Tragischer Fall vor Landgericht – 20-Jährige eine Gefahr für sich und andere?

Weiden/Wöllershof. Das Landgericht Weiden muss über die Zukunft einer jungen Frau aus Eritrea entscheiden. Die 20-Jährige hat im Bezirkskrankenhaus Wöllershof andere Patientinnen und das Personal angegriffen. Der Vorwurf: versuchter Totschlag.

Verteidiger Rouven Colbatz vertritt die beschuldigte Patientin. Er hat sie schon mehrfach in der Psychiatrie besucht, vergangene Woche machte sich auch Richter Peter Werner (Zweiter von links) vor Ort ein Bild. Foto: Christine Ascherl

Die Frau ist psychisch krank. Seit früher Jugend ist sie stationär in der Psychiatrie, nachdem sie sich massiv selbst verletzte. Zunächst war sie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Medbo in Regensburg untergebracht, seit ihrer Volljährigkeit im BKH Wöllershof. 2023 richtet sich ihre Aggression nicht nur gegen sich selbst, sondern auch gegen andere. Konkret versuchte sie, zwei Mitpatientinnen zu erdrosseln. Oberstaatsanwalt Peter Frischholz beantragt deshalb die dauerhafte Unterbringung in der Forensik.

Vor der 1. Strafkammer mit den Richtern Peter Werner, Florian Bauer und Vera Höcht wird seit Mittwoch ohne die Beschuldigte verhandelt. Sie wird durch Rechtsanwalt Rouven Colbatz vertreten. Aktuell befindet sich die 20-Jährige in der Frauen-Forensik der Isar-Amper-Klinik in Taufkirchen.

Missbrauch als Kind?

Geboren ist die Beschuldigte 2005 in einem Dorf an der äthiopischen Grenze auf 2.000 Metern Höhe. Mit Zwölf kam sie mit der Mutter und Geschwistern in den Landkreis Neustadt/WN. Die Antwort auf ihr Verhalten liegt möglicherweise in der Vergangenheit auf dem schwarzen Kontinent. Dem Stationsleiter in Wöllershof berichtete sie, in jungen Jahren “an Onkels verkauft” worden zu sein. “Sie war da noch ein ganz kleines Kind.” Den Wahrheitsgehalt kann er nicht prüfen. “Ich nehme das immer ernst. Das ist mein Beruf.”

Dieser Fachkrankenpfleger für Psychiatrie ist ein beeindruckender Zeuge. Ein bärtiger Riese, 52, mit viel Empathie und über 35 Jahren Berufserfahrung. Aber selbst er stieß an seine Grenzen. Schon bei der Übergabe der 18-Jährigen durch die Kinder- und Jugendpsychiatrie sei klar gewesen, dass “sie uns auf die Probe stellen wird”. “Wir kannten ihre Diagnose. Dafür sind wir ausgebildet, darauf konnten wir uns vorbereiten.”

Ganze Löffel und Messer geschluckt

Das Verhalten der kleinen Eritreerin überrollte auch ihn. “Es wurden alle Möglichkeiten genutzt, das System zu sprengen”, berichtet der Stationsleiter. “Egal, was wir gemacht haben: Sie fand immer eine Möglichkeit.” Sie schluckte ganze Löffel und Messer. Zerschlug Tassen und aß die Scherben. Sie schlug den Kopf an Fliesen und Wände. Sie schob sich Schrauben unter die Haut, steckte sich einen Türspreißel ins Auge.

An manchen Tagen musste die Patientin mehrmals ins Klinikum Weiden eingeliefert werden, um sie zu nähen oder Gegenstände aus ihrem Körper zu holen. In einem Fall schluckte sie auf dem Rücktransport im Rettungswagen des BRK eine Venen-Nadel – und wurde postwendend wieder ins Klinikum zurückgebracht. Selbst im Fixierbett gelang es ihr, sich in die Brust zu beißen. “Mit einem Biss, das war unfassbar.” Sie lag da. “Klein und süß. Und dann ging das so schnell.”

Inzwischen fast durchgehend auf Bett fixiert

Zwischenzeitlich wurde die 20-Jährige nahezu durchgehend 5- oder sogar 7-Punkt-fixiert. Das heißt, mit Gurten an Armen, Beinen sowie um Bauch, Brust und Stirn an das Bett gebunden. “Ich brauche nicht erklären, wie schlimm das ist.” Man habe in Wöllershof nach Möglichkeiten der Lockerung gesucht. “Wir haben uns die Köpfe zerbrochen, was wir machen können.”

Sie liebt Rührei, Gummibärchen und Cartoons für Kinder auf RTL2. Dem Stationschef gelang es phasenweise, sie mit der Aussicht darauf zu begütigen. Er kochte mit ihr Rührei – eine Stunde später griff sie ihn von hinten an. Mit einer Krankenschwester spielte sie im Garten Federball – auch ihr drohte sie später mit dem Tod.

Die Situation sei zunehmend verroht, bedauert der Stationsleiter. “Am Schluss hatte ich den Eindruck, jetzt brechen alle Dämme.” Die Patientin griff fast täglich Personal und Patienten an. Sie biss, kratzte, drohte, schlug. Immer aus heiterem Himmel. Die Stimmung wechselt urplötzlich. Einer Krankenschwester schlug sie von hinten so heftig auf den Kopf, dass diese eine Schädelprellung und einen Hörsturz erlitt.

Am Schluss hatte ich den Eindruck, jetzt brechen alle Dämme. Stationsleiter BKH Wöllershof

Mitpatientinnen gedrosselt

Vor dem Landgericht werden zwei Fälle behandelt, in denen Patientinnen stranguliert wurden. Einer Frau (58) schlang sie Ärmel eines Pullovers um den Hals, einer anderen einen Türgummi. In beiden Fällen waren mehrere Mitarbeiter nötig, um die Beschuldigte vom weiteren Zuziehen abzuhalten. Dabei wiederholte die Beschuldigte: “Ich muss sie töten, ich muss sie töten.”

Die Vorfälle ereigneten sich Ende 2023 im Krisenbereich der geschlossenen Abteilung mit Isolierzimmern. Die Patientin befand sich in einem verschlossenen Überwachungszimmer. Für je 30 Minuten vormittags und nachmittags durfte sie auf den gemeinsamen Flur. Der Bereich ist über eine Glasscheibe vom Stationszimmer aus einsehbar. Bei beiden Angriffen griff innerhalb von Sekunden Personal ein.

Im Sicherungsverfahren könnte es schon am morgigen Donnerstag zu einer Entscheidung kommen. Gehört werden letzte Zeugen, darunter der behandelnde Arzt aus Taufkirchen. Außerdem gibt der psychiatrische Sachverständige Dr. Johannes Schwerdtner seine Einschätzung ab.

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