So brutal ist Fußball: 4 Tore reichen dem SSV Jahn in Heidenheim nicht zum Punktgewinn

Heidenheim. Fußballdrama mit zwei Toren in der Nachspielzeit: Der SSV Jahn und der 1. FC Heidenheim liefern sich ein Torspektakel. Regensburg holt ein 1:3 und 3:4 auf und steht doch nach 95 Minuten mit leeren Händen da.

Wo bleibt der Fußballgott, wenn man ihn mal braucht? Jahn-Trainer Mersad Selimbegovic (Mitte) bittet bei diesem Wechselbad der Gefühle in Heidenheim vergeblich um höheren Beistand, Bilder/Collage: Jürgen Herda

Co-Autor: Jürgen Herda

Es ist zum Haareraufen: Da macht der SSV Jahn mal genau das, was man ihm aufträgt: Mutig nach vorne spielen, ganz anders als gegen Braunschweig, die favorisierten Heidenheimer in die Defensive drängen, ausgerechnet durch den zuletzt kritisierten Prince Owusu früh in Führung gehen – und dann reißen die Regensburger mit dem eigenen Hinterteil ein, was sie vorher famos aufgebaut hatten.

Da segelt Keeper Thorsten Kirschbaum an einer Jan-Niklas-Beste-Ecke vorbei, dann lässt sich Bene Saller im Mittelfeld einen Ball abluchsen und schon ist das Spiel gedreht. Nach einem Sonntagschuss zum 3:1 schien sich dann sogar ein Debakel anzubahnen. Weit gefehlt: Charalambos Makridis‘ “Weihnachten und Ostern gleichzeitig”-Treffer kurz vor der Pause sorgt für den Hoffnungsschimmer.

Drei Mega-Chancen zur Jahn-Führung

In der wilden zweiten Hälfte übernehmen die Gäste heute ganz in Weiß dann endgültig das Kommando – mit überraschend starken Spielzügen erspielen sie sich Chancen im Minutentakt. Blendi Idrizis zweite Torvorlage köpft dann tatsächlich der eingewechselte Niklas Shipnoski via Innenpfosten zum 3:3 ins Tor. Idrizis herrlicher Schlenzer an den anderen Innenpfosten hätte genauso die Führung sein können, wie Jan Elvedis Schuss aus drei Metern und Kaan Caliskaners Volleyabnahme aus acht Metern es sein hätten müssen.

Der sonst so besonnene Jahn-Trainer Mersad Selimbegovic, der mit allen Personalentscheidungen heute so richtig lag, dass bei jedem normalen und nicht verhexten Spieltag ein Dreier hätte folgen müssen, verpasst der Bande einen Fußtritt. Und dann auch noch das: Eine eigentlich geklärte Szene macht Elvedi am eigenen Fünfer wieder scharf, weil er, statt den Ball nach vorne zu dreschen, eine Kerze produziert – die Folge: jeder Schuss ein Treffer für Heidenheim.

Last-Minute-Schock: Eistonne Wellness dagegen

“Doch wir geben nicht auf”, geben die mitgereisten Fans die Marschrichtung vor, die Regensburger werfen alles nach vorne und wieder sticht ein Joker: Der quirlige Aygün Yildirim, der zuvor bereits bei einer Ecke die Heidenheimer Abwehr schwindelig umkreist hat, drückt die Kugel nach dem dritten Versuch eines Abschlusses in der Nachspielzeit über die Linie – die Emotionen entladen sich in einer Jubeltraube, das Happy-End ist greifbar nah. Geht vielleicht sogar noch mehr? Das legendäre Momentum aufseiten der Gäste?

Aber klar doch. Nur ganz anders als gedacht. Praktisch im Gegenzug die perfekte Heidenheimer Angriffswelle, jeder Pass sitzt und die Flanke über die Innenverteidigung hinweg findet natürlich am kurzen Pfosten einen Abnehmer, dessen Schuss genau in den Winkel passt, 5:4 (94.). Eistonne im Winter ein Wellnesserlebnis dagegen – Fassungslosigkeit bei allen Spielern und auf der Trainerbank. Die Weißen versuchen noch einen Angriff aufzubauen, kommen auch nochmal in den Strafraum, aber zum zehnten Treffer des Tages reicht es nicht.

Was bleibt nach dieser Achterbahnfahrt der Gefühle trotz einiger himmelschreiender Stockfehler: Spielt genauso weiter, mit dieser Leidenschaft, mit diesem Willen ist die Einfuhr der restlichen 21 Punkte nur eine Frage der Zeit. Vor allem dann, wenn die andere Hälfte der Mannschaft aus dem Lazarett zurückkehrt.

Alles Beten half nichts: Trainer Mersad Selimbegovic hat alles richtig gemacht, alle Joker stachen, aber zum Schluss fehlte das Quäntchen Glück. Bild: Jürgen Herda

Fünf Tore in Halbzeit Eins

Die ersten zehn Minuten der Partie sollten die einzigen bleiben, in denen die Zuschauer etwas unaufmerksam sein konnten, danach ging die Post ab. Die frühe Führung des SSV Jahn Regensburg wurde bald gekontert und so stand es nach katastrophalen Regensburger Minuten schließlich 3:1 für das Heimteam. Erst der Anschlusstreffer in der Nachspielzeit vor der Pause sorgte dann wieder für Spannung.

Dabei kann man der Jahnelf keineswegs fehlendes Engagement vorwerfen, aber vor allem im Defensiv-Verhalten kamen immer wieder individuelle Fehler zum Vorschein. Eklatant machte sich die mehrmals in dieser Saison gesehene Schwäche im Verteidigen von Flanken und des Rückraums bemerkbar.

Verrückte Schlussphase endet mit hängenden Jahn-Köpfen

Individuelle Fehler waren es dann auch, die der Jahnelf den so verdienten Punkt kostete. Über weite Strecken der zweiten Halbzeit dominierten die Oberpfälzer das Geschehen, bei katastrophalen Defensiv-Verhalten muss man sich am Ende aber auch nicht beschweren, wenn so ein Spiel verloren geht.

Nichtsdestoweniger gibt es am Ende des Tages viel Positives über den Jahn zu berichten. Einsatz, Wille und taktische Ausrichtung stimmten, und auch die ohnehin dünn besetzte zweite Reihe zeigt ihr bestes Gesicht.

Englische Woche fordert ihren Tribut

Zum Abschluss der englischen Woche, die gleichzeitig das Ende der Hinrunde markiert, nimmt Jahn-Trainer Mersad Selimbegovic vier Änderungen in der Startelf vor. Während Lasse Günther verletzungsbedingt für Bene Saller aus der Startformation fällt, dürfte die Herausnahme von Christian Viet, Andreas Albers und Joshua Mees der hohen Belastung der letzten Tage geschuldet sein. Für Viet und Mees rücken Blendi Idrizi und Nicklas Shipnoski ins Team. Albers wird ausgerechnet von Prince Osei Owusu ersetzt, der im letzten Spiel von den eigenen Fans ausgepfiffen wurde.

Das Verletzungspech nimmt kein Ende. Jetzt hat es auch noch Max Thalhammer erwischt. Bild: Jürgen Herda

Owusu eröffnet den Torreigen

Nach fahrigen ersten Minuten kann der SSV immer besser mit dem Ballbesitz umgehen, der ihm von Heidenheim zugestanden wird. Dabei haben die Oberpfälzer etwas Glück, denn einem Ziehen wie von Sebastian Nachreiner an Denis Thomalla (4. Minute) folgte in der Vergangenheit nicht selten ein Strafstoß-Pfiff. Ansonsten zogen sich die Heidenheimer in ihre eigene Hälfte zurück, was sich für das Heimteam bald rächen sollte.

Ausgerechnet Owusu trifft in der 13. Spielminute zum 1:0 für Regensburg, und das technisch anspruchsvoll. Nach einer Flanke von Blendi Idrizi befördert der Stoßstürmer den Ball im Rückwärtslaufen mit dem Kopf unhaltbar ins lange Eck. Die Führung sollte keine zehn Minuten halten. Nach einem Eckball von Jan-Niklas Beste taucht Thorsten Kirschbaum hanebüchen im eigenen Fünfmeterraum ab und so kann Tim Kleindienst problemlos zum Ausgleich einköpfen (21.).

Heidenheim nutzt leichteste Jahn-Fehler eiskalt

Heidenheim kommt nach dem Ausgleich immer besser ins Spiel, wird aber auch eingeladen. Katastrophale Anspiele der Gäste im Aufbauspiel laden den FCH förmlich zum Pressing ein. So konnten die Favoriten eine kurzfristige Überzahl (Maxi Thalhammer war verletzt raus) schlussendlich zur Führung nutzen. Kevin Sessa spaziert auf dem Flügel an Konrad Faber vorbei, legt zurück auf Adrian Beck, der direkt und überlegt aus dem Rückraum flach ins linke Eck vollendet (36.).

Während Christian Viet inzwischen Thalhammer ersetzt hat, ist die Jahn-Elf aber immer noch im Schlafmodus. Dreißig Meter vor dem SSV-Tor erzwingt Beste einen Ballverlust seiner ehemaligen Kollegen. Schließlich wird Kleindienst von Beck auf die Reise geschickt. Der lässt zuerst den heran rauschenden Nachreiner aussteigen und dann Kirschbaum im Tor keine Chance (39.).

Just in dem Moment, indem die erste Halbzeit als hergeschenkt betrachtet werden konnte, sorgt Charalampos Makridis doch noch für den Hoffnungsschimmer. Von Faber bedient, findet der Deutsch-Grieche aus 16 Metern das linke Kreuzeck in der ersten Minute der Nachspielzeit.

Jahn kommt mit Tor-Kopie zum Ausgleich und dreht auf

Der Beginn der zweiten Halbzeit gleicht dem Spielbeginn beinahe bis aufs Haar. Wieder brauchen beide Teams, um ins Spiel zu finden, wieder trifft der SSV per Kopfball zum Tor (55.). Kaan Caliskaner hat auf rechts viel Zeit zum Flanken und findet Niklas Shipnoski, der ins lange Eck zum 3:3-Ausgleich einnickt. In der 60. Minute dann beinahe die erneute Jahn-Führung, doch Idrizi trifft nach hervorragender Einzelleistung nur den Pfosten.

In der Folge liefern sich beide Teams eine aufopferungsvollen Kampf, ohne zunächst zu Chancen auf den Führungstreffer zu kommen. Makridis, in der ersten Hälfte noch mit dem Traumtor, scheitert dann in der 73. Minute kläglich an der Führung. Nach einer Hereingabe bring es der Offensiv-Spieler fertig, aus fünf Metern das leere Tor zu verfehlen. Dabei hätte es gereicht, mit der Innenseite einzuschieben.

Heidenheims Trainer Frank Schmidt muss gar nicht so skeptisch dreinschauen. Zum Schluss hat er wieder einmal das bessere Ende auf seiner Seite. Bild: Jürgen Herda

Wieder lädt der Jahn Heidenheim zur Führung ein

Woran der SSV scheitert, gelingt den Heidenheimern. Und das mit dankbarer Einladung von Jan Elvedi. Nach einer unnötigen Kerze im eigenen Sechzehner, kann Gegenspieler Kleindienst den Ball festmachen und Thomalla bedienen. Der vollendet, ohne mit der Wimper zu zucken, zur 4:3-Führung des Aufstiegsaspiranten (76.).

Doch die Jahnelf steckt nicht auf und hat immer wieder Chancen, abermals auszugleichen. Unter anderem verzieht Caliskaner aus elf Metern knapp, sodass der Ball einen Meter links am Gehäuse von Kevin Müller vorbeirauscht.

Knüppeldickes Ende für den SSV Jahn Regensburg

Je mehr die Partie dem Ende entgegengeht, desto näher ist Regensburg dem Ausgleich. In der zweiten Minute der Nachspielzeit sollte dieser, viel umjubelt, auch gelingen. Nach einem wilden Durcheinander und mehreren abgewehrten Schüssen im Heidenheimer Strafraum, ist es Aygün Yildirim der zum 4:4 vollendet.

Doch das sollte noch nicht der Schlusspunkt sein. Heidenheim wirft nochmal alles nach vorne und so gelingt den Gastgebern noch der Lucky Punch. Nach einer Flanke kann Stefan Schimmer zum 5:4 einköpfen und fegt damit jegliche Regensburger Euphorie brutal hinweg. Und, ja leider, wieder pennen die Innenverteidiger des SSV. Schimmer kann viel zu leicht zum Kopfball kommen.

Ex-Regensburger Jan-Niklas Beste muss verletzt raus. Zuvor war er wie so oft Heidenheims Bester und brachte mit seinen angeschnittenen Ecken Keeper Thorsten Kirschbaum ein ums andere Mal in Verlegenheit. Bild: Jürgen Herda

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