Später Anruf von Tante Marilou: „Schüsse auf Trump!“ [Aktualisiert]

Butler (Pennsylvania)/Carlsbad (New Mexico). Dass Tante Marilou gelegentlich mitten in der Nacht anruft, kommt vor. Die betagte Dame realisiert nicht immer, dass die Uhren in New Mexico anders gehen als in der Oberpfalz. Dieses Mal hat sie triftige Gründe: „Hast du's gehört? Schüsse auf Trump!“

Ex-Präsident Donald Trump ballt die Faust nach dem ersten Schock. Foto/Grafik: dpa/jrh

Es ist lange her, dass ich Tante Marilou, die vor Jahrzehnten einen US-Soldaten heiratete und mit ihm nach Carlsbad (New Mexico) auswanderte, zuletzt getroffen habe. Das Foto unten zeigt die Betreiberin einer böhmischen Imbissbude bei einem Familientreffen mit ihrem Sohn James Herda (†) in Neutraubling – Anlaufstation für viele Vertriebene aus der ehemaligen Tschechoslowakei.

„Als ich das hörte, musste ich an dich denken“, sagt sie mit schwerem Südstaaten-Akzent. „Du hast dich doch immer für Politik interessiert – und der Kerl will unsere Jungs aus Grafenwöhr und Vilseck abziehen.“ Nein, die Tante mag Trump so gar nicht leiden. Seine Großspurigkeit, seine notorischen Lügengeschichten, sein Schüren von Ressentiments.

70 Kilometer zur mexikanischen Grenze

„Jetzt hat’s ihn erwischt“, habe sie sich gedacht. „Über den Mord an einem Menschen soll man sich zwar nie freuen, aber …“ Das Aber lässt sie in der Luft hängen. Die Tante wohnt nicht weit weg von der Grenze, die im amerikanischen Wahlkampf eine große Rolle spielt: rund 56 Kilometer von San Diego, dann sind es nochmal rund 27 Kilometer. Trumps Mauer hat es aber nicht bis zum kleinen Grenzverlauf zwischen New Mexico und Mexiko geschafft.

„Natürlich kommen auch Drogendealer und andere Kriminelle über die Grenze“, sagt die furchtlose US-Deutschböhmin. „Aber das war unter Trump nicht anders als unter Biden – und ist noch lange kein Grund, Millionen von arbeitenden Menschen, Familien mit Kindern abzuschieben, wie er das plant.“ Zu sehr steckt auch in ihr das Vertriebenenschicksal, als dass sie für irgendeine inhumane Variante der Remigration Verständnis hätte.

Heldenhafter Märtyrer

Die Wahlkampf-Kundgebung in Butler (Pennsylvania) des ehemaligen US-Präsidenten hat sie im Fernseher verfolgt. „Plötzlich wurde er mit Blut im Gesicht von der Bühne gebracht“, schildert sie jetzt doch ein wenig aufgeregt. „Man wünscht so etwas seinem ärgsten Feind nicht“, schiebt sie hinterher. Was Trump aber kurz darauf treibt, macht sie schon wieder zornig: „Dann hat er das Victory-Zeichen gezeigt“, schnarrt die alte Dame. „Das ist so typisch für ihn, jetzt spielt er den heldenhaften Märtyrer.“

Der U.S. Secret Service, der für den Schutz des Ex-Präsidenten verantwortlich ist, bestätigte mittlerweile, dass der Attentäter getötet wurde. Auch ein Besucher der Veranstaltung sei ums Leben gekommen. Während der Wahlveranstaltung fielen um 18.13 Uhr (Ortszeit) acht bis zehn Schüsse. Mitten in einem Satz griff sich der Kandidat der Republikaner ans rechte Ohr.

20-jähriger Attentäter politisch indifferent

Das FBI hat den Schützen als 20 Jahre alten Thomas Matthew Crooks aus der Nähe von Pittsburgh im Bundesstaat Pennsylvania identifiziert. Die „New York Times“ und die „Washington Post“ berichteten übereinstimmend, dass der Mann im Wählerverzeichnis als Republikaner registriert war. Es soll aber mindestens einmal auch an die Demokraten gespendet haben. Der „New York Times“ zufolge soll der junge Mann 2022 im Ort Bethel Park sein Abitur gemacht haben.

Der Vater des mutmaßlichen Attentäters, Matthew Crooks, sagte im Sender CNN, er wolle erst über seinen Sohn reden, nachdem er mit Ermittlern gesprochen habe. Laut Medienberichten lassen sich in den sozialen Netzwerken keine Online-Posts von Crooks identifizieren. Anfragen der Nachrichtenagentur Reuters an Meta, ob Botschaften oder Stellungnahmen des mutmaßlichen Täters zum Attentat wegen deren Inhalten gelöscht worden seien, wurden nicht beantwortet.

„Und dann ballt er die Faust“

„Da war dann ein Riesengeschrei“, sagt Marilou, „Sicherheitsbeamte brüllten, ,geht in Deckung, geht in Deckung!‘“ Besucher hätten sich zu Boden geworfen, Spezialkräfte mit Sturmgewehren die Bühne gesichert. „Man hat dann gesehen, dass er wieder aufstand und Blut im Gesicht hatte“, erzählt die Tante weiter. „Er wurde von der Bühne geführt und hat angeberisch die Faust Richtung der Menge geballt.“

Wahlkampf-Sprecher Steven Cheung äußerte sich wenig später: „Präsident Trump dankt den Strafverfolgungsbehörden und den Ersthelfern für ihr schnelles Handeln bei dieser abscheulichen Tat.“ Es gehe ihm gut, er werde in einer örtlichen medizinischen Einrichtung untersucht. „Weitere Details folgen.“

Wahlkampfgeschenk einer verlorenen Seele

„Ich weiß nicht, welche verlorene Seele auf Trump geschossen hat“, sagt Marilou am Ende unseres Telefonats. „Aber eines weiß ich: Das war ein unfreiwilliges Wahlkampfgeschenk.“ Viele ihrer Landsleute könne sie schon lange nicht mehr verstehen. „Klar ist das bei uns ein hartes Leben“, räumt die Frau ein, die als kleine Selbstständige so gut wie keine Rente und eine unzureichende Krankenversicherung hat.

„Aber dass man ausgerechnet einem Narzissten mit krimineller Energie vertraut, dass er etwas für die kleinen Leute tut, ist so was von naiv.“ Das Einzige, was die Tante von dem vorbestraften Milliardär erwartet: „Er wird in seiner zweiten Amtszeit alles tun, um eine dritte zu bekommen – um am Schluss eine neue Dynastie zu gründen.“ Der Mann, der ein Attentat überlebte, um die älteste Demokratie der Welt zu ermorden.

Die Herdas vor rund 42 Jahren: (von links) James, Großtante Magda, Papa Raimund, Marilou mit Lou und Jürgen Herda. Archivfoto: Renate Herda

Präsident Biden verurteilt den Anschlag

US-Präsident Joe Biden (81) verurteilte in einer ersten Stellungnahme den Angriff auf seinen designierten Widersacher um den Einzug ins Weiße Haus. „Für diese Art von Gewalt gibt es in Amerika keinen Platz“, teilte er schriftlich mit.

Er sei dankbar zu hören, dass Trump in Sicherheit sei und es ihm gut gehe. „Ich bete für ihn und seine Familie und für alle, die an der Kundgebung teilgenommen haben, während wir auf weitere Informationen warten.“ Biden kündigte eine Rede an die Nation an.

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