf deren Basis die Strafvollstreckungskammer entscheidet.

„Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. 

Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.“

* Diese Felder sind erforderlich.

1 Kommentare

Walter Neuschitzer - 06.02.2025

Es ist eine wesentliche Aufgabe der Psychiatrie, die Geisteskranken sicher zu verwahren. Das kommt hier deutlich zum Tragen. Aber die Situation sollte nicht verschlimmert werden. Einige Psychopharmaka steigern die Neigung zu Mord (und Selbstmord).