Urgestein der Weidener Justiz: Hubert Windisch verhandelt fast bis zum letzten Arbeitstag
Weiden. "Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil." Wie oft hat Richter Hubert Windisch diesen Satz gesagt? Grob überschlagen 7000 Mal. Seit über 36 Jahren steht der Neustädter im Dienst der bayerischen Justiz. Seit 30 Jahren ist er Richter am Amtsgericht in Weiden.

„Ich gehe seit 36 Jahren gern in das Gericht. Mir macht meine Arbeit immer noch Freude“, sagt der stellvertretende Amtsgerichtsdirektor. Völlig typisch für ihn, dass er fast bis zum letzten Tag vor dem Ruhestand Verhandlungen angesetzt hat. Am 31. Mai hat Hubert Windisch seinen letzten Tag, drei Tage vorher eröffnet er sein letztes Hauptverfahren.
Dann zieht Windisch mit 66 noch einmal die schwarze Robe über. Auf der Anklagebank: ein Tscheche, dem eine Diebstahlserie im Landkreis Tirschenreuth vorgeworfen wird. Windisch wird auch diesen Fall angehen wie die zigtausend vorher. Er sieht sich jeden Menschen genau an. „Ich überlege mir vorher schon sehr lange, was rauskommen könnte. Aber ich gehe nie mit einer vorgefassten Meinung in eine Verhandlung.“
Nichts Menschliches fremd
Kein Tag ist gleich, kein Fall ist gleich. Windisch hat schon alles Mögliche erlebt. Gastronomen, die eine manipulierbare Roulettekugel gebastelt hatten. Eine Mutter, die ihr Kleinkind verbrühte. Den Schulbusfahrer, der mit vollem Bus und kaputten Bremsen verunglückte. Schleuser aus ganz Osteuropa, Diebe, Einbrecher, Drogenhändler. Schlimm sei es immer, wenn Kinder betroffen sind.
Vieles hat sich im Lauf der Zeit gewandelt. „Als ich als Staatsanwalt angefangen habe, war Trunkenheit im Verkehr ein Massendelikt.“ Es gab Formblätter, in denen nur noch das Autokennzeichen und die Promillezahl eingetragen werden mussten. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs gibt es Schmuggler und Schleuser. Jeden Tag sieht der Richter neue Menschen, hört neue Schicksale. „Das ist ja das Interessante an der Sache.“
Manche Angeklagte in dritter Generation
Manchmal passiert es ihm, dass er beim Zoigl oder in der Fußgängerzone von vermeintlich Unbekannten gegrüßt wird. „Dann denke ich bei mir: Habe ich dich wohl schon verurteilt?“ Unmöglich, sich alle Gesichter zu merken. Wobei: Manche Angeklagte hat Windisch schon in der dritten Generation vor sich sitzen.
Der Neustädter startete 1988 seine Laufbahn bei der bayerischen Justiz. Sechs Jahre war er bei der Staatsanwaltschaft, dann wechselte er ins Richteramt. Bis auf zwei Jahre in Nürnberg und drei Monate in Amberg war er dem Amtsgericht Weiden treu.
„Das Interessante am Richterberuf ist die Unabhängigkeit. Dass man völlig weisungsungebunden ist.“ Er habe in seinen 30 Jahren als Richter nie erlebt, dass „mir jemand auch nur ansatzweise irgendwelche Anweisungen“ gegeben hätte. „Das ist ein völliges Tabu.“ Der Jurist bricht eine Lanze für das deutsche Rechtssystem. „Ich halte es sogar für ganz hervorragend.“ Es liege in der Natur der Sache, dass manchem Geschädigten ein Urteil zu weich, dem Täter dafür zu hart erscheine. Und natürlich bewerte jeder Richter die Schwere der Schuld individuell.
Pro Cannabis-Legalisierung
Man glaubt es kaum, aber er ist ein Verfechter der Cannabis-Legalisierung, auch wenn „das Gesetz denkbar schlecht gemacht ist“. Die Praxis zeige: Alkohol spiele als Auslöser von Straftaten sehr häufig eine Rolle, Cannabis praktisch nie. Er verstehe nicht, warum massiver Alkoholmissbrauch toleriert wird, man „mit einem halben Gramm Haschisch in der Hosentasche möglicherweise ins Gefängnis wandert“.
Noch eine interessante Insider-Ansicht: Windisch hat nicht den Eindruck, dass Asylbewerber überproportional häufig auf der Anklagebank landen. Wenn es passiert, ist er für den „klaren Schuss vor den Bug“: „Wenn jemand Gast in einem Land ist, sollte er sich an die Gesetze halten.“ Windisch hat sich in dieser Hinsicht auch anderweitig engagiert: Er organisierte 2015 mit Kollegen aus Richterschaft und Staatsanwaltschaft „Demokratie-Kurse“ in der Notunterkunft Mehrzweckhalle.
Jura-Studium reiner Zufall
Sein Beruf ist ihm auf den Leib geschneidert, und doch eigentlich ein Zufall. Ursprünglich hatte er sich als junger Abiturient für das Studium der Holztechnik in Rosenheim beworben. Der Vater war Modellschreiner. Ein Klassenkamerad erzählte ihm dann von der „Jurisprudenz“. Die könne man ohne Vorkenntnisse studieren, ganz ohne Numerus Clausus. „Ich hab‘ gesagt: Dann studier‘ ich das auch.“ Nach der Bundeswehr schrieb sich Windisch in Regensburg ein und legte sehr gute Examen ab.
In manchen älteren Kollegen hat er Vorbilder und Freunde fürs Leben gefunden, etwa Walter Leupold und Günther Ruckdäschel, beide spätere Landgerichtspräsidenten. Als Vize-Direktor hat er sich viel von den Direktoren Rolf Nickl und Hans-Jürgen Burg abgeschaut, „die Kollegialität großgeschrieben haben“. Heilig ist Windisch die Kaffeepause, bei der sie alle beieinander sitzen. „Das Amtsgericht ist an Kollegialität nicht zu überbieten.“
„Seine“ Strafabteilung wird ihm fehlen, auch wenn der Vater eines erwachsenen Sohnes die Zeit zu nutzen weiß: mehr Zeit mit Ehefrau Martina, Angeln, Radeln, Gartenarbeit, Werkeln am Haus in Neustadt/WN. Und wenn er Sehnsucht hat, gibt es ja noch den Justizsportverein, dem Richterverein und einen Stammtisch. Ad multos annos, auf viele Jahre!
Nachfolger beim Schöffengericht: Hans-Jürgen Schnappauf
Seine Nachfolge beim Schöffengericht (Straferwartung zwei bis vier Jahre) wird Richter Hans-Jürgen Schnappauf antreten, zuletzt Betreuungsrichter am Amtsgericht Weiden, davor Gruppenleiter der Staatsanwaltschaft Weiden.
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