Spezial-Patient aus Haus 11: Verhandlung in Abwesenheit

Weiden/Wöllershof. Sein Schicksal ist dramatisch: Seit 2004 befindet sich ein Mann zwangsweise in der Psychiatrie. Die Diagnose: paranoide Schizophrenie. Nach Attacken auf Security und Polizei kommt es jetzt zu einer Gerichtsverhandlung.

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Meterhohe Zäune umgeben den Gartenanteil des Sonderpflegeplatzes im Haus 11. Hier ist seit 2018 ein psychisch schwer kranker Mann untergebracht. Foto: Christine Ascherl

Wie Landgerichtssprecher Florian Bauer informiert, beginnt am Dienstag, 13. Mai, vor der 1. Strafkammer ein Sicherungsverfahren gegen den 41-Jährigen. Verhandelt wird in Abwesenheit. Eine Vorführung vor Gericht ist nicht möglich. Die Staatsanwaltschaft beantragt die dauerhafte Unterbringung nach Paragraph 63 des Strafgesetzbuchs. Der 41-Jährige sei für die Allgemeinheit gefährlich.

Bisher war der Patient auf zivilrechtlicher Basis untergebracht, jetzt entscheidet ein Strafgericht. Vorgeworfen werden dem 41-Jährigen gefährliche Körperverletzung und tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte. Mit diesem Antrag der Staatsanwaltschaft werden die Lebensumstände des besonderen Patienten ein Stück weit öffentlich – und geben Einblick in eine höchst dramatische Lebenssituation.

Kugelschreibermine musste operativ entfernt werden

Seit 2018 lebt der Mann isoliert von der Außenwelt in einem eigens für ihn gebauten Sicherheitstrakt am Haus 11 in Wöllershof. Der Bau ist verschlossen und kameraüberwacht. In der Tür ist eine Kommunikationsklappe verbaut. Im Juni 2023 soll der Beschuldigte gegen Mittag geklingelt haben. Als der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes die Klappe öffnete, soll ihm der Patient mit einer Kugelschreibermine samt Feder heftig ins Gesicht gestochen haben.

Die Mine durchstach die Kiefernhöhle und musste im Universitätsklinikum Regensburg operativ entfernt werden. Laut Antragsschrift der Staatsanwaltschaft habe der 41-Jährige bedauert, dem Security-Mann nicht das Auge ausgestochen zu haben. Er habe nach dem Vorfall stundenlang in seinem Zimmer randaliert und Todesdrohungen gegen das therapeutische Personal ausgestoßen.

Medikation mit Polizeibegleitung

Konflikte gab es zudem mit der Polizei. Wenn ein Arzt dem Patienten seine Depotspritze verabreichen will, wird die Polizei aus Neustadt/WN hinzugezogen. Bei einem dieser Anlässe soll der Patient mit einem Plastikmesser Stichbewegungen in Richtung der Polizisten ausgeführt haben. Er warf mit Plastikschüsseln. Nur unter heftiger Gegenwehr konnte er laut Staatsanwaltschaft von den Polizisten zu Boden gebracht werden, ehe der Arzt die Spritze setzte.

Wenige Tage nach der Kugelschreiber-Attacke kam es im Juni 2023 zu einem Taser-Einsatz gegen den Patienten. Dieser hatte zuvor eine Tür zum Außenbereich beschädigt. Daher war die Überprüfung durch einen Techniker notwendig, der von einer Polizistin und einem Polizisten begleitet wurde. Der Beschuldigte soll eine Art Falle gebaut haben: Er schüttete Wasser auf den Boden und erwartete seine Besucher bewaffnet mit abgebrochenem Kunststoffbesteck. Beim Eintreten warf er ein T-Shirt in Richtung der Gesichter der Polizisten, um sie abzulenken.

Verhandlung ab Dienstag

Der Mann ist krank. Laut Gutachter leidet er an paranoider Schizophrenie mit einer schweren emotional instabilen Persönlichkeitsstörung. Er könne das Unrecht seiner Taten nicht einsehen.

Mit Paragraph 63 würde er unbefristet in der Forensik untergebracht. Sein Anwalt Dr. Marc Steinsdörfer hatte im Vorfeld dagegen interveniert: Die aktuelle Unterbringung sei optimal – für den Kranken und den Rest der Welt. Auch das Landgericht Weiden hatte ein Sicherungsverfahren anfangs abgelehnt. Argument: Die Taten ereigneten sich innerhalb der Klinikmauern; die Sicherheit der Bevölkerung sei immer gewährleistet. Das Oberlandesgericht Nürnberg war es, das letztlich auf eine Verhandlung bestand.

Diese wird es nun ab Dienstag am Landgericht Weiden geben – in Abwesenheit des schwer kranken Beschuldigten.

Die Vorgeschichte des Patienten: Bis vor Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geklagt

Seit 20 Jahren befindet sich der Mann zwangsweise in der Psychiatrie. Mit 16 Jahren kassierte er eine Jugendstrafe, unter anderem wegen Körperverletzung und Widerstand. 2004 verurteilte ihn ein Jugendgericht in Regensburg zu Haft, ordnete aber parallel die Unterbringung in der Psychiatrie an. Der inzwischen 20-Jährige hatte zwei Schaffner bei einer Fahrkartenkontrolle geschlagen, einen Zellengenossen mit dem Messer verletzt und eine Staatsanwältin bedroht.

Seither hat er die Psychiatrie nicht mehr verlassen. 2005, 2006, 2007 und 2009 hatten psychiatrische Gutachter eine Entlassung geprüft und abgelehnt. Sie kamen alle zum Ergebnis, dass nach wie vor mit schweren Straftaten zu rechnen sei. Der Patient klagte gegen seine Zwangseinweisung – durch alle Instanzen. Das Verfahren ging bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, der die Klage 2014 abwies.

Die Diagnose lautete zunächst auf eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung, später gingen die Psychiater von Schizophrenie aus. Größtes Hindernis für eine Entlassung war immer mangelnde Einsicht. Der Patient lehnt jede Behandlung ab. Sein Zustand verschlechterte sich mit den Jahren immer weiter. Als er aus der Forensik entlassen wurde, folgte die Einweisung auf Basis des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Nur: Wohin mit ihm?

2018 zog der Mann in Wöllershof ein. Der Bezirk schuf für ihn eine Bleibe im neuen “Haus 11”, einem psychiatrischen Pflegeheim für 22 chronisch kranke Menschen. Die medbo (medizinischen Einrichtungen des Bezirks Oberpfalz) informierten damals über die Entstehung dieses hoch spezialisierten Pflegeplatzes, soweit es der Datenschutz zuließ. Es gab auch eine Bürgerversammlung, nachdem die hohen Zäune für Unruhe gesorgt hatten. Wichtigste Botschaft: Für die Bevölkerung geht keine Gefahr aus.

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