Strategische Rohstoffe: Sitzt Deutschland in der Klemme?

Weiden/Amberg. Die rohstoffarme Bundesrepublik ist nicht nur von Öl- und Gaslieferanten abhängig. Auch wenn es um strategische Materialien geht, hängt man am Tropf anderer Staaten. "Eine kritische Situation", findet OTH-Professor Dr. Peter Kurzweil.

“Deutschland ist Importland für Energierohstoffe und mineralische Bodenschätze, und damit erpressbar”, warnt OTH-Professor Dr. Peter Kurzweil. Foto: Theo Kurtz

Exportweltmeister? Das war mal. Längst hat China dem deutschen Michel die Zipfelmütze ganz über die Ohren gezogen. Doch führende Industrienation ist die Bundesrepublik natürlich noch alle mal. Und sie will grüner und nachhaltiger werden. Das rohstoffarme Land braucht dafür aber strategisches Material. Lithium etwa, das für den Bau von Batterien, etwa für E-Autos, Solar- oder Windkraftanlagen benötigt wird. Von der „Liefergunst“ anderer, nicht immer demokratischer Nationen abhängig zu sein ist gefährlich, wie das Beispiel Russland gezeigt hat. Wie brenzlig die Situation für Deutschland noch werden könnte, beleuchtet Dr. Peter Kurzweil im Gespräch mit OberpfalzECHO. Kurzweil ist Professor für Chemie, Umweltanalytik und Toxikologie an der OTH Amberg-Weiden.

Jetzt erst wieder war Bundeskanzler Olaf Scholz auf Lithium-Tour in Südamerika. Was wäre Deutschland ohne strategische Materialien?

Peter Kurzweil: Die Rohstoffversorgung in Deutschland hängt kritisch an globalen Produzenten und Märkten. Lithium steht wie kein anderes Material für fortschrittliche Batterien. Mit dem Siegeszug des Elektrofahrzeugs geht an Lithium kein Weg vorbei. Der Begriff „strategisches Material“ weist jedoch auf grundsätzliche Gefahren hin: Das Versorgungsrisiko für Lithium ist gering, wenn Länder wie Chile und Australien zuverlässig nach Europa liefern. Doch die Vulnerabilität, also die Verletzlichkeit der Wirtschaft, ist enorm, wenn der Lithiumnachschub ausfällt. Auch eignet sich nicht jedes Salzvorkommen und Gestein gleich gut für die Lithiumgewinnung. Die chemische Industrie beherrscht die Verfahrenstechnik für die Erzaufbereitung, doch unser Land sitzt in der Rohstoffklemme.

Welche dieser Rohstoffe werden hierzulande am dringendsten benötigt?

Kurzweil: Strategisch wichtig ist das rare Germanium für Glasfaserkabel, Solarzellen, Röntgengeräte und Wärmebildkameras, heute aus China und den USA importiert. Dabei wurde das Element Germanium im 19. Jahrhundert in einem Mineral aus einem Silberbergwerk bei Freiberg in Sachsen entdeckt. Rhenium für Flugzeugtriebwerke, Turbinenschaufeln und Thermoelemente hat den Rhein im Namen, denn es wurde 1925 in Deutschland entdeckt. Die Produzenten sitzen freilich in Amerika und Zentralasien. Gallium braucht die Industrie für Kommunikationstechnik und Fotovoltaik. Indium ist wichtig für Displays und Solarzellen. In der Zinkblende aus dem Erzgebirge wurde Indium 1863 entdeckt. Doch China und Südkorea geben heute den Ton an. Bei den Seltenerdmetallen hängt Europa fatal am Tropf der Chinesen. Weniger knapp, aber strategisch enorm wichtig, ist Neodym für Elektromotoren und Windkraftanlagen. Versorgungsrisiko und Vulnerabilität sind außerdem hoch bei: Antimon, Wolfram, Palladium, Silber, Zinn, Niob, Chrom und Bismut.

Wie fatal sich Abhängigkeiten auswirken, zeigt der Ukrainekrieg. Russland spielt munter am Gas- und Ölhahn. Kann uns das bei strategischen Materialien auch passieren?

Kurzweil: Deutschland ist Importland für Energierohstoffe und mineralische Bodenschätze, und damit erpressbar. Was fossile Energien angeht: Bis heute wird in Bayern Erdöl und Erdgas gefördert, wenngleich die bekannten Felder weitgehend erschöpft sind. Die leeren Lagerstätten werden neuerdings als Erdgasspeicher genutzt. Seit Jahrzehnten ruht der unrentable Kohlebergbau in Oberfranken, Oberbayern und der Oberpfalz. Ein noch schlummernder Schatz ist Erdwärme, die in den kommenden Jahrzehnten vermehrt zur Energieversorgung beitragen wird. Nichtsdestotrotz: Um Energiesysteme zu bauen, braucht unser Land den Zugriff auf Rohstoffe, sonst werden Technologieführer zu Mangelverwaltern.

Würde es sich lohnen, auch den heimischen Grund und Boden näher unter die Lupe zu nehmen?

Kurzweil: Die Oberpfalz war ja mal der Ruhrpott des Mittelalters. Da könnte doch einiges im Erdreich schlummern. Der kommerzielle Abbau von Eisen, Kupfer, Zinn, Zink, Wolfram, Silber, Gold und Uran rentiert sich nicht mehr, aber die Bodenschätze sind vorhanden. Tatsächlich gibt es eine freundliche Versorgungslage für heimische Industrieminerale. Rohstoffe aus
Bayern decken ein Fünftel der gesamtdeutschen Förderung an Sand, Kies, Kalkstein, Gips, Lehm, Ton und Naturstein. Kaolin für die Papierindustrie kommt aus Hirschau. Bekannte Markenartikel sind Kirchheimer Quaderkalk, Granit aus Hauzenberg und Flossenbürg, Redwitzit, Kelheimer Kalkstein, Solnhofer Plattenkalk, Marxgrüner und Treuchtlinger Marmor und natürlich Speisesalz aus der Saline Bad Reichenhall. Aus Kropfmühl bei Passau stammt hochwertiger Naturgrafit. Auch Eisenerz, Calciumfluorid, Speckstein und Bariumsulfat kommen in Bayern vor. Steine und Salz haben wir!

Wäre das Recycling eine Möglichkeit, um nicht in eine Abhängigkeitsfalle zu tappen? Welche strategischen Materialien ließen sich überhaupt wiedergewinnen?

Kurzweil: Ein rohstoffarmes Land muss Stoffe wiederverwerten, daran besteht kein Zweifel. Kupfer lässt sich in ursprünglicher Güte rückgewinnen, also Recycling im besten Sinn schon heute durchführen. Bei Aluminium, Eisen, Stahl und Papier leidet die Qualität, sodass von „Downcycling“ gesprochen wird. Was bei Alteisen leidlich gelingt, stößt bei Batterien und Elektronikschrott allerdings auf weitgehend nicht vorhandene Aufbereitungsprozesse und uneinheitliche Sammlungskonzepte. Wir können nicht weitere Jahrzehnte Wertstoffe wegwerfen und verbrennen. Lithium, Cobalt, Nickel und Titan dürfen nicht auf der Deponie enden!

Gibt es hierzulande ausreichend Recyclingkapazitäten, oder müssten die erst noch mühsam und zeitintensiv aufgebaut werden?

Kurzweil: An einer Kreislaufwirtschaft geht kein Weg vorbei. Die Chemie des 21. Jahrhunderts ist auf dem Weg in eine „Wertstoffchemie“. Bisher basieren alle hochwertigen Produkte auf Bodenschätzen. Künftig müssen Rohstoffströme aus Bergbau, Recycling und Biomasse gemeinsam statt getrennt verarbeitet werden. Kunststoffabfälle sollten am besten in eine Art Rohöl zurückverwandelt werden. Das ist noch ein weiter Weg bis zu technischen Lösung. Aber es gibt bereits fantasievolle Ansätze: Germanium kann man beispielsweise in Rohrglanzgras (Phalaris arundinacea L.) anreichern, also ein „Phytomining“, eine Art Pflanzenbergbau, betreiben. Nach chemischen Aufbereitungsverfahren muss intensiv geforscht werden. Und dafür brauchen wir heimische Fachleute!

Willst Du mehr über die „geheimnisvollen“ Elemente erfahren?

Wasserstoff oder Uran, Rhenium oder Germanium. Es gibt 92 natürliche Elemente, die für unseren Wohlstand notwendig oder als gefährlich bekannt sind. Hast Du auch ein „Lieblingselement“, über das Du schon immer mehr erfahren wolltest? Kurze Mail an theo.kurtz@oberpfalzecho.de genügt. Professor Dr. Peter Kurzweil wird das „Wunsch-Element“ ausführlich beleuchten und Wissenswertes, aber auch Unterhaltsames und Bestürzendes dazu erzählen.

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